„Nach und nach bestätigte sich mein Verdacht: Mein scheinbar gesundes Kind ist behindert.“

Oft gibt es keine Anzeichen dafür, dass ein Kind mit einer Behinderung zur Welt kommen wird – trotz alles Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft. So war es auch bei der „Echten Mama“ Sarah* (38) aus Hannover. Hier erzählt sie ihre Geschichte:

„Ein ‚besonderes‚ Kind zu haben ist eine besondere Verantwortung. Das wird mir jeden Tag wieder bewusst, und trotzdem empfinde ich es meist nicht als Belastung. Ich verbringe mehr Zeit mit meinem Sohn als andere Mütter, und das ist trotz aller Sorgen und Nöte ein Geschenk.

Ein Geschenk war es auch, als ich 2013 endlich positiv testen durfte – und das an meinem 33. Geburtstag! Den gekühlten Sekt überließ ich da natürlich gerne meinem Mann und meinen Freundinnen.

Die Freude über die Schwangerschaft kannte keine Grenzen, aber natürlich hatte ich dieselben Fragen und Ängste wie wohl jede Schwangere: Ist mein Baby gesund? Entwickelt es sich normal?

Am Ende jeder Vorsorgeuntersuchung wurden beide Fragen mit einem klaren ‚JA‘ beantwortet. Meinem Baby ginge es super, der kleine Knirps entwickele sich prächtig. Beim großen Organscreening und der Nackenfaltenmessung genau das gleiche: Alles wäre in bester Ordnung.

Beschwerden hatte ich während der neun Monate ebenfalls keine. Weder die gefürchtete Schwangerschaftsübelkeit noch sonstige Schwangerschaftsprobleme bekam ich zu spüren.

Es gab also absolut keine Anzeichen dafür, dass uns ein schwerer Weg bevorstehen würde. Wir hatten keine Zeit, uns darauf vorzubereiten, dass unser Kind nicht sein würde wie andere Kinder.

Am 21. November 2013 wurde unser Sonnenschein scheinbar gesund geboren. Mein Mann und ich waren so verliebt in ihn, schwebten im totalen Glück! Wir genossen die Zeit zu dritt und konnten uns gar nicht sattsehen an diesem kleinen Wesen, das unser Leben jetzt schon so bereicherte.

Am Anfang sah man meinem Sohn nicht an, dass er krank war. Symbolfoto: Bigstock

Nach zwei Wochen fiel uns allerdings auf, dass unser Sohn den Kopf nicht nach links drehte. Weil uns das ziemlich seltsam vorkam, gingen wir zum Kinderarzt. Der beruhigte uns, meinte, er hätte eben eine Schokoladenseite. Wir sollten ihm ein Handtuch in den Rücken legen, dann gebe sich das bald.

Wir versuchten es, aber für unseren Sohn war das eine fürchterliche Quälerei. Es tat uns im Herzen weh, und so machten wir uns wieder auf den Weg zum Kinderarzt. Dort hieß es dann, er habe eine Plagiocephalie, also eine Verformung des Kopfes.

Der nächste Weg führte also zum Kinderorthopäden. Dort machte man eine Aufnahme des Kopfes, die nächste Diagnose hieß: Atlasblockade. Diese Blockade betrifft den Wirbel, der hauptsächliche den Kopf stützt. Diese konnte aber angeblich gelöst werden.

Kurz darauf aber fing etwas anderes an, das uns fast noch größere Sorgen machte: Unser Sohn entwickelte Zuckungen. Er zuckte mit den Armen und Beinen! Natürlich hatten wir schon vom Moro-Effekt gehört, unserer Meinung nach war das allerdings nicht die Ursache. Der Kinderarzt sah das anders. Er erklärte uns, das sei nicht so schlimm, manche Kinder hätten das, weil sie ihre Gefühle nicht ausdrücken könnten.

Im Laufe der Zeit wurden die Zuckungen aber nicht besser, außerdem kamen Entwicklungsstörungen dazu, die auch der Kinderarzt nicht übersehen konnte. Unser Baby hatte Schwierigkeiten, Laute und später Worte zu bilden, das Krabbeln lernte er erst sehr, sehr spät, mit dem Laufenlernen ging es auch überhaupt nicht voran.

