„Du hast dir das doch selbst ausgesucht!“ „Hättest ja keine Kinder kriegen müssen!“ „Stress? Aber du bist doch den halben Tag zu Hause.“ Dies alles sind typische Kommentare, die Mamas ernten, wenn sie über ihre Überlastung klagen. Nicht selten sind es ausgerechnet andere Mütter, die ihnen das Recht absprechen, sich auch einmal überfordert zu fühlen.
Nachdem die Berliner Journalistin Lea Streisand solche Bemerkungen bei Twitter übel aufgestoßen sind, hat sie ihrem Ärger in einer taz-Kolumne Luft gemacht. Damit spricht sie vermutlich vielen von uns aus der Seele.
„Jammert, Mütter, jammert öffentlich!“
Streisand moniert, dass es vielen wohl am liebsten wäre, wenn Mütter unsichtbar wären. Sie sollen nicht jammern, nicht öffentlich stillen, keine teuren Buggys besitzen, nicht mit Kind in Cafés rumhängen… Für manche Menschen scheinen Mütter regelrecht zum Feindbild verkommen zu sein. Mutterhass ist nichts anderes als „konsensfähige Frauenverachtung“, sagt Streisand – und damit hat sie Recht.
Allerdings würde ich nicht so weit gehen, jede Kritik an mütterlichem Verhalten automatisch mit dem Begriff „Mutterhass“ zu versehen. Denn natürlich gibt es sie tatsächlich: Mamas, die ein Baby im Buggy als Freifahrtschein sehen. Solche, die immer Rücksicht einfordern, aber selbst den Eingang zum Café vollständig zuparken und sich dann drei Stunden an einen Latte Machchiato klammern (egal, dass der Wirt so bald Insolvenz anmelden kann). Die zu dritt nebeneinander spazieren, den Gehweg versperren und erst dann augenrollend etwas Platz machen, wenn man zaghaft das dritte Mal bittet, etc…
Nur wer laut ist, wird nicht überhört
Doch egal, aus welcher Ecke es kommt – von echten Mütterhasser*innen, Nicht-Nachdenker*innen oder überhaupt von Alle-anderen-Menschen-anstrengend-Finder*innen: Wie oft Müttern das Recht abgesprochen wird, zu „jammern“, nervt! Genau wie die Autorin bin ich froh, dass wir nicht mehr in einer Zeit leben, in der Frauen ihre Erschöpfung diskret in Klosterfrau Melissengeist ertränkten („Huch, ist da etwa Alkohol drin“?). Gesünder ist es, seinem Ärger Luft zu machen. „Also jammert, Mütter, jammert öffentlich! Jammern ist ein Privileg. Nutzt es!“, fordert Streisand. Das sollten wir wirklich tun. Nur wenn wir laut sind, kommen auch andere auf den Gedanken, dass es wirklich mehr KiTa-Plätze, mehr Geld (vor allem für bedürftige) Eltern und insgesamt eine besseren Infrastruktur für Familien geben sollte.
Können wir die Retourkutsche dabei bitte weglassen?
Dabei möchte ich aber nicht in allen Beobachtungen Streisands mitgehen. Sie scheint in der Aufforderung, nicht zu jammern, vor allem einen Kampf alter, rückständiger Ost-Mütter gegen junge Prenzlauer-Berg-West-Mütter zu sehen. Ihr Empfinden ist nachvollziehbar, schließlich ist es die Umgebung, in der sie lebt. Und klar kann eine DDR-Erziehung, in der der Einzelne sich zugunsten der Gruppe zurücknehmen sollte, dazu beitragen, dass man Jammern (übrigens nicht nur das von Müttern) ablehnt. Aber auch hier in Hamburg und sogar unter jungen, überwiegend im Westen aufgewachsenen Menschen, denken manche, dass Mütter leiser heulen sollten.
Vor kurzem habe ich auf Instagram einen guten Beitrag zum gleichen Thema gelesen – darüber, dass wir uns das Recht nehmen sollten, zu jammern. Geschluckt habe ich nur bei einem Kommentar mit sehr vielen Likes. Die Verfasserin war der Ansicht, dass Frauen, die jammerfrei in ihrer Mutterrolle aufgehen, im Grunde alle am Stockholm-Syndrom leiden. Sinngemäß wurden sie als willenlose Opfer des Patriarchats bezeichnet – zu doof, um das erkennen.
Ich finde, wir tun unserer Sache keinen Gefallen, wenn wir uns gegen eine Form des Mom Shamings wehren, indem wir andere Gruppen pauschal bashen. Wenn der Hühnerhof sich die Augen aushackt, freut sich der Hahn. Ernstnehmen wird er die Frauen deshalb aber nicht.
Gemeinsam sind wir stärker
Ich habe null Interesse an einem Kampf zwischen Müttern, ich will auch keinen Wettkampf mit anderen Gruppen, wer es gerade am schwersten hat. Wer wegen egal welcher gesellschaftlichen Umstände leidet, sollte jammern und auf die Solidarität anderer hoffen dürfen. Deshalb: Ja, lasst uns laut jammern! Das müssen die anderen aushalten. Lasst uns aber trotz allen Drucks tolerant bleiben – statt wild um uns zu beißen und dabei am Ende die Falschen zu schnappen.
Besser als ironische Seitenhiebe und die pauschale Verurteilung anderer sind gute Argumente und klare Forderungen (manchmal muss aber auch einfach nur alles raus, und das ist auch Okay). Solange wir darin verstrickt sind gegen andere zu kämpfen, können wir nicht für unser wahres Anliegen kämpfen. Denn es stimmt: Wir haben unsere Kinder freiwillig bekommen und wir lieben sie. Gerade deswegen wünschen wir uns, dass sie unter den bestmöglichen Umständen aufwachsen – dazu gehören auch Mütter, die nicht ständig auf höchster Flamme brennen. Doch viele der derzeitigen Umstände machen unser Leben zu oft unnötig schwer. Wenn wir auf Missstände hinweisen, geht es ja nicht nur um unsere eigenen Kinder, sondern um alle. Denn die sind unsere Zukunft. Dafür lohnt es sich schon, ein wenig zu „jammern“, oder?