Offener Brief an Friedrich Merz: Bitte vergessen Sie Kinder und Eltern nicht!

Nach den Neuwahlen am vergangenen Sonntag steht fest: Die CDU ist der Wahlsieger und wird der führende Part der neuen Regierung werden. Mit wem die Partei von Friedrich Merz koaliert, steht noch nicht fest. Eins sehen wir aber bereits jetzt ganz deutlich: Familienpolitik stand nicht gerade im Zentrum des CDU-Wahlkampfes. Und wir haben die Befürchtung, dass diese Themen auch im kommenden Koalitionsvertrag nicht genügend Beachtung finden. Das bereitet uns große Sorgen, denn die Probleme der Familien in diesem Land müssten mit Entschlossenheit angegangen werden. Deshalb wenden wir uns heute mit einem offenen Brief an Merz und seine Partei.

Lieber Friedrich Merz,

“Links ist vorbei”, haben Sie einen Tag vor der Wahl laut und deutlich gesagt. Es gäbe unter Ihnen keine linke Mehrheit und keine linke Politik mehr in Deutschland. Und: Sie wollen wieder “Politik für die Mehrheit der Bevölkerung machen, die gerade denken kann und die auch noch alle Tassen im Schrank hat” (1).

Ihre Aussagen machen uns Angst. Warum?

Weil sie soziale Eiseskälte transportieren. Wir befürchten: Unter Ihnen als Kanzler und in einer CDU/CSU-geführten Regierung wird es keine soziale Familienpolitik geben. Unsere Probleme, mit denen wir täglich kämpfen, werden einfach ignoriert und als unwichtig abgetan. Und dabei bräuchten wir so dringend mehr Unterstützung seitens der Politik – und nicht weniger!

Bitte beweisen Sie uns das Gegenteil, wenn Sie “Politik für die Mehrheit” machen wollen.  Die Mehrheit, das sind nämlich wir Frauen in diesem Land (50,7 %) (2) – und sehr viele von uns sind gleichzeitig Mamas.

Für „die Mehrheit“ brauchen wir Feuereifer bei diesen Themen:

  • Bildungsmisere & Vereinbarkeit: Unsere Kitas und Schulen befinden sich in einem katastrophalen Zustand (7). Der Fachkräftemangel ist dramatisch – bis 2030 werden bis zu 88.000 (3) qualifizierte Betreuungskräfte fehlen. Aufgrund des Fachkräftemangels haben wir heute schon 430.000 Kitaplätze in Deutschland zu wenig. In den Schulen sind marode Gebäude, Lehrermangel und mittelmäßige Bildungsergebnisse an der Tagesordnung. Wie sollen unsere Kinder so eine faire Chance auf Bildung und Entwicklung haben? Plus: Wir können uns nicht aufs Betreuungssystem verlassen. Unvorhersehbare Schließzeiten erschweren unser tägliches Leben. In Ihrem Wahlprogramm war bereits wenig darüber zu lesen, wie Sie dem entgegentreten wollen. Unser Appell: Bitte nehmen Sie dieses Thema mit in die Koalitionsverhandlungen – und entwerfen Sie einen soliden Plan, wie Sie dem Fachkräftemangel begegnen wollen.
  • Kinderarmut: Drei Millionen Kinder in Deutschland sind von Armut bedroht oder betroffen – jedes fünfte Kind unter 18 Jahren! Das ist ein Armutszeugnis für eines der reichsten Länder der Welt. Sie haben die Kindergrundsicherung als „Irrsinn“ (4) bezeichnet. Und ja, wir wissen auch, dass man sich über dieses Konzept streiten kann. Aber in Ihrem Wahlprogramm finden wir wenig dazu, wie Sie dieses Armutsproblem stattdessen angehen wollen. Auch beim Thema Elterngeld kündigt Ihre Partei im Wahlprogramm nur “Verbesserungen” (5) an, sagt aber nicht, wie hoch die ausfallen sollen. Unser Appell: Bitte vergessen Sie die Ärmsten der Armen nicht – wir hoffen dringend auf konkrete Maßnahmen (am besten in Euros ausgedrückt) in Ihrem Koalitionsvertrag!
  • Kündigungsschutz nach Elternzeit: Der Kündigungsschutz nach der Elternzeit ist in Deutschland löchrig wie ein Schweizer Käse. Arbeitgeber finden immer Wege, Eltern nach der Rückkehr aus der Elternzeit loszuwerden. Wo bleibt hier der Schutz für Familien? Unser Appell: Bitte sorgen Sie dafür, dass wir sorglos in Elternzeit gehen können, ohne um unsere Jobs bangen zu müssen. Familiengründung darf nicht zum Existenzrisiko werden – sonst haben wir alle keine Zukunft!
  • Familienstartzeit: Bei Geburt eines Kindes sollen Eltern 10 bezahlte Arbeitstage frei nehmen können – das sieht eine EU-Richtlinie vor, die schon längst hätte umgesetzt werden müssen. Bis heute gibt es in Deutschland keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub für Väter oder gleichgestellte Elternteile. Wir warten sehnsüchtig darauf – aber in Ihrem Wahlprogramm war keine Rede von einer zügigen Umsetzung. Unser Appell: Bitte nehmen Sie dieses Thema auf die Agenda der kommenden Legislaturperiode.
  • Steuergerechtigkeit für alle Familienformen: In Ihrem Wahlprogramm schreiben Sie so wohlklingend für unsere Ohren, die CDU/CSU wolle “(…) unterschiedliche Lebensentwürfe respektieren. Verantwortung und Vielfalt gehören für uns zusammen. Nicht nur in klassischen Familien, sondern auch in Patchwork- und Trennungsfamilien sowie bei Alleinerziehenden und in gleichgeschlechtlichen Beziehungen werden Werte gelebt, die grundlegend für unsere Gesellschaft sind.” – dann lassen Sie doch diesen schönen Worten Verbesserungen folgen und beenden Sie die steuerliche Benachteiligung dieser Familien! Stattdessen halten Sie ausdrücklich am Ehegattensplitting fest. Das ist eine eklatanten Benachteiligung und Politik von vorgestern! Unser Appell: Beenden Sie diese Ungerechtigkeit!

