Wochenbettdepressionen betreffen viele Mütter. Doch noch immer sind sie ein Tabu.
Schätzungen gehen davon aus, dass rund 8 bis 10 Prozent der Neu-Mamas von postnatalen bzw. postpartalen Depressionen betroffen sind. Die wenigsten sprechen über ihre Krankheit – aus Scham und Angst. Stattdessen fühlen sie sich allein und machen sich Vorwürfe, dass sie ihr Kind nicht so lieben, wie sie es erwartet hatten.
Eine Mama aus der Echte Mamas Community hat Mut gefasst und ihre sehr persönliche Geschichte anonym aufgeschrieben. Damit auch andere Mütter neuen Mut finden:
„Es ist 3 Uhr morgens, als ich aus der Narkose erwache. Mein Blick führt zuerst zu meinem Bauch: Er ist leer. Ich fasse ihn an, um sicher zu gehen.
Ja, er ist leer. Mein Baby ist auf der Welt.
Ich erinnere mich, wie die Ärzte um mich herum schreien, wie alle ganz hektisch werden, wie ich vor Angst zittere und wie ich dann einschlafe. Gerade eben versuche ich noch, nach 24 Stunden Wehen mein Baby zu gebären, jetzt wache ich ohne Kind auf.
Vier Stunden, nachdem mein kleiner Noah das Licht der Welt erblickte, sehe ich ihn das erste Mal.
Und ich warte. Ich warte auf dieses besondere Gefühl, wenn man sein Kind zum ersten Mal sieht. Auf die puren Glücksgefühle, auf die Liebe, die alles andere vergessen lässt.
3 Monate später warte ich immer noch.
Keine Frage, dieses Kind ist zuckersüß. Und anstrengend. Und laut. Und er schläft wenig. So wie Babys nun mal sind, das wusste ich.
Ja, ich hab ihn gern, denke ich. Aber es ist nicht die ganz große Liebe, meine Welt ist nicht stehen geblieben, es fehlen die Gefühle.
Ich kümmere mich um ihn, wie man sich um sein Baby kümmern sollte. Aufopferungsvoll. Ich stille ihn, weil gute Mütter das so machen. Ich wiege ihn in den Schlaf, weil gute Mütter das so machen. Ich schlafe in seiner Nähe, weil gute Mütter das so machen. Ich vergesse mich selbst, weil gute Mütter das so machen.
Irgendwann weiß ich nicht mehr, was mit mir los ist. Alles ist so anstrengend. Aufstehen, duschen, mich anziehen, das Baby anziehen, das Baby füttern, den Alltag meistern. Ich habe keine Energie, keine Kraft mehr und immer noch fehlt das Gefühl.
Ich habe keine Lust mehr auf gar nichts. Dinge, die ich früher liebte, machen mir keinen Spaß mehr. Ich möchte nicht mehr shoppen gehen, denn neue Kleidung bringt mir keine Freude. Ich habe kein Interesse an schönem Schmuck mehr und Handtaschen brauche ich auch nicht. Ich möchte mich nicht mit Freunden treffen, denn dafür fehlt mir die Kraft.
Alles was ich möchte, ist still und leise im Bett liegen und an die Decke starren.
Ich bin nicht mehr die Frau, die ich früher war. Ich sprudelte vor Lebensfreude, war glücklich und zufrieden. Jetzt spüre ich keine Freude mehr, kein Glück, habe keine Interessen mehr.
Wenn ich jetzt im Lotto gewinnen würde, ich würde mich nicht freuen. Ja, wirklich, ich würde kein Fünkchen Freude in mir spüren. Ich bin dazu nicht mehr in der Lage, alles in mir ist leer.
Ich weiß, dass irgendetwas nicht stimmt. Ich recherchiere ’postpartale Depressionen‘. Als Symptom wird immer Traurigkeit beschrieben, aber ich bin nicht traurig. Ich bin gar nichts.
Also denke ich, dass ich keine Depressionen habe. Ich verwerfe diesen Gedanken also schnell wieder, mir wird es bestimmt besser gehen, wenn der Kleine länger schläft. Ich brauche einfach nur ein bisschen Schlaf…
Ich schaue meinem wunderschönen Sohn in die Augen, meinem ersten Kind und denke: ‚Ich würde dich so gern lieben können.‘
Ich vertraue mich meiner Hausärztin an. Sage ihr, dass ich keine Kraft mehr habe, dass ich mich leer fühle und frage sie, ob ich vielleicht einen Eisenmangel habe. Oder etwas mit der Schilddrüse?
Die nicht vorhandenen Gefühle meinem Sohn gegenüber verschweige ich. So etwas sagt man doch nicht, was soll denn die Ärztin denken?!
Sie fragt mich, ob ich schon mal was von einer postpartalen Depression gehört habe. Also doch! Sie überweist mich zu einem Psychiater. Ich und ein Psychiater! Wie peinlich! Das darf ich niemanden erzählen, so mein Gedanke,…
…doch ab dann geht alles ganz schnell. Der Termin beim Psychiater liegt ein paar Wochen entfernt und meine Lage verschlimmert sich.
