In den letzten Tagen vor der Geburt ihres zweiten Kindes kümmert sich Mama Deborah Dorbert um seine Beerdigung. Sie und ihr Mann wissen bereits, wie sie die begrenzte Zeit mit ihrem Baby gestalten möchten. Das Paar aus Florida wird das neugeborene Kind in eine Decke wickeln, ihm seine Liebe zeigen und sich dann verabschieden.
Sie haben sich entschieden, ihr Baby nach seinem Tod einäschern zu lassen.
Und nun planen sie gerade, wie sie dem kleinen Menschen gedenken können, direkt nachdem sie ihn kennengelernt haben. Unter Tränen erzählt die Mama gegenüber der Washington Post, dass sie sich einen Abdruck seines Fingerchens wünscht oder eine kleine Glasfigur, in die sie die Asche des kleinen Körpers füllen können. „Wir wollen etwas Dauerhaftes”.
Es traf die Familie völlig unerwartet, als ein Ultraschall in der Mitte der Schwangerschaft plötzlich verheerende Fehlbildungen des Kindes offenbarte. Das war das erste Mal, dass die geschockten Eltern mit der vollen Härte des neuen Abtreibungsgesetzes in Florida konfrontiert waren. Deborah und ihr Mann Lee hätten sich nie vorstellen können, dass sie jemals eine Abtreibung befürworten würden, doch sie wurden eines Besseren belehrt. Sie kannten den Schmerz noch nicht, ein Kind zur Welt bringen zu müssen, das vor ihren Augen sterben wird.
Als Deborah erfuhr, dass sie wieder schwanger war, war sie glücklich.
Das Paar hatte sich einen Bruder oder eine Schwester für ihren vierjährigen Sohn Kaiden gewünscht. „Alles war großartig”, erinnert sie sich. Sie habe sich gesund ernährt, regelmäßig Sport gemacht und gemeinsam mit ihrem Mann dem Babybauch beim Wachsen zugesehen. Am Tag vor Thanksgiving fuhr Deborah mit ihrem Sohn zu den Arztpraxen gegenüber dem Krankenhaus, in dem Kaiden vier Jahre zuvor geboren worden war.
Sie war voller Vorfreude, denn heute sollte Kaiden sein Geschwisterchen kennenlernen.
Die Frauenärztin ließ ihren Zauberstab über Deborahs Bauch gleiten und zeigte Kaiden sein Geschwisterchen auf dem Schwarz-Weiß-Bildschirm: Da ist der Kopf des Babys. Da sind die Hände. Dann änderte sich ihr Gesichtsausdruck. Mehr Bilder. Noch mehr besorgtes Stirnrunzeln. Und dann eine erschütternde Erklärung. Das Baby hätte zu wenig Fruchtwasser zur Verfügung, erklärte Deborahs Ärztin ihr sanft. Sie drängte die Mama, sich schnell an einen Spezialisten für fetale Medizin zu wenden.
Die Mama verließ die Praxis mit ihrem Vierjährigen und einem Ultraschallbild, auf dem die SSW vermerkt war – 23 Wochen, 0 Tage. Der zugehörige Bericht listete eine Reihe von Anomalien auf, der Nieren, des Herzens und des Magens. Sie rief ihren Mann an, die beiden weinten gemeinsam und hatten dennoch Hoffnung.
Am Mittwoch nach Thanksgiving hatte Deborah einen Termin bei einem Spezialisten.
Ein dritter Ultraschall, jetzt in der 24. Schwangerschaftswoche, bestätigte die früheren Befunde. Der Spezialist erklärte ihnen, dass der Zustand des Kindes mit dem Leben nicht vereinbar sei. Der Arzt stellte nun auch eine eindeutige Diagnose: Potter-Syndrom. Babys mit Potter-Syndrom sterben oft, bevor sie geboren werden, weil ihre Nabelschnüre zwischen ihrem Körper und der Wand der Gebärmutter eingeklemmt werden. Diejenigen, die den Geburtsprozess überleben, ersticken in vielen Fällen innerhalb von Minuten oder Stunden.
Der Spezialist klärte das am Boden zerstörte Paar über seine Möglichkeiten auf.
Deborah und Lee erfuhren, dass manche Eltern sich dafür entscheiden, die Kinder zur Welt zu bringen; andere beenden die Schwangerschaft durch eine Operation oder indem sie vorzeitige Wehen auslösen. Für die beiden stand fest, dass sie die Schwangerschaft so schnell wie möglich beenden möchten. Sie machten sich Sorgen, dass Deborah die weitere Schwangerschaft und die Geburt eines zum Tode verurteilten Kindes mental nicht überstehen würde. Sie hatten Angst, dass ihr ungeborenes Kind leiden müsste. Und letztendlich überwog auch der Wunsch, mit dem Trauern beginnen zu können.
Der Arzt sagte ihnen, dass der Abbruch zwischen der 28. und 32. Woche möglich sei. In der Zwischenzeit lief die Schwangerschaft beunruhigend normal weiter, auch wenn Deborah aufhörte, zu den regelmäßigen Routineuntersuchungen zu gehen. Sie kann die Gesellschaft von anderen werdenden Mütter nicht mehr ertragen. Der kleine Kaiden weiß noch nicht, dass das von ihm herbeigesehnte Geschwisterchen niemals mit ihm Spielen wird.
Die Eltern haben es noch nicht übers Herz gebracht, mit ihm darüber zu sprechen.
Kurz vor der 28 SSW. meldete sich Deborah bei den zuständigen Behörden, um einen Termin für eine vorzeitige Einleitung der Geburt zu vereinbaren. Die Antwort machte sie fassungslos. Eine Einleitung der Geburt sei nach Prüfung der gesetzlichen Lage erst in der 37. SSW möglich. Für Deborah bedeutete das, sich mit einer zweimonatigen Wartezeit abzufinden, während der ihre Angst und Depression zunahmen.
