Dass man mit Kindern oft an seine Grenzen stößt, wissen wir alle. Wo diese Grenzen überall verlaufen, war mir bis vor Kurzem allerdings nicht klar.
Ich brachte meine fast fünfjährige Tochter ins Bett, wir lasen eine Geschichte, in der ein Großvater starb. An sich war das Thema Tod für sie bisher keine große Sache: Menschen und Tiere kommen danach in den Himmel und gut. Und wer alt oder schwer krank ist, muss damit rechnen zu sterben – da ist meine kleine Große ziemlich resolut und wenig emotional.
Warum auch? In ihrer Vorstellung ist da oben die ganze Zeit Wiedersehensparty. Erst war nur der Vogel dort, der eines Tages vor unserer Haustür lag – zerfleddert, angenagt und eindeutig tot. Der bekam kurz darauf Gesellschaft von meinem Opa, den meine Tochter gerade noch im Krankenhaus kennengelernt hatte. Und seit letztem Herbst sind sie schon zu dritt. Dazu kam der Hund meiner Mutter. Besonders traurig schien das für meine Tochter nicht zu sein. Natürlich liegt es auch daran, dass ihre emotionale Bindung zu diesen Dreien nicht sehr groß war.
Dann aber am besagten Abend: „Mama. Wenn man tot ist, was ist man dann im Himmel?“
Ich saß an ihrem Bett und das Kinderzimmer um uns herum wurde plötzlich sehr, sehr groß. Runde Augen guckten mich fragend an, dick eingekuschelt in ein rosa Daunenkissen. „Also“, sagte ich und fühlte mich plötzlich schlimmer als in der mündlichen Französisch-Abschlussprüfung. Tief Luft holen. „Also. Ähm. Man ist hier zwar tot, aber im Himmel lebt man wieder irgendwie…“
Mann, war ich schlecht! Ich überlegte fieberhaft, ob ich jetzt das Thema Seele ins Spiel bringen sollte. Waren wir beide nicht schon viel zu müde für solche Gespräche?
Da kam die Rettung. Ich hatte wohl zu lange nachgedacht, und meiner Tochter war schon wieder etwas Neues durch den schrecklich wachen Kopf gegangen: „Was gibt es denn im Himmel zu essen eigentlich?“ Ich atmete innerlich auf. Puh! Themenwechsel. „Also zu essen gibt es im Himmel alles, was man will. Auch Süßigkeiten!“ Mit dieser Antwort war sie dann zufrieden. Ich las die Geschichte noch zu Ende und sie schlief ein.
Und ich dachte nach. Das mit den Süßigkeiten konnte ich so stehen lassen. Sollte mir doch jemand mal das Gegenteil beweisen. Die Sache ist ja so: Wir haben alle keine Ahnung vom Leben nach dem Tod. Sicher kann man Vieles glauben. Ich persönlich glaube aber nichts, sondern lasse es auf mich zukommen. Wird schon nicht so schlimm sein.
Aber Kindergartenkinder wollen die ganze Welt verstehen und geben sich kaum mit so einer Antwort zufrieden. Meine Tochter würde es jedenfalls nicht tun. Ich beschließe, dass der Glaube an den Himmel eine gute Sache ist und daran erst einmal nichts geändert wird.
Denn was ist, wenn jemand stirbt, der ihr nahe steht? Dann müssen wir gemeinsam trauern können. Meine Tochter wird dann realisieren, dass diese Person nie mehr für sie da sein wird. Und in diesem Fall, so hoffe ich, sind der Himmel, die Willkommensparty und die Süßigkeiten eine kleine Hilfe. So eine Zeit wird schon traurig genug für sie und uns.
Und ich komme zu dem Schluss, dass meine Antwort doch nicht so schlecht war. Hier auf der Erde ist man tot, und im Himmel lebt man dann wieder. Man muss es ja nicht noch komplizierter machen, als es schon ist.
Ein paar Tage später am Frühstückstisch. Meine Tochter, Müsli-kauend: „Und wenn wir auf dem Friedhof begraben sind, sind wir dann nicht im Himmel?“ Ich, noch im Halbschlaf und in diesem Moment eigentlich nur froh über Kaffee und friedliche Kinder, kam nun um das Thema „Seele“ nicht mehr herum und erklärte: Dass wir nicht nur einen Körper haben, sondern auch eine Seele. Und dass die sozusagen unser „Ich“ ist. In unserem Inneren. Großer Fehler! „Ist die im Bauch? Wo ich auch drin war? Und wie kommt die Seele dann wieder raus? Aus der Scheide?“
Ich überlege jetzt ernsthaft, noch einmal Philosophie zu studieren. Oder Theologie. Oder Gynäkologie.“
Dieser Text stammt von unserer freien Autorin Julia Jung.