Um es nochmal auf den Punkt zu bringen…

Kinder stören in Deutschland!

Und werden strukturell vernachlässigt. Hinzu kommt: Wir Familien geben uns alle Mühe, den “Laden zusammenzuhalten” und unsere Zukunft großzuziehen. Aber wir benötigen dringend mehr Hilfe dabei. Es geht um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und darum, unsere Kinder mit besseren Startchancen, mehr Chancengleichheit und besseren Rahmenbedingungen auszustatten.

Und ihnen nicht das Gefühl zu geben, am Rand der Gesellschaft zu stehen, mit Bedürfnissen, die von der Politik einfach wegignoriert werden.

Wir appellieren daher eindringlich an Sie: Helfen Sie uns! Erinnern Sie sich daran, wofür das „C“ in Ihrem Parteinamen  steht – und nehmen Sie soziale Familienpolitik in den Fokus. Setzen Sie sich im kommenden Koalitionsvertrag mit aller Kraft dafür ein, dass Familien endlich die Unterstützung bekommen, die sie so dringend brauchen. Investieren Sie in Bildung, Betreuung und echte Armutsbekämpfung, wenn Ihnen die Zukunft unserer Kinder wirklich am Herzen liegt. Viele Jugendliche haben – mit Sicherheit auch aus diesem Grund – bei der Wahl links gewählt (6), bitte ignorieren Sie das nicht.

Es ist höchste Zeit, als Gesellschaft zusammenzurücken.

Das wird aber nur gelingen, wenn Sie die Realität von Familien in diesem Land wahr- und ernstnehmen.

Handeln Sie jetzt und vermitteln Sie uns den Glauben daran, dass Sie uns sehen und uns nicht mit unseren Alltagssorgen alleine lassen.

Mit hoffnungsvollen Grüßen,

Echte Mamas

Helft uns, diese Themen sichtbarer zu machen – und teilt unseren Aufruf gern auf euren Kanälen:

Quellen:

(1) https://www.merkur.de/politik/gruene-und-linke-spinner-viel-kritik-fuer-verstoerende-merz-rede-zr-93587623.html
(2) https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2023/PD23_46_p002.html
(3) https://www.zeit.de/gesellschaft/familie/2023-11/kinderbetreuung-kita-fachkraeftemangel-studie-bertelsmann-stiftung
(4) https://www.n-tv.de/politik/Merz-nennt-Kindergrundsicherung-Irrsinn-article24361469.html
(5) https://www.politikwechsel.cdu.de/sites/www.politikwechsel.cdu.de/files/docs/politikwechsel-fuer-deutschland-wahlprogramm-von-cdu-csu-1.pdf (S. 60)
(6) https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundestagswahl-2025-die-jungen-waehlen-links-die-alten-die-union-a-ba4b0053-732b-4a2d-9579-43ac8367e828
(7) https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/bundestagswahl-2025-bildung-parteien-wahlprogramm-100.html

Ilona Utzig

Ich bin Rheinländerin, lebe aber seit vielen Jahren im Hamburger Exil. Mit meiner Tochter wage ich gerade spannende Expeditionen ins Teenager-Reich, immer mit ausreichend Humor im Gepäck. Wenn mein Geduldsfaden doch mal reißt, halte ich mich am liebsten in Küstennähe auf, je weiter nördlich, desto besser.

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