„Mein Sohn fährt fünf Tage mit dem Kindergarten weg. Ist die Reise zu lang?“

Foto: miriamboettner.com

Echte Mamas-Autorin und Fotografin Miriam Boettner hat zwei Kinder, Emil und Ida. Von ihrem Familienleben berichtet sie regelmäßig auf ihrem Blog „Emil und Ida“. Diesmal fragt sie sich, wie gut ihr Sohn wohl seine erste lange Reise mit dem Kindergarten verkraftet.

„Emils Kindergartenreise stand an. Fünf Tage sollte es auf einen Bauernhof ins Wendland gehen. Fünf Tage! Und nicht nur ich fragte mich: Ist das nicht viel zu lange für so kleine Kinder (und erst recht für deren Mütter?). Ist das wirklich nötig? Wie geht es dort mit dem Schlafen? Dem Dauerlärm? Kaum Kuscheleinheiten? Was, da fahren auch Kinder mit, die vor ein paar Wochen erst drei Jahre alt geworden sind? Emil ist zumindest schon fünf Jahre alt.

Vielleicht muss ich deshalb an dieser Stelle etwas zum Kindergarten sagen. Wer mir schon länger auf „Emil und Ida“ folgt, weiß um unsere schwere Entscheidung, einen neuen Kindergarten für Emil zu wählen, als sein alter geschlossen wurde. Emil war damals knapp vier Jahre alt.

Foto: miriamboettner.com

In Hamburg gibt es eine unglaubliche Auswahl an Kindergärten, und in unserem Stadtteil Eimsbüttel auch so eine Fülle an Kindergärten, dass niemand ohne Platz ausgeht. Eher werden neue Kindergärten auf Grund von Kindermangel geschlossen. Und trotzdem muss man sagen, dass in diesem Viertel sagenhaft viele Kinder wohnen. In Emils Grundschule zum Beispiel werden nur Kinder aufgenommen, die in einem Umkreis von 800 Metern von der Schule wohnen. Trotzdem haben sie vier erste Klassen. Man sieht also, es mangelt nicht an Kindern.

Ich verfolge mit Interesse die „Kindergartenfrei“-Bewegung. Ehrlich gesagt kann ich die Beweggründe, aus denen sich manche Eltern gegen den Kindergarten und für die Selbstbetreuung entschieden haben, gut verstehen. Nicht alle Kindergärten sind liebevoll und schön. Und wenn ich an einen Vorfall in Berlin denke, wo Kinder ans Bett gefesselt wurden und ihnen das Essen per Daumen in den Mund geschoben wurde, bis sie es runterschlucken, dann graust es mir vor vielen Kindergärten.

Wir haben uns nach vielen Besichtigungen gar nicht für einen Kindergarten entschieden, sondern für einen sog. Kinderladen – ein Überbleibsel aus den 80er Jahren. Entstanden ist er aus einer Elterninitiative und auch heute liegt die „Macht“ in den Händen der Eltern. 26 Kinder nimmt der Kinderladen auf. Er liegt in einer Altbauwohnung im Hinterhof. Hier ist es nicht schick, nicht modern, hier gibt es keine Pastellfarben, keine gepunkteten Wimpelketten und praktisch abwaschbare Möbel. Hier ist alles noch aus Holz, an den Wänden hängen Kinderbilder und an langen Wäscheleinen die neuesten Werke. Hier gibt es einen besseren Betreuungsschlüssel als an „normalen“ Kindergärten und seit (Achtung!) 26 Jahren noch die Erzieher, die damals den Kindergarten mitbegründet haben. Hier wird nicht Englisch gesprochen oder Klavierunterricht  gegeben, dafür gibt es den (ungelogen, nicht übertrieben) besten Tanz- und Theaterpädagogen der Welt! Tanz-Thomas. Und wer den einmal live erleben will und zufällig in Hamburg wohnt, der MUSS freitags in den Schanzenpark zum „Mitmachzirkus“ gehen!

Seit 26 Jahren gibt es also den Kinderladen, seit 26 Jahren fahren die Kinder und Betreuer geschlossen auf einen Bauernhof ins Wendland. Von Montag bis Freitag. Alle 26 Kinder. Und natürlich durfte Emil trotz meiner Bedenken mit.

Als Emil also losfuhr, verdrückte ich ein paar Tränen. Ein Bus voller kleiner Kinder, viele Mamas mit Sonnenbrillen. Aufregung, kleine Taschen, kleine Rucksäcke, viele Kuscheltiere. Lachen, kreischen, ein bisschen weinen. Und dann waren sie weg.

Als Emil zurück kam, war er gebräunt und voller Schrammen und blauer Flecken. Und er hatte sich verändert. Er war größer und selbständiger und vor allem voller Mut, so beschwingt davon, etwas geschafft zu haben. Er sprudelte über vor Geschichten.

Und die Wochen darauf waren die Kinderladenkinder noch viel enger, viel rücksichtsvoller als zuvor. Egal, wo man hinsah, die Großen halfen den Kleinen. Beim Anziehen, beim Klettern, beim Schaukeln. In fünf Tagen waren sie so sehr zusammen gewachsen. Waren bei Gewitter zusammengerückt, waren stundenlang durchs hohe Gras gelaufen, hatten Ziegen gefüttert und im knietiefen Badeteich geplanscht. Hatten gelacht,
Nachtwanderungen und Schatzsuchen gemacht und waren sogar mit Ponys durch die Felder geritten.

Dieses Jahr wird auch Ida (3) mitfahren. Und ich werde noch mehr Tränen verstecken müssen. Beide Kinder weg? Seltsam. Niemand, der einen um sechs Uhr weckt. Niemand, der getröstet werden will. Der am Abend auf meinem Schoß einschläft.

„Es ist schade, dass ich erst so spät in den neuen Kindergarten gekommen bin,“ hat Emil vor kurzem gesagt. „Ida darf drei Mal mit auf Kinderreise. Und ich nur zwei Mal, bevor ich in die Schule komme.“

Tamara Müller

Als süddeutsche Frohnatur liebe ich die Wärme, die Berge und Hamburg! Letzteres brachte mich vor sieben Jahren dazu, die Sonne im Herzen zu speichern und den Weg in Richtung kühleren Norden einzuschlagen. Ich liebe die kleinen Dinge im Leben und das Reisen. Und auch wenn ich selbst noch keine Kinder habe, verbringe ich liebend gerne Zeit mit ihnen.

Alle Artikel