Obwohl ihr immer wieder gesagt wurde, dass ihr Baby nur 20 Minuten bis ein paar Stunden überleben wird, verweigerten die Ärzte ihr aufgrund der neuen Gesetzgebung die Schwangerschaft vorzeitig zu beenden.
Die Dorberts fühlen sich im Stich gelassen, von denjenigen, denen sie sich anvertraut hatten.
Dass sie gezwungen sind, die Schwangerschaft fortzusetzen, ist für Deborah unbegreiflich: „Die Ärzte haben mir erklärt, dass der Ausgang für mein Baby der gleiche sein wird, egal ob wir die Schwangerschaft nun abbrechen oder ich das Kind zur Welt bringe.”
Das neue Gesetz in Florida trat in Kraft, kurz nachdem der Oberste Gerichtshof der USA im vergangenen Jahr das verfassungsmäßige Recht auf Abtreibung aufgehoben hatte. Das neue Gesetz verbietet Abtreibungen ab der 15. SSW mit wenigen Ausnahmen. Eine der Ausnahmen, die einen späteren Abbruch zulässt, gilt, wenn „zwei Ärzte schriftlich bestätigen, dass der Fötus nach einem nachvollziehbaren medizinischen Urteil eine tödliche fötale Anomalie hat“ und seine Lebensfähigkeit noch nicht erreicht hat.
Es ist unklar, warum die Ärzte der Dorberts von dieser Ausnahme keinen Gebrauch machten.
Womöglich liegt es daran, dass aktuell geforscht wird, ob es für Babys mit dem Potter-Syndrom nicht doch Behandlungsmöglichkeiten gibt. So gibt es Kinder wie den kleinen Paul, dessen Eltern die Diagnose in der 17. SSW erhielten und sich für eine solche experimentelle Behandlungsmöglichkeit entschieden. Ein möglichst frühzeitiges Erkennen der Problematik ist dabei wichtig, um die Lungenentwicklung frühzeitig und über die Zeit hinweg bis zu deren Abschluss zu unterstützen. Gelingt dies nicht, versterben die Kinder nach der Geburt, da sie aufgrund der Lungenhypoplasie nicht selbstständig atmen können (Quelle: Bundesverband zur Begleitung von Familien vorgeburtlich erkrankter Kinder e.V.).
Der kleine Paul ist inzwischen fünf Jahre alt. Insgesamt erachten seine betreuenden Ärzte und Therapeuten Pauls Entwicklung im Kontext seiner Grunderkrankung als sehr positiv. Ob das auch eine Option für das Kind von Deborah und Lee gewesen wäre? Das lässt sich rückblickend schwer beurteilen. Alle von ihnen konsultierten Ärzte sagten ihnen, dass es keine Überlebenschance für ihr Baby gäbe, das bereits in der 25. SSW einige schwerwiegende Fehlbildungen aufwies.
Für die Eltern ist es deswegen unbegreiflich, warum Deborah das Kind dennoch zur Welt bringen muss.
Weder der Arzt, der die Geburt begleiten sollte, noch der Facharzt für mütterliche fetale Medizin, den sie konsultierten, antworteten auf mehrere Bitten des Paares um Stellungnahme.
Autumn Katz, Interimsleiterin für Rechtsstreitigkeiten am Center for Reproductive Rights, hat eine Vermutung. Ärzte aus Florida, die gegen das neue Gesetz verstoßen, können ihre Lizenz verlieren, ihnen drohen hohe Geldstrafen und bis zu fünf Jahre Gefängnis. Infolgedessen, sagte Katz, seien sie sehr vorsichtig. Wer will schon riskieren, ins Gefängnis zu gehen oder seine Lizenz zu verlieren?
Als die Abtreibungsgesetze in den USA geändert wurden, schenkte Deborah dem nicht viel Aufmerksamkeit.
Sie war davon überzeugt, dass sie sich niemals einen Schwangerschaftsabbruch wünschen würde. Das hat sich nun geändert. „Es macht mich wütend, wenn Politiker entscheiden, was das Beste für meine Gesundheit ist“, sagte sie. „Wir würden alles tun, um dieses Baby zu bekommen.“ Auch ihr Mann ist frustriert: „Wir haben das nicht wirklich verstanden. Uns wurde gesagt, dass es eine Ausnahme gibt“, sagt er. „Offensichtlich ist die Ausnahme in manchen Fällen nicht genug.“
Die Eltern versuchen inzwischen, sich mit ihrem fremdbestimmten Schicksal zu arrangieren. Sie haben einen Namen ausgesucht. Wenn es ein Mädchen wird, dann soll es Malia heißen. Ein kleiner Junge bekäme den Namen Milo. Vorerst nennen sie ihr zweites Kind „Baby M”. Anfang Januar hatte das Paar bereits ein Gespräch mit den Spezialisten einer Kinderklinik, um das kurze Leben von Baby M. zu besprechen.
Baby M. wird höchstwahrscheinlich anders aussehen als andere Neugeborene.
Ihr Kind wird deformiert sein, ein abgeflachtes Gesicht und weit aufgerissene Augen, bewegungsunfähige Arme und Beine sowie Klumpfüße haben. Deborah und Lee sind innerlich darauf vorbereitet und haben auch Deborahs Eltern informiert. Denn diese werden ebenfalls im Krankenhaus sein, in der Hoffnung, dass Baby M. die Geburt überlebt und sie es kurz kennenlernen können.
In der Zwischenzeit gibt es in den USA politische Pläne, das Abtreibungsverbot zu verschärfen.
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