Ein gesundes Baby zur Welt bringen, es dann endlich mit nach Hause nehmen, um es wenige Tage später leblos in seinem Bettchen vorzufinden: Der plötzliche Kindstod ist eine der grausamsten Erfahrungen, die junge Eltern treffen kann.
Eine, die genau weiß, wie schlimm sich solch ein Verlust anfühlt, ist Schlaf-Wissenschaftlerin Carmel Harrington. 28 Jahre nach dem Tod ihres Kindes, ist sie nun der Ursache auf der Spur.
Eines von 2.000 Kinder verstirbt durchschnittlich am plötzlichen Kindstod
Plötzlicher Kindstod oder auch SIDS (englisch für „Sudden Infant Death Syndrome“), ist der unerwartete Tod von gesunden Kindern im ersten Lebensjahr. Die Babys versterben dabei meistens nachts im Schlaf – ohne erkennbare Ursache. Laut der AOK stirbt eines von 2.000 Kindern durchschnittlich daran. Meistens tritt der plötzliche Kindstod in einem Alter zwischen zwei und vier Monaten ein. Je älter dein Baby wird, desto geringer ist das Risiko.
Bisher gab es verschiedene Vermutungen, was einen plötzlichen Kindstod verursachen könnte: Im Verdacht standen bestimmte Viren, die eine Herzmuskelentzündung oder Herzrhythmusstörungen auslösen können oder ein noch nicht richtig ausgereiftes Atemsystem des Babys. Nun will eine Gruppe von australischen Wissenschaftler*innen aber eine der Hauptursachen identifiziert haben.
Ist ein Enzym Schuld an dem Tod so vieler Kinder?
Das Team unter der Leitung von Carmel Harrington hat herausgefunden, dass möglicherweise ein bestimmtes Enzym der Grund für den plötzlichen Kindstod ist. Es handelt sich um Butyrylcholinesterase (BChE), zuständig für die Übertragung von Signalen im Gehirn. Für die Studie untersuchten die Forscher*innen Blut von Babys, die am plötzlichen Kindstod verstorben waren und verglichen es mit dem von gesunden Kindern.
Sie stießen dabei auf einen erstaunlichen Unterschied: Bei den gestorbenen Babys war deutlich weniger Aktivität von BChE im Blut zu finden. Harrington und ihr Team kamen so zu der Theorie, dass der Mangel am Enzym BChE dazu führt, dass das Baby nicht aufwacht oder sich regt, wenn seine Atmung stoppt.
Die Studie wurde von der Schlaf-Wissenschaftlerin Carmel Harrington geleitet, die Ergebnisse erschienen Anfang Mai in der Zeitung „The Lancet”. Sollten sich die bisherigen Erkenntnisse bestätigen, könnte Harrington damit unzähligen Kindern das Leben retten – und Eltern endlich die langersehnte Klarheit geben.
Harrington wollte die furchtbaren Schuldgefühle nicht akzeptieren
Jahrzehntelang lang erforschte Carmel Harrington den plötzlichen Kindstod. Dabei hat sie die Hoffnung angetrieben, dass sie den betroffenen Eltern die furchtbaren Schuldgefühle nehmen kann. Denn immer wieder sterben Babys, obwohl die Eltern versucht haben, mutmaßliche Tipps zu berücksichtigen, von denen man bisher glaubte, dass sie gegen den Kindstod helfen.
„Diese Familien können jetzt mit der Gewissheit leben, dass es nicht ihre Schuld war”, so Harrington in einem Interview mit dem Sender ABC. Nun könne man damit beginnen, daran zu arbeiten, dass SIDS endgültig der Vergangenheit angehöre.
Wie schlimm der Verlust eines Babys ist, musste die Wissenschaftlerin selbst erleben.
Ihre Obsession mit dem Thema plötzlicher Kindstod begann mit dem tragischen Tod ihres eigenen Sohnes Damien. „Es dauerte etwa zwei Jahre, bis ich wieder richtig durchatmen konnte, und da dachte ich, dass ich herausfinden möchte, warum er gestorben ist. Niemand konnte es mir sagen. Sie sagten nur, es sei eine Tragödie. Aber es war eine Tragödie, die sich nicht mit meinem wissenschaftlichen Verstand vereinbaren ließ.”
Der schreckliche Verlust des kleinen Damian hilft nun hoffentlich, andere Babys zu retten. Für Harrington ist die neue Erkenntnis „ein Geschenk zum Muttertag”. Es sei allerdings noch ein weiter Weg, um die Ursache zu bekämpfen. Ihr nächstes Ziel ist es deswegen, die finanziellen Mittel aufzutreiben, um ihre Forschung weiterzuführen. Dafür hat sie eine Crowdfunding-Kampagne auf die Beine gestellt, sie trägt den Namen „Damien’s Legacy”.