Als wir den Artikel im Hamburger Abendblatt entdeckten, waren wir erstmal befremdet. „Sandwesten für unruhige Schüler“ – ja, wie fies ist das denn?
Eine Art Zwangsweste für Kinder, die im Unterricht durch Zappelei oder Ähnliches auffallen?
Liest man sich in das Thema jedoch etwas ein, sieht das Ganze anders aus:
Immer mehr Kinder leiden unter Wahrnehmungsstörungen, sie können nicht stillsitzen oder haben Schwierigkeiten beim Aufpassen und Zuhören.
Gerade in Schulen mit dem Schwerpunkt Inklusion erleben die Lehrer vermehrt Störungen des Unterrichts durch Kinder, die sich nicht konzentrieren können oder die so lange mit dem Stuhl kippeln, bis sie unterm Tisch liegen. Darunter leidet die ganze Klasse, die betroffenen Kinder aber ebenso wie alle anderen.
13 Hamburger Grund- und Stadtteilschulen setzen in solchen Fällen auf sogenannte Beschwerungswesten, die mit Sand gefüllt sind.
© Beluga Healthcare
Die zwei bis fünf Kilogramm schweren Sandwesten, die beispielsweise von Beluga Healthcare vertrieben werden, werden schon länger bei Kindern, die unter Autismus oder ADHS leiden, eingesetzt. Vor allem in den USA sind sie an Schulen erprobt. Und auch bei Kindern, die unter Wahrnehmungsstörungen leiden, tragen sie zur Beruhigung bei. Bei erkrankten Kindern kommen alle Reize verquer an, das Gehirn kann sie nicht ausreichend filtern oder verarbeiten. Das stürzt die Kinder ins innere Chaos, dem man versucht, durch das äußere Extra-Gewicht entgegenzuwirken.
Die Westen verteilen ihr Gewicht und den Druck gleichmäßig und flächendeckend auf die Muskel- und Belastungssensoren der Kinder. Wie ein behutsames Handauflegen, das einfach gut tut. Das stärkt die kognitive Belastungsfähigkeit.
Und was sagen die Kinder dazu? Fühlen sie sich stigmatisiert, werden sie ausgegrenzt? Anscheinend ist eher das Gegenteil der Fall.
Die Kinder merken, dass die Westen ihnen gut tun und fordern sie von sich aus ein. Sie sehen sie nicht als therapeutisches Hilfsmittel, finden es „cool“, dass ihnen der Unterricht so deutlich leichter fällt. Und natürlich müssen die Kinder die Westen auch nicht den ganzen Tag tragen.
Vielleicht ist diese Idee also doch nicht so merkwürdig, wie sie einem auf den ersten Blick vorkommt.
Die Schulleiter in Hamburg kämpfen zumindest um mehr Exemplare dieser Westen.
