Mein erstes Kind hatte es mir leicht gemacht. Sie war fast immer gut drauf, trank viel und war rundum gesund. Das machte mich wiederum zu einer entspannten Mutter: Selbst wenn es mal nicht so rund lief, blieb ich locker. Und so blickte ich auch in die Zukunft: „Ich schaffe das“, dachte ich.
Bis mein Mädchen ungefähr sieben Monate alt war. Sie konnte sich drehen und begann nun, sich auf diese Art auch fortzubewegen. Mehr oder weniger unkoordiniert kullerte mein Baby durch den Raum. Dabei legte sie keine großen Strecken zurück. Mal hin und her, mal nur im Kreis… ihr Radius war wirklich überschaubar. Vor allem war sie nicht wirklich schnell.
Warum ich das so genau erzähle? Weil ich mich total verschätzt hatte – obwohl ich den ganzen Tag mit meinem Baby zusammen war und es gut kannte. Und das dieser Tag für uns beide böse endete.
Mein Baby-Mädchen lag auf dem Bett. Ich räumte das Schlafzimmer auf und hatte sie in die Mitte des großen Ehebettes gelegt. Sie spielte, guckte mir zu und war wenig bewegungsfreudig. Ich musste kurz etwas ins Bad bringen, welches direkt gegenüber vom Schlafzimmer liegt. Ich konnte also das Bett vom Bad aus sehen.
Plötzlich ein Rumms und der Schrei meiner Tochter! Sie war vom Bett gefallen und weinte bitterlich. Wie konnte das passieren? Ganz einfach: Ich hatte nicht aufgepasst. Ich hatte im Bad etwas aufgeräumt und mein Kind zu lange aus den Augen gelassen. Sie war bis zum Rand des Bettes gerollt und dann ins Leere gestürzt. Auf den Teppich zum Glück, aber trotzdem. Ich. Hatte. Nicht. Aufgepasst!!!
‚Ich war schuld, dass es ihr schlecht ging. Ich hatte einen Fehler gemacht! Weil ich immer viel zu locker und unbedacht mit meinem Kind war. Was für eine schlechte Mutter war ich bloß!‘ Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, während ich heulend mein Baby im Arm hielt, das sich schon lange wieder beruhigt hatte.
Aber wer wusste schon, ob nicht etwas Schlimmes passiert war? Gehirnerschütterung? Haarriss in der Schädeldecke? Bluterguss unter der Schädeldecke? Rippenbruch? Panik war gar kein Ausdruck für das, was ich empfand. Schluchzend rief ich den Kinderarzt an. Und registrierte erstaunt, wie routiniert die Assistentin meine Unfallbeschreibung aufnahm.
Kurze Zeit später war ich in der Praxis. Und erwartete mindestens ein Donnerwetter vom Arzt. Schließlich wird man ja immer darauf hingewiesen, dass man sein Baby nicht unbeaufsichtigt liegen lassen soll. Schon gar nicht, wenn es mobil wird.
Aber es kam kein Donnerwetter. Im Gegenteil. Der Arzt begrüßte meine Tochter mit „Na, du kleiner Sturzbomber, dann wollen wir mal gucken, ob alles in Ordnung ist“. War es zum Glück. Ein Ultraschall des Kopfes und die üblichen Untersuchungen zeigten, dass sie den Sturz unbeschadet überstanden hatte. Nur auf die Anzeichen einer Gehirnerschütterung sollte ich bis zum nächsten Tag achten.
Zu mir sagte der Arzt, dass er fast täglich solche Fälle hat und es sehr vielen Eltern mal passiert. Und meistens geht es gut aus. Der Schreck der Mütter und Väter ist meistens viel größer als der der Kinder.
Ich war erleichtert. Und fühlte mich trotzdem schlecht. Weil ich einen Fehler gemacht hatte. Weil ich nicht aufgepasst hatte. Weil mir die Ordnung im Bad wichtiger war als mein Kind. Und so weiter und so fort..
Mein Glück waren meine Mütter-Freundinnen. Kaum beichtete ich mein Erlebnis, fielen allen ähnliche Geschichten ein. Einige Babys waren schon vom Bett gefallen. Eines stieß sich den Kopf am Türrahmen, als die Mutter mit ihm in der Trage zu schnell unterwegs war. Eine Mama hatte ihrer Tochter beim Nägelschneiden die Haut verletzt.
Erleichtert stellten wir alle fest, dass wohl niemand fehlerfrei durch die Mutterschaft kommt. Und das machte mich wieder locker. So locker, wie ich vorher war. Allerdings mit einer großen Portion Wachsamkeit dazu.