Warum ihr den neuen Barbie-Film mit euren Kindern gucken solltet

Gestern war ich mit meiner Teenager-Tochter (14) und deren bester Freundin im neuen Barbie-Film und habe 1 Stunde und 54 Minuten lang versucht, mich in eine Sechsjährige hineinzuversetzen. Denn mein Auftrag lautete: Schreib eine Filmkritik und beantworte die Frage, ob der Film eigentlich für Kinder ab diesem Alter geeignet ist. Meine Antwort lautet: Nein. Eigentlich nicht. Aber wisst ihr was? Ich hatte fast zwei Stunden lang großen Spaß und finde, ihr solltet ihn trotzdem mit euren Kindern gucken gehen. Ein Plädoyer dafür, seinen Kindern „mehr zuzumuten“.

Warum ich diesen Barbie-Film für Erwachsene feiere

Ganz viel Liebe geht von mir an den Cast – wer sämtliche Nebendarsteller aus der wunderbaren Netflix-Serie „Sex Education“ ins quietschigbunte Barbieland verpflanzt, hat sowieso schon mein Herz erobert. Als dann noch der Godfather des epischen Unsinns – Will Ferrell – im Film als überdrehter Chef des Mattel-Imperiums auftauchte, wusste ich: Es kann kein schlechter Kino-Abend für mich werden.

Garniert wird das alles von einem herrlich hilflosen, dauerverliebten und mit Muskeln bemalten Ryan Gosling als Ken und natürlich der perfekt-makellos-naiven Margot Robbie als Barbie-Personifizierung schlechthin.

Großes Lob auch für das gesamte Setting: Regisseurin Greta Gerwig hat es wirklich geschafft, meine persönliche Barbie-Traumwelt real werden zu lassen. Am Ende hätte ich wetten können, dass Margot Robbies Arme aus Gummi sind.

Und worum geht’s? Ganz einfach: Um Patriarchat versus Matriarchat. Um Rollenbilder und Emanzipation und Kapitalismus-Kritik.

An dieser Stelle ahnen Eltern vielleicht schon, worauf ich hinaus will – das klingt nicht gerade nach einem klassischen Kinderfilm, obwohl „Barbie“ eine FSK-Freigabe von 6 Jahren hat.

Im Vorfeld meines Kinobesuchs las ich mich durch sämtliche Kinokritiken von Elternblogs und Familienportalen – einhellige Meinung hier: Nein, der Film ist nicht für kleine Kinder geeignet, weil sie die Story dahinter gar nicht verstehen würden.

Aber ist das wirklich so wichtig, dass die Kinder die ganze Barbie-Story durchdringen?

Ist das nicht ein sehr erwachsener Anspruch? Haben Kinder nicht vielleicht trotzdem Spaß daran, in diese Szenerie einzutauchen, in diese herrlich-bonbonpinke Quietsche-Welt, in der alles glitzert, die Villen zwar keine Rückwände, dafür aber Rutschen haben, in der bei Notfällen sofort das top ausgestattete Barbie-Arztmobil aufploppt und in der alle den ganzen Tag superhappy sind?

Ich sage ganz klar: Ja, haben sie.

Ich halte es nämlich mit meiner Lieblingsautorin Astrid Lindgren, die zeitlebens dafür plädierte, Kindern mehr zuzumuten und sie nicht prophylaktisch von allem fernzuhalten, nur, weil man befürchtet, sie könnten irgendwas nicht verstehen.

Deshalb möchte ich hier einmal festhalten: Schädlich ist der Barbie-Film für Sechsjährige mit Sicherheit nicht, hier können wir mal die Kirche im Barbieland lassen.

Ich würde sogar noch weitergehen und behaupten, auch die kleine Ilona hätte vor 38 Jahren einen Mordsspaß an diesem Film gehabt und sich über all die liebevollen Details gefreut, die das Herz langjähriger Barbiefans natürlich sofort höherschlagen lassen – wie beispielsweise Hund Tanner, der kleine Häufchen kacken konnte.

