„Die ADHS-Diagnose war eine Erleichterung, aber auch beängstigend“

Steffis* Tochter leidet an AHDS, ihr Sohn hat eine Autismus-Spektrum-Störung, und sie selbst ist auch von ADHS betroffen. Welche Anzeichen es bei den Kindern gab, wie der Weg zur Diagnose aussah, und mit welchen Herausforderungen die Familie zu kämpfen hat, hat Steffi uns erzählt:

„Meine Tochter Lara kam 2018 bei einer wirklich schlimmen Geburt zur Welt. Schon nach zwei Tagen hatte sie die volle Kopfkontrolle und war extrem Nähe bedürftig. Am Anfang habe ich das alles auf die Geburt geschoben.

Mit zwei Monaten fing der Horror dann an. Sie brüllte jeden Tag von 17 bis 22 Uhr und wollte durchgehend gestillt werden. Mit drei Monaten fing sie an, zu robben, mit fünf Monaten krabbelte sie, mit sechs Monaten konnte sie stehen und mit neun Monaten laufen.

Ab diesem Zeitpunkt war sie nicht mehr zu halten.

Lara war wirklich nur noch auf Achse. Als sie etwa 1,5 oder 2 Jahre alt war, beschwerte sich die Kita, dass sie sehr ruhelos sei und sich überhaupt nicht konzentrieren könne. Als sie 2,5 war, kam dann schließlich der Verdacht ADHS auf.

Seitdem sie 2 Jahre alt ist, ist sie bei der Ergotherapie und Logopädie. Nach einem Test an der Uniklinik, bei dem herauskam, dass Lara an ADHS leidet und außerdem hochbegabt ist, sollten wir ihr Medikamente geben – als einzige Therapie.

Aber das habe ich nicht mitgemacht!

Ich suchte uns eine Kinder- und Jugendpsychiaterin, zu der Lara mit 4,5 Jahren zur Therapie ging. Medikamente haben wir ihr erst kurz vor dem Schulstart gegeben, damit sie eine Regelschule besuchen konnte. Zum Glück haben wir einen mega tollen Lehrer erwischt, der Lara so nimmt, wie sie ist.

Anfangs habe ich mich sehr allein gefühlt.

Der Kinderarzt hat uns nicht verstanden, sich gegen eine Überweisung zum Sozialpädriatrischen Zentrum (SPZ) gewehrt, und die Ergotherapie erst nach langem Murren verschrieben. Erst fast 2 Jahre später hatte er ein Einsehen, und wir bekamen endlich die Überweisung.

Deswegen habe ich bei meinem Luca später die „Privatkarte“ gezogen und bin direkt zur Kinder- und Jugendpsychiatrie gegangen. Im Gegensatz zum SPZ benötigt ein Privatpatient hier nämlich keine Überweisung.

Mein Sohn Luca wurde kurz vor Corona im Februar 2020 geboren.

Das erste Jahr mit ihm lief super. Wir waren viel zu Hause und haben das Leben so gut es ging genossen. Ich war ja eh in Elternzeit.

2021 hat uns dann enorm gefordert. In der Nacht der Hochwasserkatastrophe hat Lara bei meinen Eltern übernachtet, die leider alles verloren haben. Natürlich haben wir sie bei uns aufgenommen und viel unterstützt. Das haben natürlich auch die Kinder mitbekommen

Seit diesem Zeitpunkt merkten wir, dass auch bei Luca etwas nicht stimmt. Er entwickelte eine enorme Ein- und Durchschlafstörung und war jede Nacht von 22 bis 5 Uhr wach. Ich versuchte, auf eigene Faust die Therapien von Lara durchzuziehen – geregelter Alltag, starre Regeln und Konsequenzen, wenig Zucker. Allerdings nur mit mäßigem Erfolg.

2023 wechselte Luca in der Kita von der Krippe in den Elementarbereich.

Parallel bekamen wir die Rückmeldung, dass es so nicht weitergehen könne.

Luca leckte Toilettenkabinen ab, matschte mit Wasser, lief weg, hörte nicht, war unkonzentriert und spielte nur allein neben der Gruppe. Dazu vermied er Blickkontakt, weigerte sich, Kindern die Hand zu geben usw.

