Wie bricht man den Kreislauf einer schwierigen Kindheit? Patchara musste genau das herausfinden, als sie selbst Kinder bekam. Aufgewachsen mit Strenge und Liebesentzug, stand sie plötzlich vor der Herausforderung, ihren eigenen Kindern genau das zu geben, was ihr immer gefehlt hatte.
„Ich bin die ersten vier Jahre meines Lebens in Thailand aufgewachsen – in einem Mehrgenerationenhaushalt mit meiner Stiefoma, meinem Opa, meiner Uroma, Tante und Onkel. Ich war nie allein, fühlte mich geborgen und liebte es, in dieser großen Familie zu sein.
Doch dann änderte sich alles schlagartig.
Eines Tages nahm meine Mutter mich mit nach Deutschland. Ich dachte, es sei ein Urlaub – bis ich sie fragte, wann wir wieder nach Hause zurückkehren würden. Ihre Antwort war kurz und endgültig: ‚Gar nicht. Wir bleiben hier.‘ Ich war überfordert, verwirrt und fühlte mich plötzlich entwurzelt. Es war eine der prägendsten Erfahrungen meines Lebens – und bis heute spüre ich ihre Auswirkungen.

Die kleine Patchara fühlt sich in ihrer Kindheit oft allein. Foto: Privat
Von einem Moment auf den anderen war ich weg von allem, was ich kannte. Keine vertrauten Menschen, keine Freunde, kein Kindergarten. Stattdessen ein fremdes Land, eine neue Sprache – und zum ersten Mal in meinem Leben sollte ich alleine in meinem Zimmer schlafen. Ich erinnere mich daran, wie ich abends vor der Tür meiner Mutter stand, meine kleine Hand zögernd in die Höhe hob – und dann doch nicht klopfte.
Ich hatte Angst.
Angst vor ihrer Reaktion, aber auch Angst davor, allein zu sein. Also blieb ich draußen stehen und ließ die Tränen leise laufen, wenn niemand hinsah.
In meiner Familie galt Weinen als Schwäche. Schwäche, die meine Mutter – damals alleinerziehend – nicht dulden konnte. Sie hasste es, wenn ich weinte. Nähe suchte. Geborgenheit brauchte. ‚Warum weinst du? Ist jemand gestorben?‘ – ‚Mein Gott, was ist denn jetzt schon wieder?!‘ – ‚Immer sind die anderen schuld!‘ Solche Sätze waren Alltag.
Liebe wurde nicht gegeben, sie musste sich verdient werden.
Und Entscheidungen? Wurden über meinen Kopf hinweg getroffen. Kind ist Kind, es hat zu folgen. Heute, als erwachsene Frau, weiß ich: Mir hat all das gefehlt. Die Liebe und Nähe meiner Mutter, die mich hätte auffangen sollen.
Die Mutter, die ich mir wünschte, gab es nicht. Es hat lange gedauert, das zu akzeptieren. Doch es war ein notwendiger Schritt, um mich endlich von diesem unerfüllbaren Wunsch zu verabschieden.

