„Ich bin im Januar 2016 Mama geworden. Die Kleine war ein Traumkind, alles hat geklappt. Und meine Schwangerschaft an sich war auch richtig toll. Mir war nie schlecht oder so.
Doch kurze Zeit nach der Geburt spürte ich eine riesige Müdigkeit und Antriebslosigkeit. Erst dachte ich, das wäre normal, aber irgendwann konnte ich nur noch schlafen. Mitte Februar fingen dann die Schmerzen in den Gelenken an. Erst in den Fingerspitzen und Zehen, später auch im Knie und in der Schulter. Am Anfang hatte ich oft das Gefühl, unter meinen Zehen wachse eine Betonplatte. Die fühlte sich erst sehr dünn an und dann immer dicker und breiter.
Es wurde über Wochen nicht besser – nur schlimmer. So sehr, dass ich Angst hatte, mein Kind nicht mehr versorgen zu können. Meine Mutter musste den Kinderwagen schieben, weil meine Hände so schmerzten. Treppensteigen ging nicht mehr, da ich nicht abrollen konnte. Ich konnte mein Kind beim Stillen kaum halten und musste mir immer mit einem Stillkissen helfen.
Ich hatte Angst, dass mit jemand mein Kind wegnehmen könnte, deshalb bin ich erst zum Arzt, als die Schmerzen nicht mehr zum Aushalten waren. Ich hatte bereits durch meine erste Ausbildung medizinisches Vorwissen und ahnte, woran ich wohl leide. Rheuma! Ich wollte es jedoch nicht wahrhaben. Kurze Zeit später hatte ich es dann Schwarz auf Weiß.
„Rheumatide Arthritis“ lautete die Diagnose, nachdem die Ärzte in meinem Blut einen stark erhöhten Rheumafaktor fanden. Das heißt, mehrere meiner Gelenke waren entzündet, wobei die Erkrankung die Gelenke langfristig zerstört bzw. die Beweglichkeit einschränkt. Was der Auslöser dafür war, weiß niemand. Meine Rheumatologen vermuten, dass die Hormonumstellung nach der Geburt und während des Stillens dafür verantwortlich sein könnte.
Ich wurde sofort ins Krankenhaus eingeliefert und mit Kortison versorgt, um die Entzündung zum mildern. Ich stillte sofort ab. Ich wollte mein Kind nicht mit den Medikamenten belasten. Keiner konnte mir 100 Prozent sicher sagen, was bei meiner Tochter ankommt und was nicht. Ich bekam auch Medikamente, die mir den Alltag zu Hause erleichtern sollten. Zum Glück zweifelte niemand daran, dass ich trotzdem die beste Bezugsperson für meine Tochter bin und sie versorgen kann.
Seit diesem Tag im Februar habe ich keinen schmerzfreien Tag mehr gehabt.
Nach der Diagnose war ich am Boden zerstört, auch wenn ich meine Krankheit erst im Laufe der Monate voll realisierte.
Ich – ich! – litt tatsächlich an der häufigsten chronisch entzündlich-rheumatischen Erkrankung. Chronisch heißt, ich mag irgendwann zwar schmerzfreie Phasen haben, aber ich muss trotz Medikamente immer mit der Krankheit leben. Dieses Schicksal teile ich mit rund 800.000 Menschen in Deutschland.
Am Anfang fühlte ich mich trotzdem schrecklich allein. Mein Freund wollte oder konnte mich nicht unterstützen. Er habe Angst, etwas falsch zu machen, so sein Kommentar.
Zum Glück fand ich Unterstützung von anderer Seite. Meine Mutter war fast täglich bei mir, um mir zu helfen. Freundinnen besuchten mich abends, obwohl sie selbst kleine Kinder haben. Meine Hebamme, mein Frauenarzt und mein Kinderarzt taten alles, was sie nur konnten.
Wie ich mit meiner Krankheit lebe?
Es gibt gute und es gibt schlechte Tage.
Meine Schmerzen kommen immer mal wieder in Schüben. Während eines akuten Schubes werden sie stetig stärker und heftiger.
Momentan merke ich die Entzündung nur morgens beim Laufen und wenn ich meine erste Tasse Kaffee trinke. Dann habe ich Schwierigkeiten, sie zu halten. Nach zehn bis 20 Minuten geht es meist wieder besser.
Die Kindersachen kaufe ich so, dass sie möglichst gelenkschonend sind. Die kleinen Knöpfe am Body? Sind für mich nicht zu machen, wenn ich einen akuten, schweren Schub habe. Kleidung mit Reißverschlüssen oder großen Knöpfe sind von Vorteil.
Am meisten mache ich mir um meine Tochter Sorgen. Ich versuche immer, dass sie möglichst wenig davon mitbekommt, dass ich krank bin. Aber es gibt die Momente, in denen ich solche Schmerzen habe, dass ich sie nicht tragen kann.
Ich habe gelernt, in so einer Situation nur das zu tun, was ich tun kann. Gemeinsam auf dem Boden kuscheln. Zusammen im Bett spielen. Inzwischen merkt sie es, wenn ich nicht mehr kann. Nach einer Verschnaufpause geht es mir meist wieder besser. Zum Glück kam das anfangs nur ganz selten vor.
Ich arbeite auch schon wieder. Zum Glück habe ich einen tollen Arbeitgeber. Ich denke nicht, dass ich stark eingeschränkt sein werde. Ich habe meinen Job in der Verwaltung weitestgehend verändert, so dass ich gut damit zurechtkomme.
Die Krankheit wird immer ein Teil von mir bleiben, Rheuma ist leider unheilbar. Aber ich kann einen Stillstand erreichen. Vielleicht für ein paar Tage, Monate oder auch Jahre. Darauf hoffe ich, auch wenn mir keiner eine Zukunftsprognose geben kann.
Meine Tochter ist mein erstes Kind und wird wegen meiner Medikamente wahrscheinlich auch mein einziges Kind bleiben. Das ist okay. Ich bin froh ein gesundes, wunderbares, einzigartiges Kind zu haben.
Die Krankheit hat mich nachdenklicher gemacht und meine Aufmerksamkeit auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben gelenkt. Sie hat mir gezeigt, was für ein wichtiges Gut Gesundheit ist. Sie bringt mir bei, mich mehr wertzuschätzen und achtsamer mit mir umzugehen. Das lerne ich aber erst. Es ist ein langer Prozess.
Momentan geht es mir gut. Früher unvorstellbar, doch ich habe mich daran gewöhnt, kaum Tage zu haben, an denen ich schmerzfrei bin. Aber momentan finde ich es in Ordnung. Was nützt es auch, mich dagegen zu wehren. Das kostet nur Kraft, und mit der muss ich gut haushalten. Ich brauche jetzt länger als früher, um meine Energiereserven wieder aufzuladen.
Was ich mir am allermeisten wünsche? Dass meine Tochter eine glückliche Kindheit hat. Dafür tue ich alles.“