„Als ich mich von meinem Mann trennte, zog ich mit meiner Tochter in ein anderes Viertel unserer Stadt. Ich brauchte auch diesen räumlichen Abstand zu meinem alten Leben, die Beziehung war in den letzten Jahren nicht sehr schön gewesen.
Meiner Tochter gefiel das gar nicht. Sie musste nicht nur die Trennung ihrer Eltern durchstehen, sie musste sich parallel noch in einer neuen Schule eingewöhnen.
Das brach mir das Herz – aber wenn wir geblieben wären. hätten mich die Schatten meiner Vergangenheit immer wieder eingeholt. So konnte ich langsam heilen und besser für meine Große da sein.
Nach den Sommerferien ging es los: Sie kam in die sechste Klasse eines Gymnasiums. Die ersten paar Wochen waren hart, die meisten Kinder hier waren seit der ersten Klasse eine eingeschworene Gemeinschaft.
Um so glücklicher war ich, als sie mir irgendwann sagte, dass sie am nächsten Tag nach der Schule mit zu einer Klassenkameradin nach Hause gehen würde.
Als ich sie abends abholte, war sie so ausgelassen und fröhlich wie lange nicht. Mir fiel ein Stein vom Herzen.
Immer häufiger ging sie in den folgenden Wochen zu dieser Freundin, nennen wir sie mal Merle. Die beiden waren gute Freundinnen geworden.
Und doch wunderte ich mich so manches Mal: Relativ häufig kam meine Tochter geknickt oder stinksauer nach Hause. Sie wollte nie so recht mit der Sprache herausrücken, was denn los sei. Abends im Bett brach es dann doch aus ihr heraus– und jedes Mal war Merle mit im Spiel. Merle hatte mit anderen die Pause verbracht und mein Kind links liegen lassen. Merle hatte sie überredet, ihr ihr neues nagelneues Armband zu schenken. Merle hatte mit dem Klassenschwarm über die ,uncoolen` Schuhe meiner Tochter gespottet. Und so weiter, und so fort. Die ersten Erzählungen tat ich noch als Girlie-Streiterei ab, aber nach und nach wurde mir Merle zunehmend unsympatischer.
Ich wollte dieses Mädchen kennenlernen, unbedingt. Und drängte darauf, dass sie ausnahmsweise mal mit zu uns kam.
Und so kam es, dass die beiden Mädels mal den Nachmittag bei uns verbrachten. Am Abend, als Merle ging, hasste ich sie regelrecht. Ich konnte mir all die ,unsympathischen´ Geschichten jetzt so gut vorstellen… Merle machte meine Tochter klein, wo es nur ging. Sie spielte ,zu kindisch`, ihr Po sah in der gemütlichen Gammelhose ,fett` aus, sie lachte zu laut, sie hatte ,dummes´ Spielzeug… In schöner Regelmäßigkeit positionierte Merle ihre Kritik. Kritik, die in meinen Augen gar nicht zu einer Zwölfjährigen passte…
Und meine Tochter? Sie wollte Merle so unbedingt gefallen, dass es mir beim Zuschauen weh tat.
Sie schwirrte um sie herum, gab ihr Recht in allem…
,Merle muss weg!´ dachte ich, als ich abends auf dem Sofa saß. Ich war richtig wütend, mein Kind hatte eine echte Freundin verdient und nicht so eine manipulative Ziege.
Morgen würde ich mit meiner Kleinen sprechen und ihr sagen, dass sie sich nicht mehr mit Merle treffen solle. Und wenn sie das nicht einsehen würde, und davon ging ich aus, würde ich es einfach verbieten!
Beim Frühstück am nächsten Morgen setzte ich zu meiner Kritik an Merle an – meine Tochter wurde fuchsteufelswild.
Sie war so wütend! Wie ich es wagen konnte, so über ihre Freundin zu sprechen! Sie rauschte aus der Küche. Das Thema war beendet.
Ich war richtig erschrocken. Was würde passieren, wenn ich ihr den Umgang verbieten würde?
Oder sollte ich lieber immer wieder meine Bedenken streuen, bis sie selbst einsehen würde, dass Merle ihr nicht gut tat?
Die erste Möglichkeit schloss ich aus, so eine Mutter wollte ich nicht sein. Die zweite probierte ich genau ein Mal – und meine Tochter sprach zwei Tage nicht mit mir.
Ich kapitulierte. Ich wusste: Je mehr ich an Merle herummäkelte, desto reizvoller erschien sie ihr.
Mein Kind musste wohl oder übel seine eigenen Erfahrungen machen.
Und so machte ich es, wie ich es mal in einem Ratgeber für Teenager-Mütter gelesen hatte (jahaa, ich weiß…): Ab und zu erzählte ich aus meiner Jugend, worüber ich mich geärgert hatte bei Freundinnen oder auch bei mir selbst. Ob sie das kennen würde? Je nach Laune waren die Antworten mehr oder weniger ertragreich 😉 Ich signalisierte ihr, dass sie immer mit mir sprechen würde.
Aber eines Tages kam meine Tochter aus der Schule, setzte sich zu mir in die Küche und weinte. Dann sagte sie, dass sie nicht mehr mit Merle befreundet sein möchte. Merle hatte sie dazu überredet, einen Jungen aus ihrer Klasse zu mobben und ihm seine komplette Brotdose in den Rucksack auszuleeren. ,Sie sagte, er sei so ein Loser und brauche einen Denkzettel! Und als ich nicht wollte, hat sie mich vor der ganzen Klasse als seine Liebste bezeichnet und unsere Freundschaftskette zerrissen.‘ Meine Tochter machte mit. Nicht das erste Mal. Aber das war zu viel für sie.
Sie hatte erkannt, dass Merle keine Freundin war, kein netter Mensch.
Und dass sie sie nicht wirklich ernst nahm. So nahm sie ganz unspektakulär nach und nach Abstand zu Merle, deswegen blieb ein großes Drama aus. Sie traf sich lieber mit einem anderen Mädchen aus der Klasse, das vielleicht nicht ganz so glamourös wie Merle schien – ihr aber eine gute Freundin wurde.
Und ich hatte mal wieder gelernt, dass unsere Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen müssen. Es regelte sich von alleine, weil ich ihr Rückhalt gab, sie aber nicht beeinflusste. Auch, wenn ich mir dabei mehr als nur einmal auf die Lippe beißen musste, das könnt ihr mir glauben. “
Liebe Marei, vielen Dank, dass du uns deine Geschichte anvertraut hast. Wir wünschen dir und deiner Tochter alles Liebe für die Zukunft!
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