Sie steigt und steigt und steigt: die Quote der Kinder, die in Deutschland per Kaiserschnitt geboren werden. Während es 1991 noch 15,3 Prozent waren, sind es laut statistischem Bundesamt mittlerweile über 30 Prozent. Die Zahl der Kindersterblichkeit aber hat sich in diesem Zeitraum nicht wesentlich verändert.
Der Kaiserschnitt ist eine wichtige und sinnvolle medizinische Errungenschaft, die durchaus ihren Stellenwert in der Geburtshilfe hat. Durch ihn wird vielen Müttern und Kindern das Leben gerettet, die ohne dieses operative Verfahren bei der Geburt gefährdet wären oder sogar schlechte Überlebenschancen hätten. Durch die Möglichkeit der Bluttransfusionen und verbesserter Hygiene ist er inzwischen ein routinemäßiger Eingriff mit geringen Risiken.
Aber genau das ist es auch, was dazu führte, dass er immer öfter durchgeführt wird, und das ohne eindeutige medizinische Indikation.
„Die Kaiserschnittrate in Deutschland ist zu hoch und muss gesenkt werden“, so Präsidiumsmitglied des Verbandes der Deutschen Hebammen, Susanne Steppat. Laut dem Verband gibt es nur wenige Gründe, die einen Kaiserschnitt unumgänglich machen, wie eine Querlage oder wenn der Mutterkuchen vor dem Muttermund liegt.
Und auch die Weltgesundheitsorganisation WHO ist nicht davon überzeugt, dass die diesbezügliche Entwicklung in die richtige Richtung geht: Sie sieht lediglich bei zehn bis 15 Prozent aller Schwangerschaften einen medizinischen Grund für einen Kaiserschnitt.
Woher kommen also die restlichen 15 Prozent? Das fragen sich seit einigen Jahren nicht nur werdende Mütter und Väter, doch eindeutige Antworten lassen sich schwer finden.
Einen Teil davon machen die sogenannten Wunschkaiserschnitte aus – deren Name aber oft irreführend ist. Denn ein großer Grund für einen „Wunschkaiserschnitt“ ist Verunsicherung aufgrund einer Einstufung als Risikoschwangerschaft, deren Zahl ebenfalls zunimmt. Zu jung, zu alt, zu klein, zu groß – in die Norm passen offenbar immer weniger werdende Mütter und ihre Kinder. Schon steht auf irgendeinem Befund das böse Wort „Risiko“. Dann wollen viele Schwangere auf keinen Fall etwas falsch machen und entscheiden sich aus Angst für den operativen Eingriff.
Mediziner sind oftmals ebenfalls nicht hilfreich, meint Susanne Steppart: „Mittlerweile gibt es auch zu wenig Wissen über die unterschiedlichen Verläufe einer normalen Geburt. Heute wird häufig schon bei der kleinsten Abweichung von Gynäkologinnen und Gynäkologen eingegriffen.“
So steigen mit dem Kaiserschnitten auch die Vorwürfe gegen die Krankenhäuser, deren Finanzierung und Ärzte.
Kein Blatt vor dem Mund nimmt in dieser Debatte Andreas Xanthos. Er ist Gesundheitsminister in Griechenland, wo die Rate der Geburten im Operationssaal noch höher liegt, nämlich bei über 56 Prozent. Er sieht diese Zahlen sehr ungerne und wagte es, im Parlament, das auszusprechen, was auch hierzulande viele denken: Es ist einfacher, einen geplanten Kaiserschnitt durchzuführen als eine spontane Geburt, die mehrere Stunden dauert und nicht wie eine Operation im Tagesplan eingetragen werden kann. Außerdem wollten sich viele Ärzte absichern und wählen den für sie risikoärmeren Weg des Kaiserschnitts, um möglichen Anzeigen im Falle von Komplikationen aus dem Weg zu gehen.
Aber auch in Deutschland gibt es angesichts der Geburtsstatistik viele kritische Stimmen. Eine davon ist die von Barbara Steffens, Gesundheitsministerin in Nordrhein-Westfalen. 2014 erklärte sie laut „Der Westen“ die Quote mit „möglicherweise zu weit gefassten medizinische Indikationen“. Auch passten planbare Kaiserschnitte häufig besser „in die Lebensplanung und den Klinikalltag“ hinein. Zusätzlich sprach sie das leidige Thema der Ökonomie an und verlangte Studien, die prüfen sollten, ob die unterschiedliche Vergütung für natürliche Geburten und Kaiserschnitte dabei eine Rolle spielen.
Den Kostenfaktor hat sich auch die Techniker Krankenkasse genauer angesehen und festgestellt, dass immer mehr Krankenhäuser Kaiserschnitte als teurere Notfall-OPs abrechnen, und das vor allem seit 2009, dem Jahr, ab dem eine Neuregelung für diese Unterscheidung sorgte. „Hier ist der wirtschaftliche Anreiz offenbar ausschlaggebend“, so Frank Verheyen, Direktor des Wissenschaftlichen Instituts für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen der TK.
Der Berufsverband der Frauenärzte hingegen wies diese Vorwürfe in einer Presseaussendung klar zurück. Ein Grund für die steigende Zahl der Not-OPs sei, dass auch bei medizinisch indizierten Kaiserschnitten inzwischen bis zum errechneten Termin gewartet werde, statt diesen in der 38. Woche durchzuführen. Beginnt die Geburt aber schon davor, werde ein Notkaiserschnitt unumgänglich. Ein zweiter Grund sei den Schwangeren selbst zuzuschreiben: Oft entschieden sich Frauen trotz eines großes Kindes für eine natürliche Geburt. Dabei träten häufig Komplikationen auf, die am Ende doch zu einem Kaiserschnitt führen würden.
Die TK lässt diese Argumentation nicht gelten und auch andere Kassen fordern bundesweite Aufklärungs-Kampagnen für werdene Eltern.