Heißt Vereinbarkeit, meine Kinder für 50 Stunden abzugeben?

„Immer mehr Kinder sind mehr als 35 Wochenstunden in der Kita“ – diese Schlagzeile bei Spiegel Online sprang mich heute Morgen direkt an. Puh, ganz schön viel, dachte ich. Noch nicht genug, stand im Text. Zumindest nicht, wenn das Ziel sei, dass Mütter und Väter beide in Vollzeit arbeiten. Stichwort Vereinbarkeit. Beim Lesen schoss mir sofort eine Frage in den Kopf, die mich in letzter Zeit schon häufiger beschäftigt hat. Heißt Vereinbarkeit wirklich (nur), dass ich meine Kinder möglichst lange abgeben kann, um 40 Stunden zu arbeiten? Irgendwie hatte ich davon immer ein anderes Verständnis – und bin gespannt, wie ihr das seht.

In den letzten 10 Jahren hat sich die Betreuungszeit um 30 % erhöht

 Laut Spiegel-Artikel wurden im Jahr 2024 in Deutschland insgesamt 3,9 Millionen Kinder in Kitas betreut – ganze 46 % davon mehr als 35 Stunden pro Woche. Das ist für uns Erwachsene fast ein Vollzeit-Job!

Genau dieses „Fast“ ist aber für viele der Haken, wenn es um das Thema Vereinbarkeit geht. Im Text wird unter anderem Bettina Kohlrausch zitiert, die wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

Aus ihrer Sicht sind die gestiegenen Betreuungszeiten zwar gut gleichzeitig sei aber „ein Teil des Betreuungsangebots mit einer Vollzeiterwerbstätigkeit beider Eltern nicht vereinbar.“ Weiter spricht sie von einer „völlig unzureichenden Betreuungsinfrastruktur“ und hält Forderungen, nach denen Eltern und besonders Mütter mehr arbeiten sollen, für „unglaubwürdig“.

Ist das einzige Ziel von Vereinbarkeit, seine Kinder möglichst lange abzugeben, damit Mama in Vollzeit arbeiten kann?

 In letzter Zeit kommt das relativ häufig so rüber, finde ich. Egal ob in diversen Posts bei LinkedIn oder in den Medien.

Bestimmt gibt es auch viele Mamas, die sich wünschen, (wieder) in Vollzeit zu arbeiten. Und ich weiß auch, dass einige darauf angewiesen sind. Aber ich bin mir sicher, mindestens genauso viele möchten ihre Kinder nicht jede Woche 45 Stunden oder länger in die Kita (oder Ganztagsschule mit Betreuung) schicken, damit sie selbst 40 Stunden arbeiten können.

Eine davon bin ich.

Ich möchte meine Kinder nicht nur morgens zum Frühstück und abends zum Abendbrot sehen, bevor sie dann völlig erschöpft ins Bett fallen. Natürlich hätte ich nichts gegen ein Vollzeit-Gehalt, und natürlich weiß ich, dass mein Teilzeit-Job für meine (eh schon kleine) Rente nicht unbedingt förderlich ist.

Trotzdem ist mir die Zeit mit meinen Kindern wichtig – und ehrlich gesagt ist es eh schon nicht viel. Meistens sind wir gegen 16 Uhr zuhause, oder es geht zum Schwimmen, Fußball oder Ballett. Was übrigens alles nicht möglich wäre, wenn ich mehr als meine 30 Stunden arbeiten würde.

Heißt also, meine Kinder hätten kaum Zeit mit Mama (und ich nicht mit ihnen) und erst recht keine Zeit für Hobbys. Einkaufen und Essen machen werden auch überbewertet, und der Haushalt kann schließlich auch bis 21 Uhr warten. Oder?

Abgesehen davon, dass für ein Kind 9 bis 10 Stunden in der Kita ganz schön anstrengend sein können. Denken wir mal daran, wie erschöpft viele Erwachsene schon sind, wenn sie von 9 bis 18 Uhr im Büro sind.

Bitte nicht falsch verstehen: Für alle Mamas, die das schaffen, habe ich riesigen Respekt!

 Und das meine ich ganz ehrlich. Nur mein Weg ist es nicht.

Ich weiß, dass es viele Mamas gibt, die gern in Vollzeit arbeiten – oder schlicht und einfach darauf angewiesen sind. Dementsprechend hat auch jede ihre eigene Vorstellung von Vereinbarkeit.

Deshalb ist es natürlich super und wichtig, daran zu arbeiten, dass es möglich ist bzw. wird. Damit jede Mama selbst entscheiden kann, ob sie es möchte oder nicht. Und kein starres System ihr Steine in den Weg legt.

Trotzdem irritiert es mich, dass beim Thema Vereinbarkeit inzwischen automatisch von einem Vollzeitjob für Mama die Rede ist.

Ich erkläre euch gern, was Vereinbarkeit für mich bedeutet:

Wenn ich an Vereinbarkeit denke, habe ich zuerst Punkte wie diese im Kopf:

Möglichkeit zum Homeoffice

Wenn eines meiner Kinder krank ist, rotieren in meinem Kopf sofort die Gedanken: Wie können wir das jetzt lösen? Kinderkrankentage sind begrenzt, man hat Abzüge beim Gehalt, und will die Kollegen nicht ständig hängenlassen. Zum Glück ist in meinem Job Homeoffice möglich. Seit die Kinder etwas größer sind, hat mich das schon wirklich oft gerettet.

