Heute war ich das erste Mal bei meinem Rückbildungskurs. Um mich herum lauter frisch gebackene Mamas mit ihren Babys.
Bisher kannte ich nur den sogenannten Geburtsvorbereitungskurs, an dem ich im heißen Frühsommer mit vor hängender, dicker Kugel teilnahm. Die rhythmischen Tritte meines Bauchbewohners hinderten mich oft daran, die uns vorgegebenen Boden- und Atemübungen durchzuführen. Ich kam mir auch ziemlich idiotisch vor, als ich vor allen anderen Mamas lauthals ein- und ausatmen sollte, um die mir bald bevorstehenden Geburtswehen „wegzuatmen“ .
Jetzt also Rückbildung. Kaum angekommen im Wartebereich der Hebammenpraxis lauschte ich den Gesprächen der mir unbekannten Neu-Mamas.
Es war irgendwie süß, denn viele kannten sich aus vorab besuchten Kursen nur als hochschwangere „Beuteltiere“ und konnten es nur mit Mühe erwarten, ihre neuen Erlebnisse bezüglich des Lebens mit Baby auszutauschen.
„Und wie geht´s dir so?“ fragte eine Mama ganz neugierig eine andere.
„Uns geht es super,“ antwortete die Mutter mit funkelnden Augen voller Freude und Stolz, bevor sie ergänzte: „Wir haben so ein…. Anfängerbaby.“
Mir rutschte ein Kloß in meinen von einem Schal bedeckten Hals. Um meine Emotionen zu tarnen, spielte ich am Handy.
Anfängerbaby. Da war es wieder. Das Wort, das mich verfolgt.
Denn ich habe ein temperamentvolles Kind. Ein sehr temperamentvolles Kind. Andere würden es auch als Schreikind bezeichnen, aber ich hasse diesen Begriff.
Gibt es um mich herum denn nur Neu-Eltern, die nicht wissen, was es bedeutet, vor dem Herausziehen des Autoschlüssels aus dem Zündschloss mindestens zehn Mal ins Schwitzen zu geraten und es sich fünf Mal zu überlegen, ob man aussteigt oder doch lieber noch eine Runde fährt, weil das Baby ausnahmsweise so lieb und ruhig schläft?
Ich versuchte, meine negativen Gedanken zu verscheuchen, um möglichst motiviert in die Vorstellungsrunde zu starten. Ich war weniger erstaunt darüber, wie frisch alle Frauen Mamas geworden waren (die meisten vor gerade mal zwei, drei Monaten) als darüber, wie gelassen und fit sie wirkten.
Als ich an der Reihe war, stellte ich mich wie folgt vor:
„Hallo. Mein Name ist Mona, ich bin 28 Jahre alt und habe meinen Sohn Lenny im August geboren.“ Schnell fielen mir die fragenden Blicke auf, deshalb schoss ich hinterher: „Und ich bin nur so spät mit der Rückbildung dran, weil meine Geburtsverletzung schlecht verheilt ist UND weil ich ein sehr temperamentvolles Kind habe.
Dass ich damit eine Laola-Welle unter den Mama-Witzen startete, war mir nicht bewusst, denn die mir unbekannten 10 bis 12 Mamas inklusive der Hebamme begannen, herzlichst zu lachen.
Eigentlich wollte ich nicht witzig sein – es war mein Ernst. Aber gut.
Die erste Stunde Rückbildung war alles in allem toll. Ich habe die mir vorgegebenen Übungen gemacht und, obwohl ich mich manchmal fühlte, als wäre ich Teilnehmerin im überholten Videodreh zu „Call on me“, war es Balsam für meine Seele, endlich wieder etwas für mich zu tun.
Obwohl ich alles nur noch unter voltgeladener Hochspannung erledige und abarbeite (sei es Wäsche waschen, essen oder Zähne putzen) habe ich versucht, nicht darüber nachzudenken, ob es meinem Mann Daniel und unserem Sohn Lenny gut geht. Ich weiß eigentlich, dass sie ein eingespieltes Team sind.
Zu Hause angekommen war der Kleine gerade dabei, seine über alles geliebte Abendflasche zu trinken, und ich erfuhr, dass Daniel und Lenny spaßige und tolle andertalb Stunden zusammen hatten. Im Schlafanzug und Langarmbody brachte Daniel ihn anschließend in sein gemütliches Beistellbettchen, wo er sich schlummernd in seine Träume pupste.
Aus irgendeinem Grund saß ich abends traurig und weinend auf dem Sofa. Ich fand es unfair, dass andere Mamis, denen ich begegne, immer von ihren entspannten Babys erzählen – wohingegen ich mich fühle, als wäre ich der Looser vom Dienst. Als wäre ich Schuld daran, einem unruhigen Jungen das Leben geschenkt zu haben, weil ich zum Beispiel nicht gestillt habe.
Völliger Blödsinn, ich weiß. Aber dennoch bin ich manchmal einfach ohne Autopilot unterwegs und verfluche das Schicksal, dass es unser kleiner Schützling im Gegensatz zu den vielen „Anfängerbabys“ so schwer hat.
Bauchschmerzen, Verstopfung, ständiges Spucken und die intensiven Entwicklungsschübe – begleitet von Sab-Tropfen, Kümmelzäpfchen, Pups-Globuli, Plazenta-Globuli, Andickungsmittel und Schlabberlätzchen – sind häufige Gründe für die gerechtfertigte Unzufriedenheit des Kleinen.
Um so mehr fällt uns ein Stein vom Herzen, wenn wir an Tagen wie heute sein Lächeln sehen, seinem Gebrabbel zuhören und hautnah dabei sind, wenn er seine Füße entdeckt um sie vielleicht schon bald mit dem eigenen Mund erkunden kann.
„Bringt eure Kinder ruhig mit, ich schunkel gerne eines, falls ihr keinen Babysitter habt,“ bot die Hebamme beim Rückbildungskurs an.
Inmitten der durch Kopfgenicke zustimmenden Neu-Mamis saß ich, und für mich war sofort klar, dass temperamentvolle Babys sich sicherlich nicht von jedem Menschen dieser Welt schaukeln und beruhigen lassen. Ich lasse ihn also besser auch beim nächsten Mal zu Hause.
Und trotzdem: Wir sind stolz zu wissen, dass das Lachen unseres Sohnes von tiefstem Herzen kommt und dass wir ihn in unseren Armen trösten können, wenn er sich unwohl fühlt. Wir sind stolz darauf, einen Sohn zu haben, der uns bedingungslos liebt und der trotz seiner anstrengenden Phasen unser größtes Glück, schönstes Geschenk und die Liebe unseres Lebens ist.
Oder wie mein Mann Daniel zu mir so schön sagte, als ich vor Erschöpfung weinte:
Wir geben ihm all unsere Liebe, all unsere Aufmerksamkeit und all unser Vertrauen. Er weiß das, und er liebt uns dafür. Jedes Lächeln ist für uns ein Triumph, jedes Gebrabbel ein Seelenkuss und jedes spätere „Ihr seid die besten Eltern“ unser Leitfaden.“
Mona, 28, aus Nordrhein-Westphalen ist seit August 2017 Mutter eines temperamentvollen Sohnes, wie sie selbst sagt. In ihrem Blog Planvoll-planlos erzählt sie von ihrem oft schwierigen Alltag, um anderen Mamas in der gleichen Situation Mut zu machen.