Nun hat ja jedes Kind sein eigenes Tempo, unser Sohn aber sprengte jeden Rahmen. Während die Gleichaltrigen schon auf ihren eigenen zwei Beinen herumwuselten, kam er kaum auf alle Viere. Seine ersten Schritte tat er mit 2,5 Jahren.

Um seinen Entwicklungsstörungen entgegenzuwirken, bekam er Frühförderung und Logopädie. Damit wurde es zwar besser, aber aufholen konnte er den Rückstand nicht. Auch die Zuckungen blieben.

Schließlich wurden wir ins Sonderpädagogische Zentrum geschickt, dort gab es dann die Diagnose, dass unser kleiner Schatz mit seinen vier Jahren einen unterdurchschnittlichen IQ hat. Die Zuckungen sind ebenfalls nichts Harmloses, sondern haben ihre Ursache entweder in einem Gendefekt oder in einer Schädigung des Gehirns.

Eine endgültige Diagnose haben wir noch nicht, die bekommen wir erst im Sommer. Aber egal, was dabei herauskommt, er wird immer etwas Besonderes sein.

Es ist eine Belastung, nach so vielen Jahren immer noch nicht zu wissen, was die Entwicklungsstörungen genau auslöst. Trotzdem mache ich den Ärzten keine Vorwürfe. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass wir eher zu einem Neurologen geschickt worden wären. Ansonsten haben wir meiner Meinung nach Glück und gute, engagierte Mediziner erwischt, die alles versuchen, um der Ursache auf den Grund zu gehen.

Wie auch immer die Diagnose lauten wird, für meinen Mann und mich ist das Leben mit ‚besonderem‘ Kind inzwischen normal. Wir kennen es nicht anders.

Seit er in den Kindergarten geht – in eine Integrations-Gruppe, in der er eine Heilpädagogin zur Seite hat –, haben wir den Vergleich mit anderen Kindern und bemerken, dass er motorisch größere Schwierigkeiten hat, und eben auch, was das Weltverständnis angeht. So erklären wir vieles ganz genau und auch öfter. Unser Sohn versteht manche Dinge nicht oder kann sie nicht zuordnen.

Vom Charakter her ist er eher ängstlich und hat Schwierigkeiten, Neues auszuprobieren. Er macht lieber nur Dinge, bei denen er sich sicher fühlt. Umso schöner ist es, dass er im Kindergarten gut aufgenommen wurde und in ’seiner‘ Pädagogin eine Bezugsperson gefunden hat.

Trotzdem hängt er noch sehr an mir, so dass ich nur zwei bis drei Mal die Woche arbeiten kann. Aber es ginge ja ohnehin nicht, eine Vollzeit-Stelle anzunehmen, weil ich sonst wegen der ganzen Arzt-Termine viel zu oft ausfallen würde.

Ansonsten versuchen wir, trotz seiner Entwicklungsstörungen einen halbwegs normalen Alltag zu leben. Wir spielen viel, gehen oft raus und auf den Spielplatz. Dort kam es aber leider schon zu unschönen Situationen: Die Zuckungen meines Sohnes wirken auf andere eher befremdlich. Eine Mutter hat ihre Tochter schon mal weggezogen und gesagt: ‚Ich möchte nicht, dass du mit dem Kind spielst, der ist krank!‘

Das tat mir im Herzen weh! Wie erklärt man so etwas seinem Kind? Das machte ihn sehr traurig – und das, obwohl er normalerweise so fröhlich durchs Leben geht, dass ich ihn jeden Tag dafür bewundere. Er steckt uns so oft an mit seiner guten Laune!

Darum bitte ich alle anderen Mütter: Wenn ihr ‚besondere‘ Kinder seht, dreht euch nicht weg. Haltet eure Kinder nicht von ihnen fern. Lasst sie zusammen spielen, denn auch solche Kinder haben ein Recht auf Freunde!

*Name von der Redaktion geändert

Rebecca

Schon seit rund einer Dekade jongliere ich, mal mehr, mal weniger erfolgreich, das Dasein als Schreiberling und Mama. Diese zwei Pole machen mich aus und haben eines gemeinsam: emotionale Geschichten!

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