„Ich bin – noch – auf dem Papier verheiratet, in einer viele Jahre währenden Ehe und Partnerschaft. Vor einem Jahr habe ich mich endlich getrennt. Eine Trennung, die schon viele Jahre lang überfällig war, das ist auch der Kern meiner eigentlichen Geschichte: Ich habe meinen Partner und meine Kinder haben ihren Vater schleichend und über Jahre hinweg an den Alkohol verloren.
Der Weg in eine Alkoholsucht ist ein schleichender Prozess. Zu bemerken, dass eine Person die Kontrolle darüber verloren hat, was sie trinkt, ist schwer in Worte zu fassen. Der eigentliche Beginn der Sucht ist schwer zu begreifen.
Wir wohnen auf dem Land, Bier und Alkohol gehören hier zum Alltag.
In Maßen völlig in Ordnung, in Massen und unkontrolliert ein Problem; ein Problem, welches von dem Betroffenen immer und bis zum bitteren Ende bestritten wird. Ein Problem, welches sich so heimlich in die Beziehung und in die Familie schleicht, dass auch nahestehende Personen es viel zu spät erkennen und – diese Erkenntnis ist vermutlich die Bitterste in der Geschichte – nicht verhindern können.
Im Falle meines Mannes war es so, dass er schon immer gerne getrunken hat, in Gesellschaft, beim Weggehen, auch mal mit mir zusammen. Zeitweise waren feste Tage zum Trinken eingeplant (z.B. das ‚Freitagabendbier‘ mit Freunden, Geburtstage etc.) Nichts Besorgniserregendes eigentlich. Im Rückblick ist vielleicht auffällig, dass er bei gemeinsamen Aktivitäten fast nie angeboten hat zu fahren. Entweder sind wir irgendwo mitgefahren oder ich habe auf den Alkohol verzichtet.
Wir hatten zwar auch Alkohol im Haus, aber nicht immer.
Da hielt ein Kasten Bier auch mal einen Monat. Wenn mal einer ‚über den Durst getrunken‘ wurde, gab es am nächsten Morgen den üblichen Kater. Wie gesagt, nichts Besorgniserregendes.
Nach der Geburt unseres ersten Kindes und dem Umzug in unser Haus wurde es dann schleichend anders. Immer öfter kamen die Männer aus dem Dorf zu Besuch, auf einmal war er in einem lokalen Verein aktiv, wenn auch nur mäßig. Der persönliche Freiraum wurde immer mehr erweitert. Viele der Kumpels, die immer öfter kamen, tranken wesentlich mehr als er. Darüber machte er sich auch des Öfteren lustig, schimpfte darüber, wie die ihre Frauen verarschen und sich nur oberflächlich um die Kinder kümmerten.
Immer interessanter wurden zunehmend die Freunde ohne Kinder, ohne Verpflichtung etc.
Im Großen und Ganzen hatten wir jedoch noch ein schönes Familienleben. Es gab mal Krach und es wurde dann auch mal langsamer gemacht, auch hier hielt sich der Alkoholverbrauch im Haus in Grenzen. Wenn er mal länger wegging, war er am nächsten Tag platt, so wie jeder, wenn er getrunken hat.
Unsere Beziehung hatte aber schon einige Risse. So diskutierten wir immer öfter wegen einem weiteren Kind. Irgendwann willigte er missmutig ein. Ich muss nicht erwähnen, dass ihn die Schwangerschaft nicht interessiert hat… Damals hatte ich schon Bedenken, dass er immer tiefer in den Alkoholkonsum rutscht. Er hat aber jedes Jahr eine mehrwöchige Pause gemacht, die tat ihm immer gut.
Es eskalierte zum ersten Mal nach der Geburt unseres zweiten Kindes.
Immer häufiger trank er alleine, was er vorher so nicht getan hatte, bzw. nur selten. Er verbrachte immer mehr Stunden alleine trinkend.
Die saufenden Freunde nahmen zu und auch die Mengen, die getrunken wurden. Drei Kästen Bier in der Woche waren normal. Bei den Kumpels wurde auch noch getrunken. Zudem stellte sich der ‚Gewöhnungseffekt‘ ein. So richtig betrunken war er nicht mehr, vielmehr hielt er immer seinen Pegel.
Richtig beängstigend war es für mich, als ich sah, was er in den Urlauben trank.
Wie viele Kästen Bier (ich trinke übrigens kein Bier) da getrunken wurden. Immer häufiger griff er auch zu Wodka-Energy, während ich fast gar nichts mehr trank. Einer musste ja klar im Kopf sein. Er begann alle Aktivitäten nach und nach zugunsten des Trinkens aufzugeben. Er ging nicht mit zu Veranstaltungen, die ihm nicht gefielen und machte immer weniger mit der Familie.
