Influencerin Lena Jensen wurde im Alter von 2 bis 6 Jahren sexuell missbraucht – von Menschen, die ihr eigentlich nahestanden. Heute kann sie offen über diese schlimmen Erfahrungen sprechen und nutzt ihre Reichweite, um aufzuklären und anderen Betroffenen zu helfen. Wie Lena es geschafft hat, das Trauma zu überwinden, was wir als Eltern tun können, um unsere Kinder zu schützen, und auf welche Anzeichen wir achten sollten, hat sie uns im Interview erzählt.
Lena Jensen will als Betroffene über sexuelle Gewalt aufklären
Der Gedanke, dass das eigene Kind Opfer sexueller Gewalt werden könnte, ist für Eltern ein absoluter Albtraum – und für viele ganz weit weg. Dabei sind die Zahlen erschreckend: Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wurden im Jahr 2023 insgesamt 18.497 Kinder nachweislich Opfer sexuellen Missbrauchs. Und das sind nur die offiziellen Zahlen, die Dunkelziffer liegt sehr viel höher. Man muss sogar davon ausgehen, dass in jeder Schulklasse durchschnittlich ein bis zwei Schüler*innen Opfer sexueller Gewalt werden bzw. geworden sind.
Lena Jensen ist eines von ihnen. Die Influencerin wurde als Kind selbst jahrelang missbraucht und kann inzwischen offen darüber sprechen. Auf ihrem Instagram-Kanal teilt sie ihre Geschichte und die von anderen Betroffenen und beantwortet wichtige Fragen, um das Tabu zu brechen und aufzuklären.
Aber wie kann man so eine Erfahrung eigentlich jemals verarbeiten? Was kann ich tun, um mein eigenes Kind vor sexuellem Missbrauch zu schützen? Und wo bekomme ich Hilfe? All diese Fragen hat Lena uns beantwortet – für dieses Interview und mit Videos auf dem Echte Mamas Instagram-Kanal:
Liebe Lena, Du musstest leider selbst als Kind Erfahrung mit sexuellem Missbrauch machen. Was hast Du erlebt?
„Ich wurde als Kind viele Jahre sexuell missbraucht, von Menschen, die mir sehr nahestanden.
Da mir nie jemand gesagt hat, dass es das gibt, und dass es verboten ist, kannte ich nur die Sicht des Täters. Er sagte mir, es sei etwas ganz Besonderes, was man mache, wenn man sich lieb habe, und ich hätte ihn ja lieb. Meine Mama dürfte ich aber nicht lieb haben, weil sie böse sei, und ihr sonst etwas passieren würde.
Ich wusste erst, dass es nicht normal ist, als ich es meinen Eltern erzählte, und meine Mama meinte, dass ich sie immer lieb haben darf, und es verboten und falsch ist, was sie getan haben.“
Wie hast Du es geschafft, Dich aus dem Missbrauch zu befreien?
„Gar nicht. Meine Eltern haben früh gemerkt, dass etwas nicht stimmte, wussten aber nicht weiter und haben sich deshalb an Fachleute gewandt. Während der gesamten Zeit des sexuellen Missbrauchs war ich in psychologischer und ärztlicher Behandlung. Doch selbst dort hat niemand etwas gemerkt.
Letztendlich war es Zufall, dass alles herauskam. Da sind mehrere Dinge zusammengekommen, unter anderem der Verdacht einer Kindergärtnerin.“
Wie hast Du es geschafft, das Erlebte zu überleben und zu verarbeiten?
„Mit sieben Jahren habe ich versucht, mir das Leben zu nehmen. Danach habe ich in einer Psychiatrie eine EMDR-Therapie* gemacht. Die hat mir sehr geholfen.“
*Zur Erklärung: EMDR steht für “Eye Movement Desensitization and Reprocessing” und bezeichnet eine bestimmte Art der Psychotherapie, die aus der Psychotraumatherapie entstanden ist. Grundlage ist die Annahme, dass jeder Mensch von Natur aus die Fähigkeit hat, Informationen zu verarbeiten, zu denen auch belastende Erfahrungen zählen.
Dafür folgen die Patient*innen mit den Augen den Fingerbewegungen der Therapeut*innen. Diese Bewegungen von rechts nach links gleichen den Bewegungen des Auges in der so genannten REM-Schlafphase, in der der Körper die Geschehnisse des Tages verarbeitet.
Mehr Infos zur EDMR-Therapie findet ihr unter www.emdria.de
Welchen Einfluss hat der Missbrauch heute noch auf Dein Leben? Wie gehst Du damit um?
„Die Narben werden niemals ganz und gar verschwinden. Aber ich habe gelernt, sie zu akzeptieren und damit umzugehen. Ich wollte den Täter*innen keine Macht mehr über mein Leben geben, habe es mir zurückgeholt und meine Ängste besiegt.“
Einfach unfassbar: Für die Täter*innen hatte der Missbrauch keinerlei Folgen. Es gab zwar einen Gerichtsprozesse, aber keine Verurteilung, sondern einen Freispruch. Während Lena wie die meisten Opfer ihr Leben lang mit den psychischen Folgen des Missbrauchs klarkommen muss, leben die Täter*innen ihr Leben unverändert weiter – frei und vermutlich unbekümmert.
Wie kann ich mein Kind vor sexuellem Missbrauch schützen?
