Sind Wartezimmer Virenhöllen und machen mein Kind noch kränker?

Winter ist die Jahreszeit, vor der ich regelrecht Angst habe. Denn Jahr für Jahr heißt es dann: Oh du fröhliche Schnupfenzeit! Im Winter schniefen, triefen, niesen wir Menschen sehr viel mehr vor uns hin als im Sommer, und wenn es uns und unsere Kinder allzu sehr plagt, geht es ab zum Arzt.

Genau das ist es, was mich das Fürchten lehrt: Mit dem ohnehin schon angeschlagegenen Kind in ein kleines, überhitztes Wartezimmer, zu den vielen fremden Kranken, die nur noch mehr Erreger absondern, die – so meine Vorstellung – ungehindert ihren Weg ins System meines Kindes finden, sich dort zu den bereits existierenden und bekämpft werdenden Keimen gesellen und das arme Immununsystem vollends überfordern.

„Wir gehen mit einem Virus zum Arzt und kommen mit drei anderen Viren und einer bakteriellen Infektion wieder nach Hause!“, klage ich oft. Die Konsequenz: Meine Kinder müssen ihre Erkältungen selbst kurieren. Nur bei meines Erachtens wirklich sehr, sehr großem Leiden machen wir uns auf den Weg zum Kinderarzt.

Doch was ist dran an dieser Angst? Wie hoch ist das Risiko, sich dort noch mehr Krankheiten einzufangen?

Tatsächlich ist das Risiko nicht zu verachten, meint auch Prof. Dr. Hermann Girschick, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Vivantes-Klinikums in Berlin: „In der Zeit der Luftwegsinfektionen vom Herbst bis zum Frühjahr eines Jahres kursieren in der Bevölkerung in der Regel eine Vielzahl von Viren gleichzeitig. Heute stehen hierzu statistische Daten zur Verfügung, die zeigen, dass es sich dabei in der Regel um etwa fünf bis zehn verschiedene Viren und entsprechende Infektionserkrankungen der Luftwege handeln kann. Hinzu kommen auch noch bakterielle Infektionen, die sich oft im Anschluss an eine Virusinfektion zusätzlich entwickeln können“.

Dass man sich, wenn man bereits erkältet sei, nicht nochmal anstecken könne, sei ein weit verbreiteter Irrglaube, so der Experte weiter. Auch schon überstandene Infektionen schützten nicht: „Ist das Kind bereits infiziert, dann könnten bakterielle Infektionen zu einer darüber liegenden, einer sogenannten ‚Superinfektion‚ führen. Es ist aber auch durchaus bekannt, dass ein Patient mehrere Viren gleichzeitig, z. B. in seinem Bronchialsystem, bei einer Infektion in sich trägt. Je näher der räumliche Kontakt, desto höher ist die Ansteckungswahrscheinlichkeit. Leider hinterlassen früher abgelaufene virale Infektionen der Luftwege oft keine dauerhafte Abwehrkraft, so dass nach wenigen Monaten eine erneute Infektion möglich ist.“

Darum rät der Mediziner dazu, mindestens ein oder zwei Meter Abstand zu anderen kranken Menschen zu halten – im gut besuchten Wartezimmer während der Erkältungszeit also durchaus eine Herausforderung. Allerdings sei das nicht nur dort ein Problem, sondern auch in der vollen Bahn oder an anderen öffentlichen Orten.

Zumindest eine kleine Entwarnung gibt Girschick aber, wenn es um das Spielzeug beim Kinderarzt geht: „Die Wahrscheinlichkeit, sich über den Kontakt mit Türklinken, Zeitschriften und Spielsachen mit klassischen Luftwegsinfektionen anzustecken, ist eher als gering anzusehen. Allerdings beherbergen Sekrete aus dem Luftwegsbereich naturgemäß diese Viren weiterhin.“ Der ungünstigste Fall: Wenn ein Kind auf ein gerade gelesenes Buch hustet, ein anderes Kind das relativ schnell danach anfasst und sich dann die tränenden Augen reibt.

Darum ist es trotzdem klüger, Spielzeug von Zuhause mitzubringen, um mit dem kranken Kind die Wartezeit zu überbrücken. Und noch ein paar Tipps gibt es, um nicht kranker vom Arzt nach Hause zu gehen als man hingegangen ist:

  • Lüften: Die Hitze im Wartezimmer trocknet die Schleimhäute aus, die dann noch empfindlicher gegenüber der Viren sind. Wenn es sonst niemand macht: Ab zum Fenster und ein paar Minuten frische Luft reinlassen. Aber bitte vorher Bescheid geben, damit die anderen Muttis ihren fiebernden Kindern zuerst schnell eine Mütze überziehen können.
  • Hände desinfizieren: Wer beim Betreten und Verlassen der Praxis Desinfektionsmittel benutzt, schützt sich und andere.
  • Hände bei sich behalten: Es mag sich unhöflich anfühlen, aber man sollte niemandem die Hand schütteln – auch nicht dem Arzt oder der Ärztin.
  • Kugelschreiber mitnehmen: Wer ein Formular ausfüllen muss und dafür seinen eigenen Stift nimmt, ist auf der sicheren Seite.
  • Rausgehen: Noch besser, als vor Ort zu warten, ist es, nochmal eine Runde zu drehen. Die Sprechstundenhilfe kann meistens abschätzen, wie lange es ungefähr noch dauert und wann man spätestens zurück sein sollte.

Aber wie bei allem im Leben gilt auch hier: Alles mit Maß und Ziel…. Wer jetzt panisch anfängt, jede Haltestange im Bus zu desinfizieren, sich die Hände wund wäscht und mit dem halbtoten Kind lieber zuhause abwartet statt ärztlichen Rat einzuholen, hilft Niemanden, im Gegenteil.

So habe sogar ich mit meinem fiebernden, hustenden und röchelnden Baby den verhassten Weg zum Kinderarzt angetreten. Es hat Medizin bekommen und war drei Tage danach wieder topfit – ganz ohne Zweitinfektion oder bakterielle Superinfektion.

Rebecca

Schon seit rund einer Dekade jongliere ich, mal mehr, mal weniger erfolgreich, das Dasein als Schreiberling und Mama. Diese zwei Pole machen mich aus und haben eines gemeinsam: emotionale Geschichten!

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