Wütende Hände greifen nach dem Baby und schütteln seinen kleinen Körper hin und her, so dass sein Kopf unkontrolliert von einer Seite zur anderen fällt. Es sind wenige Sekunden, in denen Eltern sich vergessen, die das Leben eines Kindes für immer verändern können.
Auch wir berichten immer wieder über schockierende Fälle, bei denen Müttern oder Vätern eine Sicherung durchbrennt und sie ihr Kind schütteln – mit schrecklichen Folgen wie schwerste neurologische Schäden oder sogar der Tod des Säuglings. Bei Cafemom.com kommt Angie Setlak aus Seattle zu Wort, deren Partner ihr Baby geschüttelt hat.
Wie ein Moment der Wut das Leben der Familie zerstörte
„Xavier wurde vier Wochen zu früh geboren, weil er nicht wuchs. Ich hatte eine sehr stressige Schwangerschaft, weil sein Vater mir fremdging, und das hatte Auswirkungen auf meinen Blutdruck und damit auf das Baby. Aber wir haben es geschafft und Xavier wurde vollkommen gesund geboren.
Er übertraf die Prognosen der Ärzte und musste nur 16 Tage im Krankenhaus bleiben. Wir durften nach Hause und ich verbrachte drei perfekte Monate zu Hause mit meinem Baby. Doch dann war mein Mutterschaftsurlaub vorbei.”
Die Mama lässt das Baby bei seinem Vater, weil sie arbeiten muss.
Der Vater des Kindes arbeitete nachts und sollte deswegen tagsüber auf das Kind aufpassen, wenn Angie arbeiten würde. „Mein ehemaliger Partner hatte immerhin ein 10-jähriges Kind großgezogen, und obwohl ich wegen der Situation sehr nervös war, versicherte er mir immer wieder, dass alles klappen würde.”
Doch offenbar hat der Vater des Kindes sich selbst überschätzt: „Ich habe den ganzen Tag über Textnachrichten von Xaviers Vater erhalten, in denen er mir mitteilte, wie schwierig es mit ihm sei. Ich sagte ihm, wir würden eine andere Lösung finden, damit er tagsüber nicht auf ihn aufpassen müsse. Während des Mutterschaftsurlaubs war Xaviers Vater höchstens zwei Stunden mit ihm allein gewesen, und alles war gut gewesen.
Es kam mir nie in den Sinn, dass mein Sohn in Gefahr war.
Doch eine der Nachrichten brennt sich in Angies Gedächtnis ein: Der Vater des Kindes schicket ihr eine SMS, in der sie fragte, ob er das Baby jetzt ermorden dürfe. „Ich sagte ihm, er solle einfach durchhalten und ich sei bald zu Hause. Ich dachte ständig: ‚Nur noch ein paar Stunden und dann kann ich wieder zu Hause bei meinem Baby sein.‘
Dann, um 14:30 Uhr, bekam ich die Nachricht, von der jede Mutter hofft, dass sie sie nie bekommt. ‚Xavier hat aufgehört zu atmen. Komm jetzt nach Hause.‘ Ich rief seinen Vater an und fragte, was passiert sei, worauf er antwortete: ‚Er ist an der Milch erstickt und wir fahren ins Seattle Children’s Hospital.‘ Ich packte meine Sachen zusammen, unterdrückte meine Tränen und machte mich auf den Weg ins Krankenhaus.
Als ich dort ankam, hörte ich mein Baby weinen und dachte, dass alles gut werden würde.
Es gab einen Raum voller Ärzte, die sich nur um mein kleines, fünf Kilo schweres Baby kümmerten. Nachdem sich alles beruhigt hatte, ließen sie mich zu ihm gehen und seine Hand halten. Er war plötzlich still und blass. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte.
Ihr Baby wird zu weiteren Untersuchungen abgeholt und die Eltern warten angespannt im Flur. Sie redeten nicht, der Vater des Kindes schaute die meiste Zeit auf sein Handy, erinnert sich Angie. „Schließlich brachten sie Xavier zurück ins Zimmer und ließen mich ihn halten. Dann ließen sie mich wissen, dass es in seinem Gehirn eine Blutung gab.
Ich ging sofort zu seinem Vater und fragte: ‚Wie konnte das passieren?‘
Sein Vater hatte immer noch nicht viel zu sagen und wiederholte nur: ‚Er hat sich an der Milch verschluckt.‘ Sie ließen mich Xavier ablegen, weil sie ihn intubieren wollten, und die meisten Eltern wollten so etwas nicht sehen. Wir verließen den Raum und ich brach zusammen. Wie konnte das meinem süßen, unschuldigen Baby passieren?
In dieser Nacht wurde ich um 2 Uhr morgens von Polizisten befragt. Mir wurde klar, dass der Verdacht auf Kindesmisshandlung bestand. Sie sagten mir, dass er aufgrund eines Traumas eine Gehirnblutung erlitten habe. Ich war wütend. Xavier wurde zwei Wochen lang in ein künstliches Koma versetzt, während sie unermüdlich daran arbeiteten, seine Anfälle zu stoppen. Langsam entwöhnten sie ihn von den Medikamenten.
