Wenn wir Mamas unser Baby zum ersten Mal im Arm halten, saugen wir jedes Detail ins uns auf. Wir freuen uns über das Stupsnäschen, sind ganz begeistert von den winzigen Händen und Füßen und können uns gar nicht sattsehen an unserem kleinen Schatz. Ich erinnere mich daran, dass ich meiner Tochter oft einfach nur beim Schlafen zugesehen habe. All das war für Christina aus unserer Community nicht möglich. Die Zweifachmama leidet an einer starken Sehschwäche, verbunden mit einer Erkrankung der Netzhaut.
Wie es ihr damit geht, dass sie ihre Töchter noch nie richtig gesehen hat, und wie die Familie im Alltag damit klarkommt, erzählt Christina euch hier:
„Vor mehr als zehn Jahren fing es an, dass meine Augen plötzlich immer schlechter wurden. Zwar waren meine Augen schon immer schlecht, mit -14 Dioptrien war ich stark kurzsichtig, dazu kamen eine Hornhaut- und eine Linsenverkrümmung. Neu war allerdings damals, dass sich auch noch blinde Flecken entwickelten. So, als wenn man zu lange in die Sonne oder ein anderes grelles Licht schaut. Es stellte sich heraus, dass meine starke Kurzsichtigkeit zu einer weiteren Erkrankung der Netzhaut (mCNV) geführt hatte.
Beim Ultraschall verließ ich mich auf die Geräusche
Als unsere erste Tochter im April 2017 zur Welt kam, waren meine Augen schon so schlecht, dass ich mich in der Schwangerschaft beim Ultraschall mehr auf alle Geräusche konzentrierte als auf die Bilder. Was mich bis heute noch überwältigt, ist, wie meine Ärztin mir wirklich jedes einzelne Detail haargenau beschrieben hat. Außerdem hat sie mir viele, viele Ausdrucke erstellt und ist diese einzeln mit mir durchgegangen – mit Lupe und einer unglaublichen Geduld. Auch bei unserer zweiten Tochter, die im September 2018 zur Welt kam, ersetzte die Ärztin meine Augen.
Bei beiden Geburten und in der ersten Zeit im Kreißsaal fühlte ich zum ersten Mal einen richtigen Schmerz darüber, dass ich nicht richtig sehen kann. Bis dahin war ich eigentlich immer relativ gefasst mit meiner Sehschwäche umgegangen. Ich hatte immerhin viel Zeit, mit meiner Sehschwäche zu leben und sie zu akzeptieren. Aber zu diesem Zeitpunkt traf mich der Schmerz ungefiltert. Obwohl meine beiden Mädchen so nah bei mir waren, schienen sie mir trotzdem so weit weg. Es tat unglaublich weh, immer wieder zu hören, wie hübsch sie sind, wie schön ihre Augen sind, wie niedlich sie ihre kleinen Schnuten ziehen.
Durch meine Sehschwäche fühlte ich mich schrecklich
Ich fühlte mich wirklich schrecklich, aber für meine beiden Mädchen habe ich den Kampf aufgenommen und das Beste aus der Situation gemacht. Trotz des Schmerzes und teilweise auch des Neides auf alle, die meine beiden Mäuse sehen durften, sog ich alle Eindrücke in mich auf.
Ich weiß ganz genau, wie sich die kleine Falte in Amelies Nacken anfühlt und wie der kleine Knubbel an Lauras Ohr geformt ist. Ich habe gefühlt, wie unterschiedlich ihre kleinen Näschen geformt waren, wie runzelig Amelies Füße und wie glatt die von Laura waren. Seit ihrer Geburt habe ich jedes Detail meiner beiden Mädchen gefühlt – und das mache ich auch heute noch so, 2,5 Jahre später.
Bei vielen Dingen brauche ich Hilfe
Sind die Ohren auch wirklich sauber? Haben die beiden auch wirklich keinen Ausschlag? Habe ich irgendetwas vergessen? Die Pflege, die Aufsicht und die Erziehung meiner Mädels stellen mich immer wieder vor Herausforderungen. Besonders, wenn ich allein bin, weil mein Mann nicht da ist, und auch die Großeltern nicht in der Nähe sind.
Routine und Regelmäßigkeit sind für mich unglaublich wichtig. Denn:
Nein, ich sehe nicht, dass sie noch einen Popel in der Nase haben.
Nein, ich sehe nicht, wenn sie mit etwas spielen, das sie eigentlich nicht sollten.
Nein, ich sehe auch nicht immer, was sie sich in den Mund stecken.
Und ich befürchte, lange wird es auch nicht mehr dauern, dann wird es bestimmt auch ausgenutzt, weil sie denken, Mama sieht es ja eh nicht.
Das stimmt, Mama sieht nicht alles – dafür höre ich sie
Jede kleinste Veränderung in ihren Handlungen, Stimmlagen, ich fühle kleinste Unebenheiten auf ihrer Haut. Ich höre die Glöckchen an Amelies Schuhen, weiß, wo sie gerade auf dem Spielplatz ist, auch wenn ich sie nicht direkt sehen kann. Wir kochen, wir spielen, wir basteln und machen Musik … und sorgen zusammen für pures Chaos. Nichts kann uns aufhalten, und wir nehmen alles, wie es eben kommt.
Vielleicht ändert sich die Medizin noch so drastisch, dass eine vollständige Heilung und Regeneration meiner Sehkraft möglich ist. Vor zehn Jahren hieß es noch „Nichts zu machen“, heute gibt es erste Behandlungsansätze für meine Sehschwäche. Vielleicht sehe ich eines Tages die Gesichter meiner Töchter, wie sie vor Stolz strahlen, lächeln und ihre Augen Funken sprühen, weil sie gerade ihr Zeugnis bekommen haben. Wenn nicht, höre ich den Stolz in ihren Stimmen, fühle ihr Lächeln und spüre ihre Wärme.
Wir haben alle unsere Schwächen und können sie in Stärken umwandeln. Vielleicht kann ich die Gesichter meiner Töchter nicht sehen. Aber trotzdem kenne ich jeden einzelnen Millimeter davon – und liebe ihn unglaublich.“
Liebe Christina, vielen Dank, dass Du Deine Geschichte mit uns geteilt hast!
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