Schauen wir uns aber die vielleicht etwas „kritischeren“ Momente des Films genauer an und ordnen mal ein, was euch und eure Kids erwartet.

Was Kinder am Barbie-Film nicht verstehen werden

Schon die allererste Szene des neuen Barbie-Films könnte auf sensiblere Seelchen ein wenig seltsam wirken. Sie erzählt sozusagen die Entstehungsgeschichte von Barbie und spielt in einer mondkraterhaften Umgebung. Kleine Mädchen sitzen im Kreis und beschäftigen sich mit ihren Babypuppen. Ihr Kleidungsstil lässt darauf schließen, dass wir uns in den Fünfzigerjahren befinden, also vor Barbies Erfindung, als die Spielzeugindustrie im Puppensegment ausschließlich Babypuppen hervorbrachte.

Der Tenor des Erzählers lautet: Klar, mit Babypuppen zu spielen, ist toll – aber wir wissen doch alle, wie anstrengend das sein kann („Fragt eure Mütter!“).

Dann erscheint Barbie in Person von Margot Robbie in überlebensgroß und wunderschön auf der Bildfläche, wie der Messias für ausgelaugte Puppenmamis. Die kleinen Damen werfen ihre Babypuppen entschlossen beiseite – und eine von ihnen zerschmettert sogar ihr Puppenkind auf dem Boden wie Jimi Hendrix seine Gitarre in seinen wildesten Zeiten.

Das war der erste Moment des Barbie-Films, den ich als Sechsjährige minimal weird gefunden hätte.

Aber nicht der letzte. Die nächste Szene, in der es mir so ging, trifft zwar voll mein erwachsenes Humorzentrum, dürfte bei Sechsjährigen aber für Fragezeichen sorgen.

Barbie und Ken kommen in der echten Welt an und begegnen einer Horde Bauarbeiter, denen Barbie freimütig erzählt „Ich habe keine Vagina und Ken hat keinen Penis. Wir sind Personen ohne Genitalien – schönen Tag noch!“, und dann gehen sie fröhlich winkend weiter.

Fand ich persönlich ziemlich witzig. Mein sechsjähriges Ich hätte sich in diesem Moment zumindest gefragt, warum alle lachen. Und was eine Vagina ist, wusste ich damals glaube ich auch noch nicht (Sexualerziehung startete in meiner Kindheit wesentlich später als es heute üblich ist – muss man allerdings dazu sagen).

Last but not least fielen mir noch die psychedelisch anmutenden Szenen auf, in denen die großartige Rhea Pearlman als Barbie-Erfinderin Ruth Handler auftaucht und Barbie in einer Art Zwischenwelt vor eine wichtige Entscheidung stellt – auch diese Eindrücke dürften für Kinder jüngeren Alters schwer zu greifen sein.

Aber ganz ehrlich – solche Setups zwischen Raum und Zeit, in denen alles irgendwie auf dem Kopf steht, sind uns doch aus Kindertagen durch Klassiker wie Die unendliche Geschichte oder Alice im Wunderland vertraut.

Mich haben solche Szenen in meiner Kindheit nicht verstört, sondern eher fasziniert.

Vielleicht noch mal kurz zum Inhalt des Films

Die Storyline: Barbie lebt in einer perfekten, pinken Welt – sie wacht jeden Morgen herrlich ausgeschlafen auf, um wie jeden Tag den „besten Tag ihres Lebens“ zu erleben. Zuerst begrüßt sie all ihre Barbie-Nachbarinnen – die Brünette, die schwangere Midge und Skipper natürlich, die alle in ihren eigenen Dream Houses in Barbieland wohnen und jeden Morgen genauso fantastische Laune haben wie Barbie.

