Lena ist kein normales Kind, sondern ein „ganz besonderer Lottogewinn“, so ihr Papa. Er ist das Ein und Alles der mittlerweile 12 Jahre alten Lena, die einen sehr seltenen Gendefekt hat.
SYNGAP1 heißt dieser Defekt und er kommt weltweit weniger als 400 Mal vor. Lena selbst stört das nicht und das fröhliche Mädchen mischt das Leben ihrer Familie ganz schön auf, obwohl sie „anders“ ist. Anders heißt in ihrem Fall, dass sie sich deutlich langsamer entwickelte, auf dem Stand eines Kleinkindes ist, epileptische Anfälle hat und nur wenige Worte sprechen kann. Sie kann sich nicht lange konzentrieren und freut sich über kleine Dinge des Lebens, wie verschiedene Kissen oder ihren Talker, und sie liebt es, Bus zu fahren. Ihre Familie geht sehr offen mit ihrer Krankheit um, ihr Vater schreibt einen Blog über das Leben mit SYNGAP1.
Doch so leicht wie die eigenen Familienmitglieder nehmen es nicht alle. So wurde ihr Vater durch die Facebook-Community zum Helden erklärt, weil dieser seine Tochter vor einem unhöflichen Mädchen in Schutz nahm, das sie im Bus getroffen hatte.
Dabei hat er selbst den Vorfall gar nicht miterlebt, sondern natürlich Lena selbst und deren Oma. Gemeinsam waren sie in den öffentlichen Verkehrsmitteln in Nordrhein-Westfalen unterwegs, für Lena jedes Mal ein großes Erlebnis: „Für Lena sind Busfahrten nicht die schnöde Möglichkeit von Ort A nach Ort B zu kommen. Für Lena sind Busfahrten die Teilnahme am ,normalen‘ Leben. Für Lena sind Busfahrten ein Abenteuer. Für Lena sind Busfahrten das Allergrößte.“
Dabei liebt sie es, Mitfahrer zu beobachten und sich neugierig umzusehen: „Keine bösen Blicke. Keine hässlichen Blicke. Nein, Blicke aus Interesse und Neugier. Blicke voller Zuneigung, weil Lena jeden Menschen mag.“
Selbstverständlich trafen diese Blicke auch einige Mädchen, die ungefähr in Lenas Alter zu sein schienen. Sie alberten herum und waren dementsprechend wohl kaum zu überhören und zu übersehen, wie Lenas Papa in einem offen Brief an das Mädchen und seine Freundinnen schrieb, den er auf Facebook teilte: „Nachdem Deine Freundinnen und Du den Bus zu Eurem persönlichen Spielplatz gemacht habt, was für mich vollkommen ok ist, und Ihr immer wieder kreuz und quer die Plätze innerhalb des gesamten Busses wechseltet, wecktet Ihr wohl auch gelegentlich Lenas Interesse.“
Das entging den Mädchen offenbar nicht und wie man weiß, verlässt pubertäre Mädchen manchmal der gesunde Menschenverstand und auch die normale Portion Respekt.
Eines der Mädchen, das an welches der Brief gerichtet ist, ging schließlich zu Lenas Oma und sprach sie an: „Du (…) sagtest, dass Lena Euch gefälligst nicht die ganze Zeit anschauen solle. Ihr – besonders Deine Freundin – würdet Euch dadurch belästigt fühlen.“
Eine Unverschämtheit, natürlich. Das wollte die Familie von Lena nicht auf sich sitzen lassen und so kam es, weil Lenas Oma zu überrumpelt war, um zu reagieren, zur späten Antwort über die Sozialen Medien.
Zuallererst entschuldigt sich Lenas Vater: „Es tut mir unendlich leid, dass es euch unangenehm war.“
Danach erklärt er, dass er hofft, dass das Mädchen irgendwann mal selbst Kinder hat: „Vielleicht sitzt Du auch irgendwann im Bus oder auch anderswo. Mit Deinem Kind. Vielleicht ist es gesund, vielleicht auch behindert. Aber sicher wird es mit seinen Augen die Welt erkunden. Vielleicht kommst Du dann auch mal in diese Situation, in der jemand etwas Gleichartiges oder noch Schlimmeres zu Deinem Kind und Dir sagt. Ein Moment, in dem Du merken wirst, dass aus Deinem Herzen und besonders aus dem Herzen Deines Kindes ein ganz kleines Stück herausbricht. Ich wünsche es Dir nicht, denn es ist ein wirklich trauriges Gefühl.“
Dennoch, so sagt er, ist das der Hauptgrund dafür, regelmäßig seinen Blog zu füttern. Er möchte, dass alle Menschen erkennen, dass auch Kinder mit Behinderung eine Bereicherung sind und dass sie so normal wie möglich behandelt und akzeptiert werden.
Dass die Worte über das „busfahrende Mädchen“ so viele bewegt und berührt haben, freut die Familie von Lena sehr. Darum gab es noch ein Update, mit Dank: „Was sich aus diesem Post entwickelte, konnte niemand erahnen. Der berühmte Flügelschlag eines Schmetterlings, der etwas viel Größeres auslöste. Aber diesmal etwas unglaublich Positives. Bewusstsein für den Umgang mit geistig gehinderten Menschen. Bewusstsein für SYNGAP1. Und die Erkenntnis für Eltern betroffener Kinder, dass eben doch die meisten Menschen ihren Kindern offen und ohne Vorurteile entgegentreten. Manchmal unsicher und mit Berührungsängsten, aber niemals böse und/oder verächtlich.“
Und das ist wohl das Schönste an dieser Geschichte.