„Genieße es, so lange sie klein ist. Genieße jeden Moment! Sie wird so schnell groß sein.“ Wie oft ich diesen Satz gehört habe, seit ich Mama bin, weiß ich nicht. Ich weiß natürlich genau, wie er gemeint ist. Und wie wahr, auf der einen Seite: Ich bin schon jetzt manchmal erstaunt, wie schnell aus meinem winzigen Baby diese wilde, freche, wunderbare Dreieinhalbjährige geworden ist. Die ich so sehr liebe, wie ich es mir nie hätte vorstellen können.
Und trotzdem habe ich nicht jeden Moment genossen, wenn ich ganz ehrlich bin. Und tue es auch heute nicht. Ich kann es nicht. Manchmal bin ich müde, manchmal frustriert. Und wütend! Manchmal bin ich so wütend.
Und ganz ehrlich: Es genießt doch niemand wirklich, nachts stündlich aufzustehen, oder? Niemand liebt es von ganzem Herzen, wenn das Kind in seiner Verzweiflung eines Trotzanfalls gerade „völlig durchdreht“. Niemand schreit laut „Yeahhh!“, während er spätabends den Hochstuhl von Breiresten entfernt und dabei überlegt, ob es eigentlich zu dekadent wäre, ihn einfach wegzuwerfen und einen neuen zu besorgen. Man macht das alles selbstverständlich und auch gerne für seinen kleinen Schatz – aber genießen ist hier vielleicht das falsche Wort, oder?
Ich habe eine Freundin, deren Sohn bereits ein Teenager ist. Sie kennt das alles aus eigener Erfahrung, keine Mama-Verzweiflung ist ihr fremd. Vor kurzem hat sie mir die Augen geöffnet, was ich WIRKLICH genießen sollte, solange meine Tochter klein ist: Ihre Liebe zu mir. Denn diese wird wirklich nie, nie wieder so rein, so bedingungslos, so unerschütterlich sein.
Noch ist es meiner Tochter kein bisschen peinlich, mir mit einem laut geschmetterten „Meine Mami ist daaaaaaaa!“ quer durch die Kita in die Arme zu laufen.
Noch unterbricht meine Kleine regelmäßig spontan ihr Spiel, um mir schwungvoll auf den Schoß zu springen: „Kurz Kuscheln!“
Noch sagt sie Dinge wie: „Du bist meine allerbeste Freundin und Papa ist mein allerbester Freund!“ Und meint sie ganz ernst.
Noch darf und kann nur ich kleine Kratzer mit einem Pusten, einem Kuss und einem Einhorn-Pflaster so versorgen, dass sie gleich viel weniger tun.
Noch wandert ein müdes, verwuscheltes Mäuschen jede Nacht in unser Bett und stemmt dort ihre heißen Füßchen gegen uns.
Ich könnte diese Aufzählung noch unendlich fortführen. So so so viele Situationen, die meisten herzerwärmend und rührend. Es gibt allerdings auch Tage, an denen mich ihre starke Abhängigkeit von mir und ihre Fixierung auf mich („Mama. Mama. Mamaaaaa!“) eher ermüdet. Physisch und psychisch. So schlimm das auch klingt.
Aber wenn ich dann denke, dass ich nicht mehr kann, dass ich dieses eine verdammte Buch nicht NOCH EINMAL vorlesen mag oder eigentlich gerade gar keine Zeit habe, „untätig kuschelnd“ auf der Couch zu liegen mit diesem schweren, heißen Kinderkörper auf mir – dann denke ich an meine Freundin.
Denn sie sagte zu mir: „Mein Sohn nennt mich nicht mehr ,Mami`, wenn andere dabei sind. Er überhäuft mich nie mehr mit Küssen, schon ein schnelles Bussi ist eine Seltenheit. Und er hat mit Sicherheit keine Zeit mehr dazu, mit mir auf dem Sofa zu liegen und zu kuscheln. Er liebt mich natürlich noch, das weiß ich – aber seine Liebe hat sich verändert.“
Mir wurde bewusst: Noch bin ich das Zentrum des kleinen Universums meiner Tochter. Die Liebe ihres Lebens. Für sie bin ich alles.
Noch. Diese Endlichkeit ist mir jetzt bewusst. Und bewahrt mich vor dem Durchdrehen, wenn alles, was ich mir wünsche, endlich mal wieder Zeit für mich ist. Diese Zeit wird kommen. Schneller, als ich es will. Und wenn es soweit ist, werde ich die Liebe meiner Tochter jeden Tag vermissen, das weiß ich jetzt schon.