Nach unserem Artikel zum Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen hat sich Mina (Anfang 30, Name geändert, Name der Redaktion bekannt) bei uns gemeldet. Ihre Geschichte ist heftig: Sie war 14 Jahre lang Gefangene eines Zuhälters und hat in dieser Zeit die schlimmsten Dinge erlebt. Erst durch ihren heutigen Verlobten ist ihr der Ausstieg gelungen. Sie berichtet, mit welchen Versprechungen sie in diese Lage gelockt wurde – und möchte damit verhindern, dass es anderen genauso ergeht. Heute lebt Mina in Freiheit und ist glückliche Mama eines Babys.
Wie ich in diese Situation geraten bin
Ich habe meinen Zuhälter übers Internet kennengelernt und mich auf einen Drink mit ihm getroffen. Er bot mir dabei an, gutes Geld zu verdienen, was ich natürlich sehr interessant fand. Letztlich hat er mir ein Luxusleben und das Blaue vom Himmel versprochen, und ich habe ihm geglaubt.
Als er mich eines Tages zu einem Bordell fuhr, war ich schon emotional von ihm abhängig. Ich dachte, mich trifft der Schlag – aber ab dem Zeitpunkt kam ich auch nicht mehr aus der ganzen Sache raus. Ich war letztlich 14 Jahre Gefangene eines gewalttätigen Zuhälters, heute bin ich Anfang 30. Also über die Hälfte meines Lebens.
Und so sah mein Leben in Gefangenschaft aus
Meine Leben bestand nur aus ,,arbeiten“, Alkohol trinken und Drogen nehmen. Anders war das für mich überhaupt nicht auszuhalten. Wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, wurde ich immer wieder unter Druck gesetzt, den Haushalt zu machen und Geld abzuliefern, wofür er mir im Gegenzug ein Luxusleben versprach. Aber Fehlanzeige.
Wenn ich nicht genug einbrachte, wurde ich gegen die Heizung geschlagen, vergewaltigt oder musste zuschauen, wie er sich anderweitig vergnügte. Ich konnte mit niemandem reden, fühlte mich ganz alleine.
Aber ich wusste genau: Eines Tages werde ich den Ausstieg schaffen. Allerdings hat er den Kontakt zu meiner Familie unterbunden, mich total isoliert. Keine Freunde, keine Familie.
Gleichzeitig hat er auf meinen Namen Schulden angehäuft, zum Beispiel Handyverträge ohne mein Wissen abgeschlossen. Als Prostituierte gibt man meist die Kontokarte ab, damit der ,,Mann“ sich drum kümmern kann.
Der Ausstieg ist mir letztlich durch meinen heutigen Verlobten gelungen.
Ich habe lange nicht einmal gewagt, darüber nachzudenken – weil ich dachte, dann stehst du komplett alleine da, hast kein Geld und kein Zuhause.
Aber dann traf ich meinen heutigen Mann – und ja, er war mein Freier. Seine Augen haben mich verzaubert, was mir in all den Jahren kein einziges Mal zuvor passiert ist.
Irgendwann habe ich mich dann getraut, ihn auf einen Kaffee einzuladen. Von ihm habe ich mich endlich verstanden gefühlt. Er hat mich in den Arm genommen und mir immer gezeigt: Ich bin für dich da und lasse dich nicht fallen, egal, was passiert. Durch seine Liebe habe ich erst die Kraft entwickelt, um meine Sachen zu packen und zu fliehen. Die Frauenberatungsstelle hat mir eine Unterkunft besorgt und mich sehr unterstützt.
Das alles wirkt natürlich heute noch nach.
Heute geht es mir super, wir sind mittlerweile verlobt und haben ein wundervolles Kind. Bevor ich schwanger wurde, hatte ich sogar noch einen Job in einem ganz normalen Unternehmen. Das war für mich sehr ungewohnt – eine Wahnsinnsumstellung nach all den Jahren im Bordell.
Als ich von meiner Schwangerschaft erfahren habe, war ich total überwältigt. Endlich bekam ich die Familie, die ich mir immer gewünscht hatte.
Es gibt natürlich heute noch viele, viele Momente, in denen ich wieder an mein früheres Leben erinnert werde. Es kommt schon noch vor, dass ich aufgrund all der Erinnerungen innerlich zusammenbreche und weine. Ich habe auch schon öfter drüber nachgedacht, mir psychologische Hilfe zu suchen.
