Ciao, Kindergarten… und Mama weint heimlich

Noch zwei Wochen bis zur Einschulung. Alles, was du dafür brauchst, ist gekauft. Der Schulranzen, der mir immer noch viel zu groß für deinen kleinen Rücken vorkommt, wartet darauf, geschultert zu werden. Und sicher werden die unzähligen bunten Mappen bald mit Eselsohren versehen. Während du kleine Abschiedsgeschenke für deine Erzieher*innen bastelst, sitze ich im Nebenzimmer und verdrücke mehr oder weniger erfolgreich ein paar Tränchen.

„Nie wieder“ – zwei kleine Worte, die ins Mamaherz pieksen

Eure Abschiedsfeier hast du bereits hinter dir. Deine Erzieher*innen haben sich bemüht, sie unter Corona-Bedingungen so feierlich wie möglich zu gestalten. Gar nicht so einfach. Ihr durftet nicht singen, deswegen haben wir uns Aufzeichnungen von euren Liedern auf einem Laptop angesehen. Zuerst fand ich das so merkwürdig technisch, dass ich gar nicht viel gespürt habe. Doch dann habe ich genauer hingesehen, in eure strahlenden, stolzen Gesichter, die noch so kindlich und zugleich schon so charaktervoll wirkten. So hat es schließlich doch Klick gemacht, und deine KiTa-Zeit ist vor meinem inneren Auge noch einmal wie ein Film abgelaufen. All die vielen ersten Male, die du in dieser Zeit erlebt hast. Nun fühlten sie sich wie Abschiede an. Statt „zum ersten Mal“ heißt es nun viel zu oft „nie wieder“.

Nie wieder wirst du mit deinem kleinen Rucksack durch das Gartentor zu eurer KiTa gehen. Nie wieder wirst du mit einem strahlenden Lächeln in meine Arme laufen, wenn ich dich dort wieder abhole – um ehrlich zu sein, hast du schon vor einer Weile damit aufgehört. Du wirst – außer in den Ferien – nie wieder einfach so in den Tag hineinleben dürfen. Nie wieder werden wir gemeinsam so viele Freiheiten haben, weil bald die Schule den Rhythmus unseres Lebens vorgibt. Nie wieder wirst du vor einem Weihnachtsbaum stehen und daran glauben, dass dir ein Weihnachtsmann die Geschenke gebracht hat. Wieder ein Stückchen Magie, das von der Realität verdrängt wird. Wobei ich glaube, dass du insgeheim schon seit einer Weile ahnst, dass kein weißbärtiger Typ durch unseren nicht vorhandenen Kamin schlüpft…

Gerade schauen wir in verschiedene Richtungen

Du lebst im Moment – und wenn du doch mal in eine andere Richtung schaust, dann nach vorne. Und das ist genau richtig so. Nur mich bringt der Anlass dazu, zurückzuschauen. Da stehst du nun also, mein Kleiner, der gerade noch als schreiendes und verknautschtes Bündel in meinen Armen lag. Ich sehe die leidenschaftliche Anstrengung, mit der du in der Bauchlage immer wieder versucht hast, dein Köpfchen zu heben. Auch an dein stolzes Grinsen, nachdem du das erste Mal drei Schritte am Stück geschafft hast, erinnere ich mich genau. Ich denke an den Jungen, der mir immer alles erzählt und mir sein Herz ausgeschüttet hat – weil ich in deinen Augen diejenige war, die alles Wichtige wusste und deine kleine Welt wieder heil machen konnte. Die vergangenen sieben Jahre sind verflogen.

Inzwischen sind viele deiner Fragen so tiefgreifend, dass ich sie nicht gleich beantworten kann. Schon jetzt höre ich dich manchmal zu anderen Kindern erstaunlich weise und witzige Dinge sagen – von denen ich gar nicht wusste, dass du sie denkst. Du wirst dich immer häufiger anderen anvertrauen, von denen du dich besser verstanden fühlst. Und vielleicht liegst du damit sogar richtig. Egal, was wir uns einreden: Die wenigsten Eltern sehen ihr Kind exakt so, wie es wirklich ist. Unsere Eindrücke sind überlagert, von all den vergangenen Erlebnissen, die wir mit dir teilen durften. Von den guten Wünschen für dich, mit denen wir deinen Weg begleiten.

Und dann begegnen wir uns wieder, aber anders…

Aber wenn ich die Tränchen verdrückt habe und wieder zu dir gehe, lächle ich. Es ist kein aufgesetztes Lächeln. Ich brauchte nur einen Moment, um mich wieder daran zu erinnern, wie wunderbar es ist, dir dabei zuzuschauen, wie du immer mehr du selbst wirst – auch wenn du dabei in eine Richtung gehst, die dich von uns entfernt.

Hand aufs Herz: Wir alle wissen doch selbst noch wie peinlich und unangenehm es ist, wenn Mama rührselig wird und an unser schlechtes Gewissen rührt.  Dabei haben Kinder das Recht genau das zu tun, wofür sie bestimmt sind: uns loszulassen und ihr eigenes Leben zu finden. Deshalb wirst auch du deine Flügel ausbreiten, um mit einem Schwarm  – den du dir selbst ausgesucht hast – zu fliegen. Und das sollt du ohne den Ballast meiner mütterlichen Sentimentalität tun. Deshalb werden dein Vater und ich unsere Aufgabe wie du deine erfüllen: dich zu ermutigen, uns loszulassen. Ins Kissen können wir heimlich heulen.

Jana Stieler

Ich lebe mit Mann und Sohn im Süden Hamburgs – am Rande der Harburger "Berge" (Süddeutsche mal kurz weghören: Der höchste Punkt misst immerhin sagenhafte 155 Meter ü. M.). Wenn ich nicht gerade einen Text verfasse, liebe ich Outdoor-Abenteuer mit meiner Familie, lange Buch-Badewannen-Sessions mit mir allein und abendliches Serien-Binge-Watching.

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