Außerdem kann ich die Pausen nutzen, um Dinge von meiner toDo-Liste zu erledigen. Einkaufen, Wäsche machen, Termine vereinbaren usw. Dann bleibt mir nachmittags entsprechend mehr Zeit für meine Kinder.

Definitiv also ein wichtiger Punkt, wenn wir über Vereinbarkeit sprechen!

Flexible Arbeitszeiten

Sommerfest in der Kita, Weihnachtsfeier in der Schule, Präsentation der Projektwoche, Aufführung vom Ballett usw. – am liebsten alles ab 14:30 Uhr. Bei vielen Terminen fragt man sich wirklich, wie andere berufstätige Eltern das schaffen. Hier würde es schon sehr helfen, wenn die Organisatoren ein bisschen arbeitnehmerfreundlicher planen würden. Ohne meine relativ flexiblen Arbeitszeiten wäre es mir oft nicht möglich, bei solchen Veranstaltungen dabei zu sein – zumindest nicht pünktlich.

Das gleiche gilt übrigens für Arzttermine, sowohl für die Kinder als auch für mich.

Gesicherte Kinderbetreuung

Wenn beide Elternteile arbeiten, muss eine zuverlässige Betreuung der Kinder natürlich gewährleistet sein. Ohne Kita-Platz oder einem mit nur wenig Stunden ist das schlicht und einfach nicht möglich. Schließlich hat nicht jede Familie Oma und Opa oder andere Bezugspersonen, die regelmäßig einspringen können. Ein wichtiger Schritt wäre es also, dass ausreichend Kitaplätze und Erzieher*innen zur Verfügung stehen, damit Eltern ihr Recht auf einen Kitaplatz auch für jedes Kind in Anspruch nehmen können.

Das Gleiche gilt natürlich auch für Schulkinder. Ich habe neulich mal nachgerechnet: An insgesamt 66 Tagen hat die Schule meiner Kinder in diesem Jahr geschlossen! In keinem Job der Welt kann man (oder Mama) das mit dem Jahresurlaub abdecken. Unsere Lösung heißt Ferienbetreuung, die es an unserer Schule zum Glück relativ häufig gibt. Das ist leider nicht überall so und kann bei zwei Kindern auch ganz schön ins Geld gehen.

Und: Sobald die Kinder 12 sind, wird keine Betreuung mehr angeboten. Bei dem Gedanken daran, wird mir jetzt schon ganz anders.

Auf Wiedersehen, Gender Gap!

Ein wichtiger Punkt ist leider immer noch dir oft ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen. Denn so lange Papa im vergleichbaren Job deutlich mehr verdient als Mama, ist es fast schon logisch, wer für die Kinderbetreuung zurückstecken wird – wenn das nötig ist.

Deshalb wäre ein wichtiger Schritt in Richtung Vereinbarkeit, die Gehälter anzupassen. Vielleicht entscheiden sich dann ja mehr Väter dazu, ein paar Stunden weniger zu arbeiten, um mehr Zeit mit der Familie zu haben, und im Gegenzug können die Mütter ihre (Teilzeit-)Stunden aufstocken.

Das Ziel von Vereinbarkeit lässt sich für mich nicht in Stunden festlegen.

Vereinbarkeit heißt für mich, dass die Rahmenbedingungen es Müttern (und natürlich auch Vätern!) ermöglichen, flexibel zu arbeiten, mit fairer Bezahlung und ohne ständig das Gefühl zu haben, sich zwischen Kindern und Job entscheiden zu müssen. Beim Spagat zwischen Familie und Arbeit nicht immer den Druck und das schlechte Gewissen im Nacken zu haben.

Sondern eine Lösung zu finden, bei der beides möglich und Work-Life-Balance auch für Mama kein Fremdwort ist. Ganz egal, ob mit 20, 30 oder 40 Stunden die Woche.

Was bedeutet Vereinbarkeit für euch? Was ist euch besonders wichtig oder fehlt euch, um Familie und Job unter einen Hut zu bekommen? Welche Unterstützung wünscht ihr euch?

Schreibt es mir in die Kommentare, ich bin gespannt!
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Wiebke Tegtmeyer

Nordisch bei nature: Als echte Hamburger Deern ist und bleibt diese Stadt für mich die schönste der Welt. Hier lebe ich zusammen mit meinem Mann und unseren beiden Kindern. Nach meinem Bachelor in Medienkultur, einem Volontariat und einigen Jahren Erfahrung als (SEO-)Texterin bin ich passenderweise nach meiner zweiten Elternzeit bei Echte Mamas gelandet. Hier kann ich als SEO-Redakteurin meine Leidenschaft für Texte ausleben, und auch mein Herzensthema Social Media kommt nicht zu kurz. Dabei habe ich mich in den letzten Jahren intensiv mit dem Thema Ernährung von der Schwangerschaft über die Stillzeit bis hin zum Babybrei beschäftigt. Und wenn ihr auf der Suche nach einem Vornamen für euer Baby seid, kann ich euch garantiert passende Vorschläge liefern. Außerdem nutze ich die Bastel-Erfahrungen mit meinen beiden Kindern für einfache DIY-Anleitungen. Wenn der ganz normale Alltags-Wahnsinn als 2-fach Mama mich gerade mal nicht im Griff hat, fotografiere ich gern, gehe meiner Leidenschaft für Konzerte nach oder bin im Volksparkstadion zu finden.

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