Aufmerksamkeit musste sich Patchara verdienen. Foto: Privat
Als ich selbst Mutter wurde, musste ich vieles erst lernen.
Ich wusste nicht, wie ich auf die starken Emotionen meiner Tochter Emily reagieren sollte – weil ich es nie erfahren hatte. Wie tröstet man ein Kind, wenn man selbst nie getröstet wurde? Wie reguliert man seine eigenen Gefühle, wenn man in seiner Kindheit nie gelernt hat, dass sie überhaupt Raum haben dürfen?
Vor allem das Zeigen von Gefühlen fällt mir schwer. Getröstet zu werden, in den Arm genommen zu werden – all das fühlt sich fremd an. So richtig bewusst wurde mir das Ausmaß meiner eigenen Prägung, als meine Tochter in die Autonomiephase kam. Ihre Wut, ihre Trauer – sie forderte etwas ein, das ich selbst nie bekommen hatte.
Doch anstatt ihre Gefühle abzuwerten, wollte ich es anders machen.
Ich las unzählige Bücher über Elternschaft, reflektierte mein Verhalten und suchte mir professionelle Hilfe. Heute hilft mir die EMDR-Therapie dabei, meine traumatischen Kindheitserinnerungen zu verarbeiten. Es ist ein langer Weg – aber ich gehe ihn. Für mich. Für meine Kinder.
Meine eigene Mutter reagierte zunächst erfreut auf ihr Enkelkind. Es kamen öfter Nachfragen, doch dann nahm das Interesse ab. Ich habe selbst gemerkt, dass ich oft Emily als Grund nahm, um ihr zu schreiben. Ich schickte Bilder, hielt sie über die Entwicklung auf dem Laufenden.
Dabei war es eigentlich nicht Emily die sie vermisste, sondern ich.
Mit der Zeit erkannte ich, dass meine Mutter sich nie ändern würde. Dass sie nicht die Fähigkeit oder den Willen hatte, das zu sehen, was sie mir angetan hat. Irgendwann hörte ich auf, um ihre Liebe zu kämpfen. Ich versuchte aber trotzdem noch länger, den Kontakt zu halten – vor allem wegen meiner Kinder.
Als meine zweite Tochter Mila geboren wurde, sagte ich ihr, dass ich mir Sorgen mache, weil ich nicht wusste, wohin mit meiner Erstgeborenen während der Geburt. Ihre Reaktion? Schweigen. Später erfuhr ich, dass sie in dieser Zeit Urlaub hatte – sich aber nicht ein einziges Mal anbot, zu helfen.
Als meine zweite Tochter Mila zur Welt kam, wurde das von ihr lediglich zur Kenntnis genommen.
Als ich sie einlud, kam sie für einen kurzen Besuch vorbei, zeigte wie immer wenig Interesse an mir, stellte kaum Fragen. Danach lagen mir so viele Fragen auf den Lippen, schließlich war ich nun selbst Mutter.
Ich wollte sie verstehen. Ich wollte wissen, warum sie zu mir war, wie sie war. Also schrieb ich ihr eine lange Nachricht, öffnete mein Herz, erzählte ihr von meiner Sehnsucht nach ihr – nach einer Mutter, die mich liebt. Dass ich mir mehr Kontakt wünsche und dass ich sie liebe.

Patchara wendet sich mit liebevollen Worten an ihre Mama. Foto: Privat
Es kam nichts zurück.
Keine Antwort. Kein Anruf. Nichts. Eigentlich wusste ich es. Eine Woche später hatte ich Geburtstag. Sie gratulierte mir mit einer kurzen Nachricht. Danach blockierte sie mich.

Das Letzte, was Patchara, von ihrer Mama hört, bevor sie blockiert wird. Foto: Privat
Was ich anderen Eltern mitgeben möchte:
Liebesentzug ist emotionale Gewalt. Viel zu oft wird das unterschätzt – dabei kann es tiefgreifende Schäden hinterlassen. Wenn Eltern einem Kind vermitteln, dass es nur unter bestimmten Bedingungen liebenswert ist, zerstört das sein Selbstbild.
Ich habe lange geglaubt, dass mit mir etwas nicht stimmt. Dass es gerechtfertigt war, dass meine Mutter mich nicht lieben konnte. Dass ich es nicht verdient habe. Heute, als 36-jährige Frau und Mutter zweier wundervoller Töchter, weiß ich: Das war nicht meine Schuld.
Deshalb ist es mir so wichtig, darüber zu sprechen.
Ich wünsche mir, dass mehr Menschen ihre eigene Kindheit hinterfragen – sich Hilfe holen, wenn sie merken, dass alte Muster ihr eigenes Elternsein beeinflussen. Denn der erste Schritt, ein Generationstrauma zu durchbrechen, ist Erkenntnis. Und der zweite: der Wille, es anders zu machen.

Patchara ist heute für ihre Kinder, die Mama, die sie selbst gebraucht hätte. Foto: Privat
Wir alle machen Fehler.
Doch die Frage ist, ob wir sie reflektieren – oder sie einfach weitergeben. Ich habe mich entschieden: Meine Kinder bekommen die Mutter, die ich mir selbst so sehr gewünscht hätte.”
Liebe Patchara, vielen Dank, dass wir deine berührende und ermutigende Geschichte erzählen durften. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!
Wenn ihr mehr über Patchara erfahren möchtet, schaut gerne bei ihrem Instagram-Profil @patchara_suntana vorbei!
Echte Geschichten protokollieren die geschilderten persönlichen Erfahrungen von Eltern aus unserer Community.
WIR FREUEN UNS AUF DEINE GESCHICHTE!
Hast Du etwas Ähnliches erlebt oder eine ganz andere Geschichte, die Du mit uns und vielen anderen Mamas teilen magst? Dann melde Dich gern! Ganz egal, ob Kinderwunsch, Schwangerschaft oder Mamaleben, besonders schön, ergreifend, traurig, spannend oder ermutigend – ich freue mich auf Deine Nachricht an [email protected]