Als Stefanie mit ihrem ersten Kind schwanger war, traf sie die Diagnose ihres Frauenarztes wie ein Schlag: Down-Syndrom. Sie war in der 11. Schwangerschaftswoche, als sie davon erfuhr. Für sie brach eine Welt zusammen. Ihr kleiner Junge würde nicht gesund auf die Welt kommen.
Schnell stand für die erst 23-Jährige fest, dass sie ihr Kind trotzdem bekommen möchte. Trotz der Einschränkungen.
Es war ihr Bauch, ihr Baby und ihre Entscheidung.
Nur Stefanies Familie konnte sich nicht damit abfinden, sie drängten sie immer wieder zur Abtreibung. Sie solle ihr Kind „lieber wegmachen lassen und Platz für ein gesundes Kind schaffen“. Für die junge Mutter eine sehr harte Zeit, von der sie uns hier berichtet:
„Ich erfuhr in der 7. Schwangerschaftswoche von meinem Hausarzt von meiner Schwangerschaft. Ich bin zu ihm gegangen, weil mir tagelang sehr übel war. Nachdem er mir Blut abgenommen hatte, beglückwünschte er mich plötzlich zur Schwangerschaft.
Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie ich in dem Moment geguckt habe. Ein Baby war zu diesem Zeitpunkt noch lange kein Thema für mich und meinen Freund.
Ich war vollkommen ungeplant schwanger geworden. Die ersten Tage waren wir etwas durcheinander, aber danach fingen wir an, uns auf das Kind zu freuen und zwar sehr.
Ich muss dazu sagen, dass ich selbst keine leichte Kindheit hatte und in den letzten Jahren an schweren Depressionen litt.
Ich musste zeitweise sogar Medikamente gegen meine Depressionen nehmen, und das ist auch der Grund, warum mich meine Frauenärztin trotz meines jungen Alters zu einem Ersttrimestersceening in der 11. Schwangerschaftswoche drängte. Sie meinte zwar, dass die Medikamente, die ich einnahm, auch als Wahlmedikamente in der Schwangerschaft und Stillzeit empfohlen werden, aber es wäre gut, auf Nummer sicher zu gehen.
Sie war sehr nett zu mir und sagte mir noch, dass sie sich sicher sei, dass mit meinem Baby alles in Ordnung ist. Am Ende würde ich ein schönes 3-D-Bild vom meinem Fratz in den Händen halten und alles wäre gut.
Leider kam es dann doch ganz anders. Bei meinem Kind wurde eine leicht verdickte Nackenfalte und ein sehr kurzes Nasenbein festgestellt.
Da uns gesagt wurde, dass das Ersttrimestersceening nicht zu 100% sicher ist, wurde uns eine Chorionzottenbiopsie empfohlen. Das ist eine Untersuchung, die ähnlich wie eine Fruchtwasserpunktion funktioniert, nur weniger Risiken hat und früher machbar ist. Wir stimmten zu.
Bereits drei Tage nach diesem Test bekamen wir einen Anruf von der Feindiagnostik-Ärztin. Sie gab mir einen Termin bei einer Humangenetikerin. Diese erklärte uns das Ergebnis, das nun ohne Zweifel feststand: freie Trisomie 21, die häufigste Form des Down-Syndroms.
Und wir erfuhren zum ersten Mal das Geschlecht unseres Kindes. Mein noch ungeborenes Kind war ein kleiner Junge.
Wir saßen total geschockt im Zimmer der Humangenetikerin und sahen uns ratlos an. Wie würde es jetzt weitergehen? Was sollten wir nur machen?
In diesem Moment haben wir auch das Wort ‚Abtreibung‘ zum ersten Mal gehört. Die Humangenetikerin fragte uns nämlich, ob sie gleich einen Termin vereinbaren solle. Ich würde behaupten, dass sie die Frage nicht böse gemeint hat, trotzdem fühlte es sich entsetzlich an.
Aber natürlich, über 95 Prozent aller Kinder mit Down-Syndrom werden heute abgetrieben. Eine Abtreibung kam der Ärztin als erstes in den Sinn.
Aber mein Baby abtreiben? Und dann auch noch sofort einen Termin vereinbaren? Ich konnte mir das alles nicht vorstellen und bat um Bedenkzeit. Wir verließen weinend die Praxis und lagen uns in den Armen.
Die Humangenetikerin half uns in den nächsten Tagen noch sehr weiter. Sie machte uns mit einer Mutter bekannt, die ein Baby mit Down-Syndrom hat. Ihre Tochter ist mittlerweile fast zwei Jahre alt und einfach bezaubernd. Das Treffen mit der Mutter und dem Kind bestärkte mich in dem Gefühl, meinen Sohn zu behalten. Ich hatte es schon vorher gespürt, ich wollte mein Kind unbedingt bekommen.