Im Februar 2024 beantragten wir deshalb eine Integrationskraft und starteten die Diagnostik. Zwei Monate später bekamen wir dann die Diagnose Anpassungsstörung mit Verdacht auf Autismus-Spektrum-Störung. Diese ist inzwischen zu 85 % bestätigt, die Ärztin möchte allerdings mit der endgültigen Diagnose bis zur Schulanmeldung warten.

Die Integrationskraft in der Kita hilft Luca sehr.

Er bekommt dort Ergotherapie, Logopädie und hat eine Sprachförderkraft, außerdem sind wir nach wie vor bei der Kinder- und Jugendpsychiaterin.

Zuhause braucht er sehr starre Abläufe, trägt nur bestimmte Sachen, isst nur, wenn es sich für ihn richtig anfühlt. Wir passen uns an ihm an.

Ich hatte schon häufiger den Gedanken, dass ich meinen Kindern früher sehr ähnlich war.

Nach der Flut bekam ich Depressionen und merkte, dass meine Konzentration fast komplett weg war. Als ich mit Luca zum Diagnosegespräch war, fragte mich die Kinder- und Jugendpsychiaterin, wer von uns Eltern denn ADHS habe, da es oft vererbt wird. Ab diesem Zeitpunkt bin ich selbst zur Diagnostik gegangen. Drei Monate später war klar, dass auch ich ADHS habe, und ich bekam meine Medikamente.

Seitdem bin ich ein neuer Mensch, kann Geräusche ausblenden, mich besser konzentrieren und länger bei einer Sache bleiben.

Die Diagnosen waren eine Erleichterung – machten mir aber auch Angst.

Als ich Schwarz auf Weiß hatte, was mit meinen Kindern – und auch mit mir – los war, war ich im ersten Moment erleichtert. Ich wusste nun, dass ich mir das alles nicht einbilde, dass es nicht an falscher Erziehung oder an mir liegt – was ich mir von so manchen falschen Freunden vorher anhören durfte.

Danach bekam ich absolute Zukunftsangst. Ich fragte mich, wie wird es in der Schule? Und in der Ausbildung bzw. im Beruf? Ich kannte nur meinen schwierigen Weg ohne Therapie und Medikamente.

Leider sind die Kosten enorm hoch, denn wir sind privat versichert.

Wir müssen pro Jahr wirklich sehr viel bezahlen, denn die Sätze der PKV sind einfach zu niedrig. Die Ergotherapie kostet 400 Euro für zehn Einheiten, die Logopädie noch einmal 250 Euro. Das sind nur die Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden. Aber es hilft den Kindern einfach enorm.

Die Termine bei der Kinder- und Jugendpsychiaterin finden um 13 Uhr statt, wenn ich noch arbeite. Sie werden komplett von den Omas der Kinder übernommen, da wir seit über einem Jahr nach einem Pflegedienst suchen, der mich unterstützen kann. Trotz intensiver Suche finden wir niemanden, der Kinder abrechnen darf und Kapazitäten frei hat.

Ich kann allerdings nur aus Sicht der privaten Krankenkasse sprechen. Wir haben zwar schnell Termine bekommen, zahlen uns aber auch dumm und dämlich.

Im Alltag haben wir mit vielen Herausforderungen zu kämpfen.

Beide Kinder brauchen starre Routinen. Mal einfach viel später ins Bett zu gehen, klappt sehr schwer, und es braucht teilweise Tage, um danach wieder in den richtigen Trott zu kommen. Das können leider manche nicht verstehen. Für uns sind eben 19-Uhr-Termine der Supergau und kein „Ist ja nicht jeden Tag so, das können die schon mal ab“.

Außerdem sind unsere Kinder oft sehr laut, unkonzentriert und lernen Vieles durch Anfassen. Dazu kommt, dass Luca oft sozial nicht angepasst ist.

Wir bekommen öfter böse Blicke im Hinblick auf unsere „schlecht erzogenen Kinder“. Aber gerade Luca hat mit den Reizüberflutungen im Supermarkt sehr zu kämpfen. Somit kämpfe ich dann in dem Moment um mehr Toleranz, Akzeptanz oder auch einfach nur darum, dass andere uns nicht beachten.

