Eine einzige Nacht kann ein ganzes Leben verändern. Antonia war gerade 18 Jahre alt, als sie Opfer einer Vergewaltigung wurde – ein Gewaltakt, der ihr gesamtes Selbstverständnis erschütterte. Doch der Albtraum endete nicht mit dieser Nacht: Einige Wochen später hielt sie einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand. Was dann folgte, war ein Kampf um Selbstbestimmung in einem System, das Frauen genau diese oft abspricht.
Triggerwarnung: Im folgenden Text wird eine Vergewaltigung beschrieben. Wenn du dich damit nicht gut fühlst, solltest du lieber nicht weiterlesen.
„Mit gerade 18 Jahren ging ich im Dezember gegen Mitternacht von einem Geburtstag nach Hause. Eine Strecke, die ich von Kindertagen an kannte, in einer gut beleuchteten Innenstadt. Auf einem Stadtplatz neben unserer Kirche wurde ich von einem mir unbekannten Mann angegriffen und vergewaltigt. Ich glaube, vielen ist nicht bewusst, welche Gewalt es braucht, eine Frau so weit zu dominieren, bis Mann gegen ihren Willen in sie eindringen kann.
Er malträtierte mich, bis ich keine Kraft mehr hatte, mich weiter zu wehren.
Irgendwann raste immer wieder ein Gedanke durch meinen Kopf: ‚Wenn er fertig ist, wird er mich töten.‘ Das tat er nicht, er ging einfach. Ich lag da, mit meinem Gesicht im eiskalten Gras, und dachte das erste Mal in meinem Leben, dass ich sterben möchte.
Seitdem bin ich nicht mehr dieselbe.

Die 18-jährige Antonia. Foto: Privat
Jahrelang hatte dieser Vorfall Auswirkungen auf mein Leben und das meiner Familie. Ich habe mich nach der Vergewaltigung dazu entschieden, mit niemandem zu sprechen. Das war keine rationale Entscheidung. Heute wünschte ich mir, ich hätte mich meiner Familie früher anvertraut. Gleichzeitig wusste ich, dass es sie brechen würde. Ich wollte nicht, dass dieser Mensch noch mehr Leben zerstört. Ich wollte einfach so schnell wie möglich weiterleben, als sei nichts passiert.
Doch einige Wochen später hielt ich einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand. Es fühlte sich an wie blanker Hohn. Als wäre ich so naiv gewesen, zu glauben, dass es irgendwann vorbei ist. Mir war direkt klar, dass ich zu diesem Zeitpunkt und unter diesen Umständen keine Mama werden kann und möchte. Ich wusste nicht, wie ich selbst weiterleben soll.
Da war es keine Option, auch noch für das Leben eines Kindes verantwortlich zu sein.
So sehr ich mir immer Kinder gewünscht habe. Es war mir glasklar, dass ich das Kind meines Vergewaltigers nicht kriegen würde und gleichzeitig war es die schlimmste Entscheidung, die ich mir vorstellen konnte und kann.
Ich habe also die verpflichtenden Beratungsgespräche geführt. Ich hatte große Angst vor den Terminen bei der Beratungsstelle. Davor, dass man mir einreden würde, es wäre besser, das Kind zu behalten. Ich hatte Angst davor, zur Klinik zu gehen und dort von Abtreibungsgegner:innen abgefangen und belästigt zu werden. Ich hatte große Angst davor, das Wort ‚Abtreibung‘ überhaupt auszusprechen.
Ich habe mich durchgehend schuldig und kriminell gefühlt.
Hätte ich eine ‚einfache‘ Lösung gesehen, die Schwangerschaft irgendwie anders zu beenden, wäre ich nicht den beschämenden, offiziellen Weg gegangen. Würde man meinen Google-Verlauf dieser Zeit nachverfolgen, würde man Fragen sehen wie: ‚Welche Medikamente führen zur Fehlgeburt?‘ ‚Führt heiß Baden zur Fehlgeburt?‘ ‚Welche Lebensmittel führen zur Fehlgeburt?‘ ‚Führt Alkohol in der Frühschwangerschaft zur Fehlgeburt?‘
Fast wären wir nun viele Jahre später einen wichtigen Schritt in der Politik gegangen, sodass es solche Suchverläufe nicht mehr hätte geben müssen. Doch wir sind ihn nicht gegangen.
Das Perfide ist, dass im Strafgesetzbuch darüber entschieden wird, welche Frau wie über ihren Körper zu entscheiden hat.
