Es klingt nach schwarzer Pädagogik aus längst vergangenen Zeiten, doch leider passiert es bis heute, dass Kinder in der Kita zum Essen gezwungen werden. Erst vor wenigen Wochen ging wieder ein extremer Fall durch die Medien.
Zwei Mitarbeiterinnen einer Krippe wird vorgeworfen, ihre Schützlinge gewaltsam zum Essen gezwungen zu haben.
Wie der NDR berichtet, habe die Kita im Landkreis Göttingen selbst Anzeige erstattet. Demnach hätten die Mitarbeiterinnen die Kinder beim Essen angeschrien und ihre Köpfe festgehalten, um ihnen Essen in den Mund zu drücken. Wenn die Kleinen das Essen wieder ausspuckten, wurden sie gezwungen es erneut zu essen. Die Ermittlungen wegen Misshandlung Schutzbefohlener dauern noch an.
Solche extremen Fälle sind zum Glück eine absolute Ausnahme. Doch das „zum Essen zwingen” hat viele Gesichter. Bestimmt hat die eine oder andere Mama selbst noch in der Kindheit zu hören bekommen: „Wenn du heute nicht aufisst, scheint morgen die Sonne nicht!”
Dahinter steckt eine veraltete Pädagogik, die leider immer noch in einigen Köpfen verwurzelt ist. Früher ging man davon aus, dass Kinder gezwungen werden müssen, um genug zu essen und sich an unterschiedliche Lebensmittel zu gewöhnen. Heute ist das rechtlich gar nicht mehr erlaubt.
Denn der Zwang zum Essen kann extrem schädlich sein.
Im Interview mit der taz erklärt die Kita-Fortbilderin Bianca Hofman: „Früher galt zum Essen zwingen als pädagogisch richtig. Aber heute wissen wir, dass Kindern durch das Probierenmüssen ein Lebensmittel auch verleidet wird, sodass sie es gar nicht mögen.”
Dieser Druck widerspreche den UN-Kinderrechten, stellt die Kita-Fortbilderin klar.
„Ein ‚Nein‘ des Kindes zu akzeptieren, ist Teil des aktiven Kinderschutzes. Das fußt auf dem Kinderbetreuungsgesetz (KibeG) von 2004 und findet sich auch in den Landesgesetzen.” Hofman kennt aber leider viele Fälle, in denen diese Kinderrechte in Kitas nicht befolgt und die Kinder am Tisch unter Druck gesetzt werden.
Nicht nur der „Probierlöffel” werde von einigen Mitarbeiter*innen praktiziert. In manchen Einrichtungen ist es immer noch die Regel, dass Kinder sitzen bleiben müssen, bis der Teller leer ist. Das widerspreche sogar den festgeschriebenen Bildungsplänen: „Kinder sollen in der Kita lernen, Essen als Genuss wahrzunehmen. Sie sollen auch unterscheiden: Habe ich Hunger? Habe ich Appetit, bin ich satt? Sie sollen Anzeichen von Sättigung erkennen.”
Zwang beim Essen kann sogar zu Essstörungen führen
Es ist ja eigentlich ganz logisch: Wer als Kind nicht lernt, auf sein eigenes Sättigungsgefühl zu hören und stattdessen gezwungen wird, mehr zu essen, als er möchte, der kann kaum ein gesundes Essverhalten entwickeln. Das ist der perfekte Nährboden für Essstörungen, die Betroffene ihr Leben lang begleiten können.
Doch wieso gibt es so ein schädliches Vorgehen immer noch an manchen Kitas?
Die Kita-Fortbilderin sieht einen Zusammenhang mit dem Personalmangel an Kitas. Seit Jahren steht die Situation in der Kritik. Häufig wechselnde Bezugspersonen und ein schlechter Betreuungsschlüssel bereiten Expert*innen Sorgen. Viele Mitarbeiter*innen stünden unter Zeitdruck, den sie am Tisch womöglich an die Kinder weitergeben. Außerdem seien Kitas gezwungen, auch ungeeignete Personen zu halten.
Wie gehst du damit um, wenn dein Kind nicht essen möchte? Tausche dich gerne in den Kommentaren dazu aus!
Mir kommen die Tränen wenn ich das lese. Da kommt all die Erinnerung hoch. Auch mir (37/ Ostdeutschland) wurde das Essen immer reingezwungen. Zu Hause und im Kindergarten. Und heute leider ich auch an einer Essstörung und werde wohl mein Leben darunter leiden.
Das ist auch was, was ich meinen Eltern nicht verzeihen kann. Auch wenn auch sie es nur so beigebracht bekommen haben. Bei meiner jüngeren Schwester haben sie es dann anders gehandhabt. Und sie ist heute im Gegensatz zu mir Rank und schlank.
Ich habe 3 Kinder und bei meinen Ältesten (17) habe ich damals auch noch sehr viel von den alten Erziehungsmethoden angewendet. (Wahrscheinlich vor allem, weil wir zwei die erste Zeit noch bei meinen Eltern wohnten und sie mir viel „beigebracht“ haben. Leider habe ich mir viel zu sehr reinreden lassen. Sonst wäre die Beziehung zu meinem Sohn die ersten Jahre sicher besser gewesen.
Aber beim Essen habe ich ihn nie zu irgendwas gezwungen. Er war auch damals von Natur aus ein schlechter Esser. Dann bei meinen zweiten Sohn (13) wurde mir das dann so langsam alles bewusst und ich stellte über die Jahre mein ganzes Fehlverhalten ein. Das war ein ganzes Stück harte Arbeit bis heute.
Aber mein drittes Kind (9) hat es heute viel leichter als meine Söhne damals. Und jeder kann das essen was er möchte. Klar versuchen wir immer wieder, ihnen die unbeliebten Speisen schmackhaft zu machen, aber wenn sie nicht wollen, dann ist das eben so. Es sind ja auch nur ein paar wenige Lebensmittel wie Pilze und Fisch.
Vielleicht mögen sie es dann als Erwachsene.
In unseren Kitas wird von der alten Belegschaft auch noch das Essen reingezwungen. Alle wissen es (ich habe es mehrmals angesprochen) aber nichts passiert. Und das jüngere Personal übt den „Probierlöffel“ aus. Ich hoffe das die neu ausgelernten Erzieherinnen es nach der Ausbildung besser machen
Ich war 10 Jahre Erzieherin und bei uns war das auch üblich, dass Kinder den Teller leer essen oder Dinge probieren mussten, die sie nicht mochten… das hatte rein gar nichts mit Personalmangel, einem schlechten Betreuungsschlüssel oder ähnlichem zu tun, sondern waren einfach unfassbar veraltete pädagogische Ansichten, die niemand hinterfragt hat. Ich habe das so in der praktischen Ausbildung gelernt und kannte es auch von zu Hause, also habe ich es nicht hinterfragt. Erst als ich meinen Sohn bekommen habe, habe ich dies alles hinterfragt und über Bord geworfen!