Dann geht’s für alle ab zum Strand zur Beachparty mit den super attraktiven (aber auch etwas dämlichen) Kens. Abends ist bei Barbie zu Hause „Girls Night“ angesagt. Es steigt also eine fette Sause mit all ihren besten Freundinnen, nur Ken muss leider immer draußen bleiben. Er kommt eigentlich auch immer zu kurz, der Arme.

Die Kens - nicht die hellsten Kerzen auf Barbies Torte.

Die Kens – nicht die hellsten Kerzen auf Barbies Torte. Foto: Warner Bros.

Und so geht das tagein, tagaus.

Der erwachsene Zuschauer ahnt schon nach dem ersten Durchlauf, dass dieses ach so perfekte Leben vielleicht auf Dauer nicht ganz so erstrebenswert sein kann.

Natürlich bekommt die perfekte Welt Risse – Barbie empfindet plötzlich Traurigkeit, sie weint, denkt an den Tod und – oh mein Gott!! – ihre Füße sind auf einmal flach und ihre Beine voller Cellulite. Um wieder „die Alte“ zu werden muss sie hinüber in die reale Welt und das traurige Mädchen finden, das mit ihr spielt und offenbar gerade eine Krise durchlebt, die sich auf wundersame Weise auf Barbie überträgt. Wenn sie dieses Mädchen wieder glücklich macht, bekommt Barbie ihr altes Leben – und ihren alten Körper – zurück.

Der unglücklich in Barbie verliebte Ken begleitet sie auf dieses Abenteuer und macht „drüben“ in Los Angeles eine bahnbrechende Entdeckung: Während zu Hause in Barbieland natürlich die Frauen das Sagen haben (vom pinken Weißen Haus mit President Barbie bis zum Supreme Court ist dort alles weiblich besetzt), scheint die echte Welt ein wahres Männerparadies zu sein.

Ken entwickelt eine Begeisterung fürs Patriarchat, beliest sich dazu und zettelt zu Hause in Barbieland eine Männer-Revolte an.

Barbie muss im Laufe des Films nicht nur das zerrüttete Mutter-Tochter-Verhältnis ihrer Besitzerin aus der reellen Welt kitten, sondern auch noch ihre eigene Welt vor der drohenden Männerherrschaft retten.

Okay, ich räume ein: Die Story ist so flach wie Barbies kaputte Füße. Aber gleichzeitig auch sehr, sehr lustig.

Nun mal Butter bei die Fische – ich habe meine beiden Teenager (14/15) im Kinosessel neben mir gefragt: Was glaubt ihr, ab welchem Alter verstehen Kinder den Humor des Films? Beide sagten einstimmig „ab 12“. Das entspricht auch meiner persönlichen Einschätzung.

Heißt im Umkehrschluss: Im Alter von 6 bis 12 Jahren werden Kinder den Film nicht ganz kapieren. Aber bringen wir es noch mal genauer auf den Punkt: Warum den Kindern das Vergnügen an dieser großartigen, pinken Glitzerwelt verwehren – nur, weil sie die Botschaften und den Humor vielleicht nicht vollends nachvollziehen können? 

Es dürfte ohnehin schwer zu rechtfertigen sein, warum Mama und Papa im Kino bummelige zwei Stunden Spaß haben dürfen, die Kinder aber zu Hause bleiben müssen.

Also – ab ins Barbie-Wunderland mit euch!

Ilona Utzig

Ich bin Rheinländerin, lebe aber seit vielen Jahren im Hamburger Exil. Mit meiner Tochter wage ich gerade spannende Expeditionen ins Teenager-Reich, immer mit ausreichend Humor im Gepäck. Wenn mein Geduldsfaden doch mal reißt, halte ich mich am liebsten in Küstennähe auf, je weiter nördlich, desto besser.

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Xena
Xena
1 Jahr zuvor

Also meine 10-Jährige Schwester und ihre Freundinnen (10-11) fanden es sehr unangenehm. In dem Alter will man gewisse Dinge nicht hören. Sie hat mir voll Leid getan 😅 Er ist für Erwachsene und fertig