Als wir uns sicher waren, unser Kind zur Welt zu bringen und zu lieben, wie es ist, wollten wir auch unserer Familie von der Diagnose erzählen. Von der Schwangerschaft wussten sie bereits. Wir dachten, es ist das Normalste der Welt, unsere Verwandtschaft mit einzubeziehen.
Aber das war im Nachhinein der größte Fehler, den wir gemacht haben!
Meine Oma (zu der ich immer ein besonderes Verhältnis hatte), meine Schwiegermutter und meine Tante waren sich nämlich alle einig: Das Kind gehört abgetrieben.
Sie zeigten keinerlei Verständnis für unsere Entscheidung. Wir hörten von ihnen nur, dass das Kind weg muss. Und zwar wochenlang. Selbst in der 20. Schwangerschaftswoche sagten sie zu mir, dass eine Abtreibung noch möglich wäre und ich einen Termin machen sollte.
Ein Satz meiner Oma, der mich heute noch zum Weinen bringt, war folgender: „Lass das Kind lieber wegmachen und schaffe Platz für ein gesundes Kind.“
Ich war in dieser Zeit sehr traurig und habe beschlossen, dass ich nie wieder mit meinen Verwandten über eine Schwangerschaft reden möchte. Sollte ich nochmal ein Kind bekommen, erzähle ich nichts mehr. Ich möchte das nicht noch einmal durchmachen.
Denn die Tatsache, dass unsere Familie so extrem reagierte, war für mich schlimmer als die Diagnose selbst…
Der Rest meiner Schwangerschaft verlief dann auch nicht gerade schön. Ich nahm von extremer Übelkeit über Gestationsdiabetes und einer verkalkten Plazenta alles mit. In der 20. Schwangerschaftswoche erfuhren wir beim großen Organscreening, dass unser Sohn einen Herzfehler (einen AV-Kanal) hat, aber ansonsten alles in Ordnung ist. Wir waren vom dem Herzfehler auch nicht sehr überrascht, da wir vorher bei einem Kinderkardiologen waren und er uns erklärte, dass ein Herzfehler oft vorkommt und nach der Geburt gut operiert werden kann. Also aufatmen, alles halb so schlimm.
Wir hatten nach dem Organscreening alle vier Wochen einen Termin bei der Feindiagnostik, um komplett sicherzugehen.
Wegen der verkalten Plazenta und der Einschätzung, dass mein Sohn bei der Geburt nur 2 Kilo wiegen würde, wurde bei mir in der 38. Schwangerschaftswoche eingeleitet. Nach drei sehr schmerzhaften Tagen erblickte er dann das Licht der Welt.
Er wurde am 10.05.17 geboren, statt den geschätzten 2 Kilo war er stolze 3,2 Kilo schwer und bis auf seinen Herzfehler kerngesund. Wir haben ihm den Namen Adrian gegeben.
Heute ist mein Sohn sieben Monate alt und es geht ihm einfach nur prima. Er entwickelt sich altersgerecht, auch weil wir seit der 10. Woche zur Physiotherapie gehen. Sein Herz wird regelmäßig kontrolliert und bisher sieht alles super aus, so dass eine OP vor dem 2. Geburtstag nicht notwendig sein wird. Irgendwann muss er operiert werden, aber wir haben noch etwas Zeit.
In der Schwangerschaft haben wir uns einer Selbsthilfegruppe mit Eltern von Trisomie-Kindern angeschlossen und bisher sehr viele tolle und beeindruckende Menschen kennenglernt. Eltern und Kinder.
Ein Leben mit einem besonderen Kind ist nicht einfach, aber es lohnt sich. Unser Sohn macht nicht mehr und nicht weniger Probleme als jedes gesunde Kind. Ja, er braucht manchmal etwas länger und wird auch im Leben nicht der Schnellste sein. Aber er gehört zu uns und wir lieben ihn einfach unendlich.
Wenn ich je an unserer Entscheidung gezweifelt habe, dann nur während der Schwangerschaft. Seit der Geburt von Adrian hat sich jeglicher Zweifel in Luft aufgelöst.
Es wird einfache und schwierige Phasen geben, und wir wachsen gemeinsam daran diese zu bewältigen.
Wie wir heute mit unserer Verwandtschaft umgehen?
Ihr werdet euch jetzt vielleicht wundern. Wir haben ihnen die bösen Sätze verziehen, obwohl besonders ich sehr lange an ihnen zu knabbern hatte.
Mittlerweile weiß ich, dass sich selbst meine Oma nur Sorgen gemacht hat und mich nicht absichtlich verletzten wollte. Mittlerweile kennt sie ihren Urenkel natürlich und sie liebt ihn, so wie er ist. Als sie ihn das erste Mal gesehen hat, waren auch ihre Ängste verflogen.
Dennoch würde ich allen mit dieser Diagnose raten: Behaltet es bis zur Geburt für euch! Ist der Wurm einmal auf der Welt, ist es einfacher.“