Traurigkeit und Leere wechseln sich ab. Mein Kopf dröhnt, wenn das Kind schreit. Ich bin todmüde und gleichzeitig rastlos. Ich kann nicht stehen bleiben, weine die ganze Zeit und möchte nur Ruhe haben.
Ich möchte, dass es still ist, dass ich aufhöre, mich so zu fühlen. Ich bekomme Panikattacken, habe das Gefühl, verrückt zu werden. Ich kann nicht aufhören zu weinen, ich möchte das alles beenden.
An einem Tag im März, genau an meinem 25. Geburtstag, fährt meine Tante mich in die Klinik.
Das erste Mal seit Monaten erzähle ich jemanden alles. Alles, was ich denke, alles was ich fühle, es sprudelt nur so aus mir heraus.
Der Arzt hört mir zu, schreibt alles nieder und danach ist klar: Ich werde stationär aufgenommen.
Endlich erzähle ich meiner Familie, was los ist, halte mich aber auch hier bei der Beschreibung meines Zustandes zurück. Ein paar gute Freunde werden eingeweiht, den anderen möchte ich es nicht erzählen.
Es werden im Freundeskreis unangenehme Fragen gestellt, zum Beispiel, ob ich meinem Sohn etwas antun möchte oder ob ich denn mit ihm klar komme. Autsch! Genau wegen solcher Fragen war ich so zurückhaltend.
Ich habe eine Krankheit, aber nein, ich möchte niemandem etwas tun, außer vielleicht mir selbst.
Ich bekomme Paroxetin, ein Antidepressivum, das mir helfen soll. Zusätzlich bekomme ich Lorazeparm, weil ich unter starken Angstzuständen leide.
Um die Bindung zu meinem Sohn nicht zu verlieren, bestehen die Ärzte darauf, dass wir uns am besten täglich sehen.
Die Ärzte fragen mich, ob ich mich auf zu Hause freue. Ich antworte ‚Normalerweise würde ich jetzt instinktiv lügen und ‚Ja‘ sagen. Aber nein, ich freue mich nicht.‘ Ich verspüre keinen Drang danach, jemanden zu sehen. Ich habe keine Gefühle.
Abends im Bett schaue ich mir Fotos meines Sohnes an und denke wieder: ‚Ich wünschte, ich könnte dich lieben.‘
Die Zeit vergeht, das Paroxetin schlägt nicht an und die Finsternis ist immer noch da. Drei schwere Wochen vergehen. Wochen, in denen mein Partner alles gibt, um unseren Sohn zu versorgen. Wochen, in denen mich Freunde besuchen und die Welt nicht mehr verstehen.
Dann bekomme ich ein neues Medikament. Leider weiß man vorher nicht, welches Medikament bei welchen Menschen hilft. Die Medikamente brauchen auch einige Wochen, um zu wirken. Eine Zeit, die zum Glück vorbei geht, denn schließlich schlägt das Medikament an.
Von da an geht es schlagartig bergauf. Ich stehe morgens in der Klinik auf, packe meine Tasche und fahre zu meinem Sohn. Abends verabschiede ich mich schweren Herzens und fahre zurück in die Klinik, denn stabil bin ich noch nicht.
Doch es wird immer besser, nach 6 Wochen werde ich entlassen. Zu diesem Zeitpunkt bin ich noch nicht geheilt. Jedoch bin ich keine Gefahr mehr für mich, will bei meiner Familie sein und schaffe es ohne große Vorkommnisse durch den Tag.
Ich finde sehr schnell eine großartige Psychotherapeutin und Stück für Stück wird es besser.
Es ist nicht leicht, es gibt viele Rückschläge. Tage, an denen ich es nicht schaffe, aus dem Bett zusteigen. Tage, an denen ich mich zurück in die Klinik wünsche.
Aber ich kämpfe. Genau wie Menschen gegen physische Krankheiten kämpfen. Die schlechten Tage werden weniger und die Guten mehr.
Ziemlich schnell werden die guten Tage dann auch sehr gute Tage, großartige Tage.
Mein Sohn ist inzwischen fast 9 Monate alt. Ich schaue in seine großen blauen Augen, streichle durch sein blondes Haar und sage:
‚Wie konnte ich dich jemals nicht lieben?‘
Zwischen dem Ende dieser Geschichte und jetzt liegen ein paar Monate. Die Therapie geht weiter und genau so wächst die Liebe weiter, jeden Tag. Jeder Tag als Mutter ist anstrengend, aber jetzt die schöne Art von anstrengend.
Den Müttern, die gerade Ähnliches durchmachen, möchte ich dieses sagen:
Es ist nicht eure Schuld! Ihr seid keine schlechten Mütter!
Euch hat eine fiese Krankheit erwischt, habt kein schlechtes Gewissen! Ich weiß, das ist schwer zu verstehen. Es ist schwer, sich Hilfe zu holen oder jemandem davon zu erzählen. Der gesellschaftliche Druck auf Mütter ist so groß und wenn man dann nicht funktioniert wie gewünscht, steht man am Rand.
Aber die Krankheit ist gut heilbar und euch erwartet am Ende ein Leben voller Glück.“