„Schau mal, da vorne ist ein… F****…, A********…“ Als der nett aussehende Mann, der uns in der S-Bahn gegenüber saß, plötzlich zuckte und mit Schimpfwörtern um sich warf, sah mein Sohn mich entgeistert an. „Mama, hat der Mann etwa gerade A***** gesagt?“ Ich habe mich etwas hilflos gefühlt. Wie sollte ich meinem Kind mal eben so das Tourette-Syndrom erklären? Und wie würde der Mann sich dabei fühlen? Das alle uns anstarrten, machte es nicht einfacher. Ähnlich ging es mir kurz darauf, als wir einen kleinwüchsigen Menschen auf einem Kinderfahrrad trafen. „Das Kind hat einen Bart!“
(Oh Gott, hat der andere das gehört? Wie erkläre ich das, ohne aus Versehen ein Wort zu verwenden, das als diskriminierend empfunden werden könnte?). Sicher hat mein Sohn mir meine Unsicherheit angemerkt. Das fand ich noch blöder. Ich wollte nicht, dass er sie falsch deutet und denkt, dass es etwas ganz Schlimmes sei, „anders“ zu sein. Denn das Problem lag ja bei mir und nicht bei den Betroffenen. Deshalb habe ich nach Informationen gesucht, um in Zukunft besser zu reagieren.
„Fragt ruhig mal nach!“
Ganz toll aufbereitet habe ich sie bei dem Inklusions-Aktivisten Raul Krauthausen gefunden. Der hat nicht nur das lesenswerte Mutmach-Buch „Dachdecker wollte ich eh nicht werden: Das Leben aus der Rollstuhlperspektive“ (Affiliate Link) geschrieben, sondern engagiert sich in verschiedenen Sozialprojekten und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz. Außerdem hat er Glasknochen und weiß deshalb genau, wie es ist, angestarrt zu werden.
„Wenn ich durch die Stadt fahre, falle ich auf. Natürlich. Ich bin klein, fahre einen elektrischen Rollstuhl, habe eine hohe Stimme und entspreche nicht dem ,typischen` Menschen im Rollstuhl“, schreibt er auf seiner Webseite. Deshalb gibt er Eltern Tipps, wie diese sich annähern können, wenn ihre Kinder Fragen stellen. „Viel Interessanter sind die Reaktionen der Eltern“, hat er festgestellt. Manche schimpfen mit ihrem Kind, sicher auch aus Unsicherheit. „Man starrt andere nicht an. Komm!“ Krauthausen: „Solche Aussagen brechen mir das Herz. Ich fühle mich mit dem Kind solidarisch, denn es hatte ja nur Fragen…“
Fragen solle man immer beantworten. Bei kleinen Kindern reiche es etwa oft schon aus, dass der Mann im Rolli sitzt, weil er „ein Aua“ hat. Bei Größeren darf es etwas genauer werden. Und das bedeute im Zweifelsfall zuzugeben, dass man es nicht weiß und dem Kind anzubieten, freundlich bei dem Betroffenen nachzufragen, warum der einen Rollstuhl hat.
„Bitte schimpft nicht mit euren Kindern.“
Wichtig ist ihm, dass wir nicht mit unseren neugierigen Kindern schimpfen. Schließlich sei dieses Interesse etwas ganz Natürliches. Deshalb ist es für ihn auch okay, genauer angeschaut zu werden, wenn es nicht zuuuu lange dauert – logo, wer würde sich da nicht unbehaglich fühlen? Dann dürfe das Elternteil ruhig freundlich darauf hinweisen, dass es in Ordnung ist, jemanden anzusehen – aber nicht zu lange.
Außerdem sollten Eltern nicht mitleidig mutmaßen, wie schwer es der Betroffene haben könnte. Das verstärkt nur den Eindruck, dass die Menschen vom „Normalen“ abweichen. Besser sei es, entspannt zu vermitteln, dass Menschen verschieden sind und eben diese Unterschiedlichkeit normal ist. Apropos unterschiedlich: Nicht beleidigt sein, wenn du einen Menschen mit Behinderung freundlich ansprichst und der mal nicht so begeistert darauf reagiert. Ob mit oder ohne Rolli/ Sehbehinderung/ Tourette etc.: Die einen sind aufgeschlossener, die anderen weniger. Jeder hat gute und schlechte Tage. Und während manche sich über ehrliches (!) Interesse freuen, empfinden die anderen es auch mal als übergriffig. Deswegen ist es auch ganz wichtig, niemals Hilfe aufzudrängen, sondern immer erstmal nachzufragen, ob diese überhaupt benötigt wird.
Wenn du mit deinem Kinde intensiver in das Thema einsteigen möchtest – sei es aus bloßem Interesse oder weil es im Umfeld jemanden mit Behinderung gibt, schau mal auf die Liste mit guten Kinderbüchern dazu, die Krauthausen zusammengestellt hat.