Ich würde mir mehr Toleranz, weniger gut gemeinte Ratschläge und mehr Aufklärung wünschen.

Ich glaube, diese drei Dinge würden uns im Alltag sehr helfen. Wenn jeder etwas auf den Anderen Rücksicht nehmen und ihn mit all seinen Ecken und Kanten akzeptieren würde, dann wäre das Leben für so viele um einiges leichter.

Wie oft wird Luca von fremden im Supermarkt angefasst, getadelt usw. Er kann damit nicht umgehen, was dazu führt, dass die anderen mit seinen Reaktionen nicht umgehen können. Wie sollten sie auch, sie kennen mein Kind ja nicht.

Wenn es mehr Aufklärung gäbe, wüssten viele besser mit unseren besonderen Kindern umzugehen. Sie sind so liebevolle Wesen, die einfach nur den richtigen Platz in unserer Gesellschaft brauchen.

Liebe Mamas, sucht euch emotionale Unterstützung!

Das ist mein Rat an alle, deren Kindern von ADHS, ASS oder anderen gesundheitlichen Problemen betroffen sind. Ganz egal, ob im Freundeskreis, bei einem Psychiater oder bei Facebook. Denn eure eigenen Sorgen sollten nicht untergehen.

Versucht, euch ein Netzwerk aufzubauen, am besten auch mit anderen Eltern betroffener Kinder. Hier hilft man sich super gern gegenseitig und wird verstanden.

Scheut euch nicht, den Weg zu Ärzten zu gehen, auch die wollen in den meisten Fällen nur helfen. Außerdem gibt es mehrere sehr gute Podcasts, um sich zu informieren.

Und zum Schluss: Bleibt hartnäckig! Seid die Löwinnen für eire Kinder. Viele Ärzte wollen bzw. müssen sparen. Aber wenn ein Kind eine Löwenmama hat, kann es niemals verlieren!“


Liebe Steffi* (richtiger Name ist der Redaktion bekannt), vielen Dank, dass du deine emotionale Geschichte mit uns geteilt hast. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Gute für die Zukunft!

Echte Geschichten protokollieren die geschilderten persönlichen Erfahrungen von Eltern aus unserer Community.

WIR FREUEN UNS AUF DEINE GESCHICHTE!
Hast Du etwas Ähnliches erlebt oder eine ganz andere Geschichte, die Du mit uns und vielen anderen Mamas teilen magst? Dann melde Dich gern! Ganz egal, ob Kinderwunsch, Schwangerschaft oder Mamaleben, besonders schön, ergreifend, traurig, spannend oder ermutigend – ich freue mich auf Deine Nachricht an [email protected]

Wiebke Tegtmeyer

Nordisch bei nature: Als echte Hamburger Deern ist und bleibt diese Stadt für mich die schönste der Welt. Hier lebe ich zusammen mit meinem Mann und unseren beiden Kindern. Nach meinem Bachelor in Medienkultur, einem Volontariat und einigen Jahren Erfahrung als (SEO-)Texterin bin ich passenderweise nach meiner zweiten Elternzeit bei Echte Mamas gelandet. Hier kann ich als SEO-Redakteurin meine Leidenschaft für Texte ausleben, und auch mein Herzensthema Social Media kommt nicht zu kurz. Dabei habe ich mich in den letzten Jahren intensiv mit dem Thema Ernährung von der Schwangerschaft über die Stillzeit bis hin zum Babybrei beschäftigt. Und wenn ihr auf der Suche nach einem Vornamen für euer Baby seid, kann ich euch garantiert passende Vorschläge liefern. Außerdem nutze ich die Bastel-Erfahrungen mit meinen beiden Kindern für einfache DIY-Anleitungen. Wenn der ganz normale Alltags-Wahnsinn als 2-fach Mama mich gerade mal nicht im Griff hat, fotografiere ich gern, gehe meiner Leidenschaft für Konzerte nach oder bin im Volksparkstadion zu finden.

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