Sie warnten mich, dass er möglicherweise nicht aufwachen würde.
Sie führten mich mit einem Arzt nach dem anderen in ein Zimmer nach dem anderen, um mich zu warnen, was passieren könnte. Wir kämpften gegen zwei Dinge: Das Hirntrauma und die Zeit, in der sein Gehirn nicht mit Sauerstoff versorgt wurde. Ich habe alles gehört, von ‚Er könnte blind sein‘ bis ‚Er wird vielleicht nie in der Lage sein zu lernen, zu gehen, zu sprechen, sich zu bewegen …‘ Aber ich wusste trotzdem, dass er zu mir zurückkommen würde.
Nach 17 Tagen im Krankenhaus brachten wir mein Baby nach Hause. Unser Zuhause ist jetzt anders. Sein Vater und seine Halbschwester sind nicht mehr da. Sein Vater wurde in der Nacht der Verletzung wegen Kindesmisshandlung ersten Grades verhaftet. Ich kenne immer noch nicht die Einzelheiten dessen, was an diesem Tag passiert ist, und ich weiß nicht, ob ich sie jemals erfahren werde.
Mittlerweile konzentriere ich mich weniger auf das ‚Warum‘ als vielmehr auf das ‚Was jetzt‘.
Ich versuche, jeden einzelnen Moment bei meinem Baby zu sein. Ich danke Gott jeden Tag dafür, dass er mir mein Baby zurückgebracht hat. Und für meine Mutter, die jetzt bei mir lebt, da ich alleinerziehend bin und viel arbeite, um für mein Baby zu sorgen. Wir haben so viele Ärzte und so viele Termine, dass es ein Wunder ist, dass ich sie alle im Auge behalten kann.
Xavier geht wöchentlich zur Physiotherapie und wöchentlich zur Ergotherapie. Er hat einen Neurologen, einen Augenarzt, einen Spezialisten für neurologische Entwicklung, er befindet sich in Sprachtherapie und wird nun die Therapie nach der Anat-Baniel-Methode in Anspruch nehmen, um sein Gehirn anzuregen, sich neu zu vernetzen.”
Für Angie steht fest, dass sie niemals aufhören wird, für ihren Sohn zu kämpfen.
Doch der Schaden an seinem Gehirn ist groß. „Das volle Ausmaß des Schadens werden wir erst in einigen Jahren erfahren, da sich sein Gehirn noch in der Entwicklung befindet. Aber er ist mein Wunderbaby, mein Grund, jeden Morgen aus dem Bett zu steigen, obwohl um mich herum meine Welt zusammenbricht. Mein Krieger, der die ganze Zeit gekämpft hat. Er hat mir immer wieder bewiesen, dass er leben und hier sein möchte. Also kämpfen wir.
Ich bin jeden Moment eines jeden Tages dankbar, dass Gott ihn zu mir zurückgebracht hat. (…) Er ist mein Mond und meine Sterne. Das Licht meines Lebens. Er ist alles, was ich immer wollte.
Für Angie ist der Gedanke schwer zu ertragen, dass man den Vorfall so leicht hätte verhindern können.
Sie selbst hat vor der Geburt immer wieder davon gelesen, dass es Momente geben kann, in denen Eltern vom Schreien ihres Kindes überfordert sind und wie sie sich dann am besten verhalten. „Du legst dein Baby hin. Du gehst weg. Du gehst irgendwohin und weinst oder schreist oder sprichst mit jemandem. Du lässt kurz deinen Frust raus, kehrst dann zu deinem süßen Baby zurück und fängst von vorne an.”
Obwohl der Vater ihres Kindes sie betrogen hatte, war Angie überzeugt, dass er seinem Kind nie im Leben etwas antun würde. „Er war nicht gewalttätig und hatte ein 10-jähriges Kind. Ich hätte nie gedacht, dass uns das passieren würde. Wenn ich befürchtet hätte, dass er seinem eigenen Sohn etwas antun würde, hätte ich Xavier nie seiner Obhut überlassen. Sein Vater war so zuversichtlich, dass er das schaffen könnte, da wir uns keine Kinderbetreuung leisten konnten. Er sagte immer wieder, dass es in Ordnung wäre.”
Xaviers Schicksal lässt sich nicht mehr ändern, doch Angie hofft, dass ihre Geschichte andere Eltern sensibilisiert.
„Ich hoffe, dass manche der Menschen, die unsere Geschichte lesen, sich das alles zu Herzen nehmen und erkennen, wie wichtig es ist, ein Baby nicht zu schütteln. Egal was passiert, man schüttelt niemals ein Baby. Es ist so leicht vermeidbar. Ein Moment der Wut hat mein Baby für immer verändert.”