Dass das eigene Kind Oper sexuellen Missbrauchs wird, ist für Eltern eine absolute Horrorvorstellung. Wir haben Lena Jensen gefragt, wir ihr eure Kinder schützen könnt, auf welche Anzeichen ihr achten solltet, und wo ihr im Notfall Hilfe bekommt.
Was kann ich tun, um mein Kind vor Missbrauch zu schützen?
„Wir sollten Kindern ihre Gefühle und Wahrnehmung nicht absprechen, sondern sie ernst nehmen. Wir sollten Kindern sagen, dass es sexuellen Missbrauch gibt, und er verboten ist. Wir sollten die Grenzen der Kinder akzeptieren und stärken. Wir sollten den Missbrauch einfach für möglich halten, ohne Angst zu machen. Denn so haben wir die Möglichkeit, ihn gegebenenfalls früh zu erkennen.“
Wie kann ich auch mein Umfeld für das Thema sensibilisieren?
„Das Thema angstbefreit ansprechen. Angst vor den Worten machen nur größere Angst vor der Sache selbst und uns blind für das, was genau vor uns passiert. Jeder von uns kennt Betroffene, und jeder von uns wird auch Täter*innen im Umfeld kennen.“
Welche Anzeichen gibt es dafür, dass mein Kind sexuell missbraucht wird?
„Die Anzeichen sind leider sehr verschieden. Und oft ist es leider sehr schwer zu erkennen, da man durch die Praktiken der Täter auch im Intimbereich keine Anzeichen gibt.
Mögliche Veränderungen können sein:
- Aggressivität
- Gar nicht mehr sprechen
- Essstörung
- Sexualisiertes Verhalten, das nicht altersgemäß ist
- Konzentrationsprobleme
- Hygienemangel
- Depressionen
- Körperliche Symptome wie Bauch- und Kopfschmerzen
- Bettnässen
- Angststörung
- Neurodermitis
- Usw.
Alles kann auf sexualisierte Gewalt hindeuten, muss es aber nicht. Wenn sich das Kind enorm verändert, sucht das Gespräch! Wenn ihr nicht wisst, wie, oder euch überfordert fühlt – holt euch fachliche Unterstützung dazu.“
Wie reagiere ich am besten, wenn ich den Verdacht habe, dass mein Kind missbraucht wird?
„Am besten wendest du dich an eine Fachberatungsstelle in der Nähe. Es ist wirklich schwer, das allein zu tragen, und die Fachleute können dir helfen, die nächsten Schritte einzuleiten.“
Wie nehme ich meinem Kind die Angst, darüber zu sprechen?
„Zunächst musst du dir bewusst darüber sein, ob du wirklich bereit bist, das zu hören, was dein Kind dir sagen wird, denn das wird es spüren. Wenn du dich nicht dafür bereit fühlst, dann nimm eine Fachperson dazu. Wichtig ist, dass du keine Suggestivfragen stellst, wie zum Beispiel: „Hat XY das und das mit dir gemacht?“ Denn solche Fragen können später bei einem möglichen Verfahren negative Auswirkungen haben.
Und ganz wichtig: Gib deinem Kind die Zeit und den Raum, die bzw. den es braucht.“
Was kann ich tun, wenn mein Kind nicht darüber sprechen möchte?
„Auch das ist voll in Ordnung! Gib deinem Kind Zeit Raum und lass es selbst bestimmen, wann es darüber sprechen und was es erzählen möchte. Wenn es dir bzw. euch hilft, wende dich an eine Fachberatungsstelle in eurer Nähe.“
Wie gehe mit meinem Kind um, wenn es missbraucht wurde? Was hat dir geholfen?
„Mir hat geholfen, dass meine Mama sich damals selbst psychologische Unterstützung geholt hat. Dadurch konnte sie uns traumagerecht erziehen und selbst auch heilen. So etwas schafft man als Familie kaum allein! Holt euch Hilfe und schaut, was das Kind am besten braucht!“
Liebe Lena, vielen Dank, dass Du Dich so engagierst und unsere Fragen beantwortet hast!
Hier bekommst du Hilfe bei sexuellem Missbrauch
Wenn du den Verdacht hast, dass dein Kind Opfer von sexuellem Missbrauch ist, oder du selbst betroffen bist, kannst du dich an verschiedene Einrichtungen wenden. In vielen Fällen ist die Beratung auch vollkommen anonym möglich:
Hilfe-Portal sexueller Missbrauch: https://www.hilfe-portal-missbrauch.de/startseite
Hilfe-Telefon (anonym und kostenfrei): 0800 22 55 530
Mo, Mi, Fr: 9 – 14 Uhr
Di, Do: 15 – 20 Uhr
Childhood Häuser: https://www.childhood-de.org/
Weißer Ring: https://weisser-ring.de/
Echte Mamas Podcast: Ein Gespräch mit Dunkelziffer
Auch in dieser Folge unseres Echte Mamas Podcast geht es um den sexuellen Missbrauch an Kindern.
In einem Gespräch mit Vera Falck von Dunkelziffer e.V. stellen wir uns der schrecklichen Wahrheit. Wir reden über all das, über das wir am liebsten schweigen würden. Und das tun wir, weil es wichtig ist. Denn je mehr das Thema sexuelle Gewalt an Kindern zum Tabu wird, umso schwieriger wird es, Opfer zu erkennen und ihnen zu helfen. Zudem wird es Opfern durch das Schweigen erschwert, über das Erlebte zu sprechen und es so zu be- und verarbeiten.
Und hier könnt ihr direkt reinhören: