Meine Tochter hat ein Schneckenhaus gefunden und es mir geschenkt. Es liegt in meiner Hand und ich betrachte es. Wie gerne würde ich da jetzt rein kriechen. Nicht mehr da sein. Nicht mehr die Mutter sein, die immer schimpft. Von da drinnen würde meine Stimme nur noch ganz leise sein. Und niemanden mehr verletzen.
Meine Mama-Wut würde sich nicht mehr über die Familie ergießen wie heiße Lava. Den Frieden zerstören und Traurigkeit hinterlassen. Niemand müsste mehr Angst vor mir haben, weil ich dann ja ganz winzig und harmlos in meinem Schneckenhaus säße. Meine Familie könnte zufrieden in ihrem Chaos leben, sich durch Dreckwäsche-Berge wühlen und wahrscheinlich nicht einmal merken, dass niemand ihnen hinterherräumt. Ich bekäme mit meinem Schneckenhaus einen netten Platz auf dem Sideboard.
Moment. Hey! Was ist los? Ist es so schlimm?
Ja. Manchmal schon. Die Mama-Wut sitzt in meinem Bauch und ist heiß und schmerzhaft. Sie lodert auf, wenn ich schon morgens von einem Kind angemault werde, weil ich den falschen Joghurt auf den Tisch gestellt habe. Sie flammt durch meine Brust, wenn ich sehe, dass mein Mann vergessen hat, die schweren Wasserkästen in den Keller zu stellen und sie nun im Weg stehen. Sie bricht sich ihren Weg nach draußen, wenn zwei Kinder sich gleichzeitig weigern, Schuhe und Jacken anzuziehen.
Dann explodiere ich.
Bin laut und ungerecht. Hasse mich kurz danach für diesen Ausbruch. Und wünsche mir das Schneckenhaus.
Und dann? Ich versuche es, als es in meinem Bauch schon wieder gefährlich heiß wird. Ich schließe die Augen, ich will nicht mehr. Ich antworte auf keine Kinderfrage, ich drehe mich weg, sehe aus dem Fenster in die Bäume. Ich atme schnell und mir wird schwindelig. Aber ich brülle meine Kinder nicht an. Nicht schon wieder. Zu oft habe ich jetzt die Bestürzung in ihren Augen gesehen, wenn der Mama-Vulkan ausbrach und sie viel zu viel Mama-Wut abbekamen.
Ich schlucke die Wut wieder herunter, ich drücke sie mit aller Kraft weg, versuche das Positive zu sehen. Meine kleine Familie, das Glück, dass wir uns haben, niemand ist ernsthaft krank und alles läuft so, wie wir es uns gewünscht haben.
Warum habe ich dann negative Gefühle?
Warum geht es mir so schlecht? Die Wut, die ich herunter geschluckt habe, köchelt nun auf kleiner Flamme in meinem Bauch. Weg ist sie nicht.
Bin ich schuld an diesem Gefühl? Bin ich etwa jähzornig oder egoistisch und reagiere deshalb so? Nein, bin ich eigentlich nicht. Aber ich stelle meine Bedürfnisse den ganzen Tag hinten an. Ich nehme mir keine Zeit, mal an mich zu denken. Oder auch über mich nachzudenken. Mit dem Mama-Sein tritt man ein in eine Phase der Fremdbestimmtheit. Kinder können ihre Bedürfnisse nicht zurückstellen. Sollen sie auch gar nicht.
Aber das führt dazu, dass ich es schon entspannend finde, abends alleine abwaschen zu können. Weil ich dann nicht noch gleichzeitig auf die Kinder aufpassen muss. Autofahrten ohne Kinder sind für mich, was andere Wellness-Urlaub nennen. Wenn alle schlafen, sitze ich mit müden Augen vorm Fernseher und versuche, diese Stunden zu genießen. Dann ist es aber im wahrsten Sinn des Wortes schon zu spät dafür.
So ist das Mama-Leben, wir wissen es alle. Manche kommen damit immer gut klar, andere nicht. Mir raubt der Stress manchmal die Kraft. Kraft, die brauche, um guter Dinge zu sein. Und dann kommt eines zum anderen: Erst ist es Müdigkeit, dann Joghurt auf dem Boden, dann Frust, dann verbummelte Handschuhe. Und dann die Mama-Wut.
Ich kann meine kleinen Kinder nicht für eine Woche zu den Großeltern schicken, nur, um wieder gute Laune zu haben. Will ich auch gar nicht. Aber ich kann etwas anderes tun: für mich sprechen. Meine Gefühle benennen und erklären. Auch meinem Mann gegenüber. Sagen, dass ich nicht immer stark sein kann. Dass auch Mamas mal schlechte Laune haben und wütend werden. Dass es mich so sehr nervt, jeden Tag im Chaos zu stehen. Dass ich mir auch mal Verständnis wünsche und nicht nur ständige Forderungen.
Ich muss aber auch Verständnis für mich selbst haben. Niemand kann immer gute Laune haben. Keine Familienwohnung ist immer vorzeigbar. Also Fünfe grade sein lassen, wenn ich merke, dass ich dem Chaos gerade mal nicht gewachsen bin.
Und ich muss sagen, dass ich eine Pause brauche. Dass ich an diesem Samstag den ganzen Nachmittag für mich will. Ein paar Stunden, in denen ich spazieren gehe, im Café einen Tee trinke, mich ins Bett kuschle und die Tür abschließe.
Im Bett ist es doch auch weitaus bequemer als in einem Schneckenhaus.