Das ist unglaublich demütigend. Als wären wir Verbrecherinnen. Und dass dabei noch zwischen den Frauen unterschieden wird, macht die Übergriffigkeit des Gesetzes komplett.
Bei einer Vergewaltigung werden die Kosten z. B. übernommen. Hierfür muss die Vergewaltigung nachgewiesen werden. Das hat mich unglaublich unter Druck gesetzt, ich wollte einfach, dass alles vorbei ist und nicht noch mehr Raum einnimmt. Außerdem hatte ich Angst, dass es mein Umfeld dann doch mitbekommt. Dass Post von der Krankenkasse oder der Polizei kommt oder Ähnliches.
Die Entscheidung, eine Schwangerschaft abzubrechen, ist immer unglaublich schwierig.
Sie sollte daher unterstützend begleitet und nicht als potenzielle Straftat behandelt werden. Hätte es § 218 nicht gegeben, hätte ich einfach sagen können: ‚Ich bin schwanger, ich will das nicht, ich entscheide mich dagegen‘ – und hätte eine medizinische Behandlung bekommen, ohne bürokratische und moralische Hürden.
Genau deshalb muss sie immer aus freien Stücken getroffen werden können, aus Überzeugung und aus Liebe. Eine Frau dazu zu drängen, ein Kind zu bekommen, das sie nicht will oder nicht tragen kann, ist ein massiver Eingriff in ihre körperliche und psychische Selbstbestimmung. Eine Schwangerschaft kann körperliche Belastung, gesundheitliche Risiken und emotionale Herausforderungen bedeuten.
All das gegen den eigenen Willen aushalten zu müssen, ist eine Form von Gewalt.
Der § 218 stellt Frauen unter Generalverdacht, als ob ihre Entscheidung zur oder gegen Elternschaft in Frage gestellt werden müsste. Selbstbestimmung ist ein fundamentales Menschenrecht, und genau das sollte auch für Frauen gelten, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden.
Ich wünsche mir, dass Frauen in dieser schwierigen Situation nicht von der Gesellschaft oder dem Gesetz verurteilt werden. Dass sie keine Angst mehr haben müssen, sich selbst zu entscheiden und ihre Erfahrungen zu teilen. Es ist wichtig, dass wir ein Gesundheitssystem haben, das Schwangerschaftsabbrüche als medizinische und persönliche Entscheidungen respektiert, und nicht als Vergehen oder Straftat behandeln muss.
Ebenso sollte es Beratungsangebote geben, die die Frauen tatsächlich unterstützen, ohne sie zu verurteilen – ganz im Gegenteil: sie sollten ihnen helfen, ihren eigenen, selbstbestimmten Weg zu finden.
Noch lange hatte die Vergewaltigung große Auswirkungen auf mein Leben.
Ein Jahr danach lag ich wegen der Krankheiten, die mein Vergewaltiger mir übertrug, mit einem Kollaps meines Immunsystems auf der Isolierstation im Krankenhaus. Ich konnte kaum zur Schule gehen, litt unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, war suizidal und musste nach dem Abi drei Monate in eine Traumaklinik gehen, anstatt zu reisen oder mein Studium zu beginnen.
Es war ein langer Weg, aber ich habe es geschafft, weiterzuleben.

Heute ist Antonia glückliche Mama.
Ich habe intensiv an dem Erlebten gearbeitet und einen Weg gefunden, nicht mehr Opfer, sondern Überlebende zu sein. Mir geht es heute sehr gut, ich habe eine wundervolle Familie gegründet und ich liebe meine Arbeit. Seit ich Mutter bin, verstehe ich noch tiefer, was es bedeutet, ein Kind zu bekommen. Es ist eine Entscheidung, die alles verändert – den eigenen Körper, das Leben, die Zukunft. Mutterschaft bedeutet Verantwortung für einen Menschen, der vollkommen von einem abhängig ist.
Ich sehe noch klarer, dass die Entscheidung für oder gegen ein Kind niemals leichtfertig getroffen wird. Es gibt keine richtigen oder falschen Mütter, nur Frauen, die eine bewusste Entscheidung treffen: entweder für die Mutterschaft oder dagegen. Und diese Entscheidung muss respektiert werden – ohne rechtliche oder moralische Hürden.”
Liebe Antonia, vielen Dank, dass wir deine berührende Geschichte erzählen durften. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!
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