Bei uns zu Hause herrscht des Öfteren die Befehlsform. An meine Aufgaben als Mama erinnert meine vierjährige Tochter mich unter anderem mit folgenden Worten: „Saft!“ „Treppentor aufmachen!“ „Zieh mir die Schuhe aus!“
Natürlich nervt mich dieser Ton. Kann sie nicht wenigstens Bitte sagen? Nein, ganz häufig kann sie das nicht. Warum sollte sie auch? Leider weiß ich, dass sie mich nur kopiert. Wie oft schmettere ich morgens durch den Flur: „Anziehen!“ Am Tisch: „Aufessen!“ und abends am Bett: „Liegenbleiben!“ Ein Bundeswehroffizier ist nichts gegen mich. Da bin ich also nicht besser als mein Kind und regelmäßig ein ziemlich schlechtes Vorbild.
Leider wird einem mit dem frisch geborenen Kind ja auch diese Rolle zugewiesen, ob man will, oder nicht: Mütter sind Vorbilder. Kinder brauchen Orientierung und wir – als allererste und wichtigste Bezugsperson neben dem Vater – geben sie ihnen. Und wenn die Kleinen von uns eine bestimmte Ausdrucksweise hören, ist das für sie eben die Sprache der Wahl. Dabei hat das ja auch etwas Gutes: Wir haben es bis zu einem gewissen Grad selbst in der Hand, wie unsere Kinder sprechen.
Deshalb habe ich auch schon andere Seiten aufgezogen. Eine Zeit lang zog sich das Wort „Bitte“ durch den ganzen Tag. „Bitte schubse deinen Bruder nicht“. „Räum bitte dein Geschirr weg“ und „Fass den fremden Hund bitte nicht an“. Erfolg? Fehlanzeige. Das Erstaunliche war: Je mehr ich bat und bettelte, desto weniger wurde ich erhört. Und selbst verwendete meine Tochter das Wort Bitte auch nicht öfter.
Wie ich es machte, schien es falsch – das war mal wieder eines der typischen Mutter-Gefühle, die mich nun seit fast fünf Jahren begleiten.
Mittlerweile lerne ich aber immer besser aus solchen Zwiespalt-Gefühlen:
1. Es kommt auf die Situation an
Eine höfliche Bitte kann, theoretisch, auch abgelehnt werden. Sie lässt zu, dass der, der um etwas gebeten wurde, dies ablehnt – es ist ja nur eine Bitte. Man erwartet aber gerade dann, dass die Bitte erfüllt wird. Aus Höflichkeit. So weit die Theorie.
Praktisch sieht es so aus: „Bitte lauf nicht auf die Straße“ erfordert keine Höflichkeit. Sondern striktes Befolgen, denn sonst wird es lebensgefährlich. Also gehört hier kein Bitte hin. Meine Tochter kann mittlerweile gut unterscheiden zwischen vier höflichen Bitte und einer klaren Anweisung. „Bitte gib mir die Butter“ funktioniert zwar nicht immer, aber immer öfter.
2. Ich höre mir selbst beim Reden zu…
… und erschrecke: „Los, mach das jetzt endlich!“ Habe ich gerade wirklich so mit meinem Kind gesprochen? Will ich, dass man so mit mir spricht? In solchen Fällen schalte ich einen Gang runter und überlege, welche Worte jetzt wirklich angemessen sind. Meistens merkt meine Tochter dann ziemlich schnell, dass ich nun wirklich mit dem ganzen Kopf für sie da bin und ihre Bedürfnisse erkannt habe. Das ist oft schon die halbe Miete und der Konflikt ist behoben.
3. Ich bin lieber Vorbild- als Mecker-Mama
Es ist mir in der Öffentlichkeit eher peinlich, mein Kind zu ermahnen. Das musste mir aber auch erst einmal klar werden. Alte Damen, die erwartungsvoll auf meine Tochter starren, weil sie ihr gerade einen Lolli geschenkt haben, finde ich unangenehm. Und meine Kleine sieht das wohl auch so. Deshalb bekommt sie auch kein Danke heraus. Und deshalb übernehme ich das jetzt einfach. Damit bin ich für meine Tochter wieder das Vorbild und der Dank ist gesagt. Irgendwann wird sie das übernehmen. Mit Vier muss sie es aber noch nicht.
4. Kleinen Befehlshabern komme ich mit Humor
„Mama, Saft!“. Ich gucke meine Tochter an, mit ganz vielen Fragezeichen im Blick. „Mama, Saft!!!“ Ich: „Mamasaft??? Saft wird doch aus Früchten gepresst, oder? Kann man ihn auch aus Mamas pressen? Ich will kein Saft werden. Tut das weh? Und wonach würde ich dann schmecken? Würdest du wirklich Saft aus mir trinken? Welche Farbe ich wohl hätte? Und wenn ich der Saft wäre, wer würde ihn dir dann geben?“ Genervtes Augenrollen. „Mama, kann ich bitte ein Glas Saft haben?“ „Achsooooo. Sag das doch gleich“.
Zugegeben: Dieser Vortrag fiel mir erst nach dem dritten Mal „Mama, Saft!“ ein. Aber dann wirkte er ziemlich nachhaltig. Sich einfach etwas begriffsstutzig anstellen reicht meistens auch: „Saft? Oh ja lecker. Ich hole mir ein Glas.“
5. Lösung gegen Bettelei
Ich bin auch schon in Betteleien verfallen. „Ziehst du dich bitte an?“. Kurz danach: „Bitte zieh dich an!“. Etwas später: „Bitte! Kind, zieh dich an!“ Mal von der Situation abgesehen, zu der es keine Alternative gab, so kam ich nicht weiter. Auch als ich das Bitte weg ließ, meine Tochter hüpfte lieber in Unterhose durchs Wohnzimmer, als endlich zu frühstücken. Und ich hatte, ehrlich gesagt, keine Lust mehr. Ich hätte es auch der Wand erzählen können. Das hätte genau so viel gebracht.
Es passiert mir immer noch manchmal, dass ich meine Tochter genervt anbettele. Aber häufig versuche ich jetzt in solchen Situationen die Flucht nach vorn. Im oben beschriebenen Fall durfte meine Tochter sich in Unterhose an den Tisch setzen. Es dauerte dann keine zwei Minuten, bis es ihr zu kalt war und sie sich ziemlich schnell und ganz allein anzog.
Dieser Text stammt von unserer freien Autorin Julia Jung.