Er hielt sich auch nicht mehr an Absprachen bezüglich der Kinder. Wenn am Samstagmittag ein Saufkumpan vorbeikam, wurde den Rest des Tages nur getrunken.
An einem normalen Wochentag wurden sicher mindestens 5, aber oft auch bis zu 10 Flaschen Bier getrunken.
Gespräche darüber brachten nichts. Vielmehr hieß es dann immer: Ich bin doch kein Alkoholiker, meine Hand zittert ja nicht. Oder: du tust so, als würde ich euch schlagen. Es stimmt, er war uns gegenüber nie aggressiv, aber immer häufiger gab es Krach, geändert hat sich nix. Mehrmals habe ich mit Trennung gedroht, das Ganze aber nicht durchgezogen.
Irgendwann ging er mehrere Monate lang nicht arbeiten. Psychisch bedingt, er hatte immer häufiger Panikattacken. Er tat in dieser Zeit aber nichts, außer herumzusitzen und zu saufen. Ich versuchte ihm zu helfen, er ließ mich aber gar nicht mehr an sich ran. Seitdem machte er auch nichts mehr mit der Familie, ich bin mit den Kindern alleine in den Urlaub gefahren.
Immerhin hat er irgendwann wieder angefangen zu arbeiten.
Die Sauferei wurde trotzdem immer schlimmer. Er hat in der Zeit viel Gewicht zugenommen, ist aufgedunsen, wirkt fahrig, vernachlässigt die Körperpflege, sieht unglaublich krank aus – ist auch ständig krank zu Hause. Spätestens seitdem war es jedem klar: er ist (alkohol)krank.
Irgendwann ist mir der Kragen geplatzt; seither sind wir getrennt. Leider ist er mittlerweile psychisch und physisch so krank, dass es ein absoluter Graus ist. Ich hänge in der Luft. Das tut weder den Kindern noch mir gut. Ein Gespräch mit ihm über die Zukunft ist kaum möglich.
Eine untragbare Situation.
Ich glaube ganz fest dran, dass der Mensch von früher, der ein toller Kerl und spitzen Papa ist, noch immer irgendwo existiert. Es ist mir wichtig zu sagen, dass er nie blöd zu mir oder den Kindern war. Er ist kein gewalttätiger oder aggressiver Mensch – ganz im Gegenteil.
Was es Partnern und Partnerinnen so schwer macht, sich in solchen Situationen zu trennen?
1. Man will das gar nicht wahrhaben. Denkt es sei eine Phase, beschönigt.
2. Man sieht ein, dass es gesundheitsgefährdend ist, erkennt es aber nicht als Krankheit, sondern als Schwäche oder schlechte Angewohnheit.
3. Man vertuscht es nach außen hin, um den anderen nicht zu gefährden – und weil man selbst gut dastehen möchte. Alkoholiker… das sind doch die Obdachlosen und die Zecken vor dem Bahnhof… Damit ist man aber schon co-abhängig.
4. Man erkennt, dass das Gegenüber krank ist. Man möchte helfen; immerhin verlässt man einen krebskranken Menschen ja auch nicht, wenn er die Diagnose bekommt. Man kann aber nicht helfen, als Angehörige/r ist man machtlos.
5. Man erkennt, dass man dem/r Kranken nur helfen kann, indem man ihn/sie verlässt, möchte das aber nicht wahrhaben, weil man den Menschen ja mag.
Das schleichende Abrutschen in die Abhängigkeit von einer legalen Droge, die leider noch immer in der Gesellschaft kleingeredet wird, wird begleitet von einem Prozess, der zunächst unerkannt bleibt und bei Erkenntnis Hilflosigkeit hervorruft.
Denn so schlimm wie es ist: Ein alkoholsüchtiger Mensch verändert sich langsam, körperlich, aber vor allem auch in seiner Persönlichkeit.
So, dass irgendwann nur noch ein Schatten des Menschen übrig bleibt, den man einst kennen und lieben gelernt hat. Da die abhängige Person ja selbst keinen Handlungsbedarf sieht und aus ihrer Sicht nicht krank ist, wird kein Ratschlag und erst recht keine Hilfe angenommen. Helfen kann sich der Betroffene nur selbst, indem er Krankheitseinsicht hat. Vorher nicht. Und davon sind wir leider noch weit entfernt.”
Liebe Mama (Name ist der Redaktion bekannt), vielen Dank, dass du uns deine Geschichte anvertraut hast. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!
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