Mit meiner Familie ist es immer noch schwierig.
Die Beziehung zu meinen Eltern ist aufgrund meiner Vergangenheit brisant, aber es wird immer besser. Aber grundsätzlich stehen unsere beiden Familien stehen hinter mir, und das finde ich toll. Am Anfang war es natürlich sehr komisch für mich, zu offenbaren, was mir da widerfahren ist. Weil man sich tierisch schämt und sich dreckig fühlt, wenn man sowas jahrelang erleiden musste.
Die Familie meines Mannes hat zu mir gesagt: Wir nehmen dich so wie du bist denn du bist eine tolle Frau.
Und ich habe einen tollen Mann, dem ich zu 1000 Prozent vertraue. Er gibt mir nie das Gefühl, mich zu hintergehen. Ich habe bei ihm einfach einen richtig krassen Halt gefunden, weil wir von Anfang an offen über alles reden konnten.
Aber ich möchte noch eine Message an alle jungen Mädchen loswerden.
Ich möchte andere Frauen vor dem bewahren, was mir passiert ist. Ich möchte vor Männern warnen, die dir ein Luxusleben versprechen – bleib skeptisch! Am Ende wirst du versklavt, und dir bleibt kein Cent übrig, sondern nur ein Haufen voller Schulden wie bei mir.
Wenn ich nun selber lese, was ich hier schreibe, ist es für mich unfassbar: Wie konnte ich mich jahrelang so kleinhalten lassen von einem Mann, der eigentlich gar nichts kann und der einfach eine kleine Wurst ist, der nur zuschlagen kann, damit die Frau Angst hat und bei ihm bleibt? Ich begreife es bis heute selber nicht, aber es ist geschehen.
Doch nun schaue ich nur noch nach vorne und genieße mein neues, schönes Leben.
Liebe Mina, danke, dass du uns deine Geschichte anvertraut hast!
Wie viele Frauen sind in Deutschland wie Mina von Zwangsprostitution betroffen?
Leider ist Minas Fall recht typisch: Frauen werden oft unter Vortäuschung falscher Tatsachen in die Prostitution gelockt, z.B. mit Jobangeboten oder der sogenannten „Loverboy-Methode“, bei der von den Zuhältern partnerschaftliche Liebesbeziehungen vorgetäuscht werden (1).
Im Jahr 2022 zählte das Bundeskriminalamt (BKA) in abgeschlossenen Ermittlungsverfahren insgesamt 476 Betroffene von Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung – darunter 95,2 Prozent Frauen (2). Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher ausfallen. Besonders gefährdet sind junge Frauen ohne deutsche Sprachkenntnisse aus Osteuropa oder generell Frauen in wirtschaftlichen Notlagen.
Mina hat uns noch erzählt, dass sie gemeinsam mit der Frauenberatungsstelle rechtliche Schritte gegen ihren Zuhälter geprüft hat. Allerdings hätte ihr dann ein langer Prozess bevorgestanden. Zudem hat sie die miterlebt, wie ein anderer Zuhälter in einer ähnlichen Konstellation nur wenige Monate auf Bewährung bekam, sodass sie sich letztlich dagegen entschied, diesen psychisch sehr fordernden Weg zu gehen. Die Unterstützung der Beratungsstelle hat ihr in der schweren Zeit sehr geholfen, den Ausstieg zu schaffen uns in der ersten Zeit über die Runden zu kommen.
Bist du in einer ähnlichen Lage?
Oder erlebst auf andere Weise jeden Tag Gewalt? Wende dich an das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ – es ist kostenlos rund um die Uhr unter der bundesweit einheitlichen Nummer 116 016 verfügbar und hilft auch anonym. Auf Wunsch erhältst du darüber zum Beispiel Kontakt zu Hilfeeinrichtungen direkt bei dir vor Ort.
Quellen:
(1) https://www.kas.de/de/web/die-politische-meinung/artikel/detail/-/content/sexkaufverbot-in-deutschland, abgerufen am 16.12.2024
(2) https://frauenrechte.de/unsere-arbeit/frauenhandel-und-prostitution/die-hintergrundinformationen/frauenhandel, abgerufen am 16.12.2024