„Ich bekomme diesen Tag nicht aus meinem Kopf, diese erste Gewissheit, dass Elaine, unsere Tochter, uns verlassen hatte, bevor wir sie kennenlernen durften.
Ich hatte am Vormittag auf der Toilette Blut in meinem Slip entdeckt. Nicht viel, aber eben auch nicht nur zwei Tröpfchen.
Irgendwie wusste ich sofort, dass es Probleme gab. Dass etwas nicht stimmte.
Ich wusste es einfach, und daher bat ich meinen Mann, mich in die Notaufnahme zu bringen. Er war außer sich – vor Freude, denn er war tatsächlich bis dahin nie mit bei einer Ultraschall-Untersuchung gewesen. Für ihn war ausgeschlossen, dass ich mit meinen Sorgen recht hatte. Schließlich war die Schwangerschaft schon nicht mehr an ihrem Anfang und bisher war alles prima gewesen.
Während der Untersuchung blickten wir beide atemlos vor Aufregung auf den Monitor des Gerätes. Mein Mann jauchzte und jubelte: ,Da ist sie doch, meine Kleine! Schau doch, sie ist da, alles ist gut!` Ich wusste nicht, wie ich es ihm sagen sollte:
Ja, Elaine war zu sehen. Aber ihr kleines Herz schlug nicht mehr, das konnte ich deutlich erkennen.
Die Ärztin nahm mir die Aufgabe ab, ihm die Wahrheit zu sagen. Er brach regelrecht zusammen.
Alles, was darauf folgte, war kaum zu ertragen. Psychisch und physisch. Ich bekam Tabletten, die mir unglaubliche Schmerzen bereiteten. Und irgendwann kam meine Tochter zur Welt. Bei uns zu Hause.
In diesem Moment brach ich dann zusammen. Ich konnte nicht mehr.
Mein Mann dagegen kam ins Leben zurück. Er hatte getrauert, jetzt funktionierte er wieder. Er kümmerte sich um die Beerdigung von Elaine, er umsorgte mich, er hielt mich, er beantwortete all gut gemeinten, aber verletzenden Fragen unserer Bekannten und Familie.
Und nach drei Monaten fragte er mich, ob wir es jetzt nicht wieder versuchen sollten.
Ich erstarrte. Ich konnte noch gar nicht an ein anderes Kind denken! Er schaute mich aber so voller Liebe und Hoffnung an, dass ich ihm nicht sofort antworten konnte.
Ich vertraute mich einer Freundin an. Sie schaute mich lange an. Ich fragte sie, was denn los sei? Sie sagte: ,Ich kann dich nicht verstehen. Du hast jetzt so lange getrauert. Auch viele andere haben schon das erlebt, was du erlebt hast! Lass das Thema hinter dir und sei froh, dass er es nochmal versuchen will.“
Ich war wütend, ich war sprachlos. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Ich erzählte meiner Mutter davon. Sie drückte es liebevoller aus – aber sie war der Meinung meiner Freundin.
Ich sprach mit meinem Mann. Er sagte: ,Ist okay, nimm dir alle Zeit der Welt!` Seine Mimik sagte: ,Ich sehe das Problem nicht. Wir wollen ein Baby, warum machen wir denn jetzt keines?‘
Nach einem weiteren Monat redete ich mir ein, dass ich jetzt bereit sei. Wir verhüteten nicht und ich wurde schnell schwanger. Schneller, als es mir damals lieb war.
Mein Mann flippte aus vor Freude! Nur manchmal wurde er ganz still, weil er an Elaine dachte und daran, dass das natürlich auch mit unserem zweiten Baby passieren konnte.
Aber alles ging gut. Pascal, unser Sohn kam gesund und munter zur Welt.
Seine Geburt war für alle der endgültige Abschied von Elaine – und von ihren Gedanken an sie. Mein Mann spricht von Pascal als ,unserem ersten Kind` und prahlt scherzhaft, dass er ja schon immer einen Stammhalter haben wollte. Alle lachen und stimmen mit ein, keiner fragt mich, wie es mir denn geht.
Und ich? Klar bin ich glücklich, Pascal in meinen Armen zu halten. Es ist wunderbar, dass er bei uns geblieben ist. Ich liebe ihn und das Leben mit ihm. Aber ich kann nicht vergessen, dass er ein kleiner Bruder ist. Ich entschuldige mich in Gedanken bei Elaine, wenn mein Mann sie verleumdet.
Ich ersticke nicht mehr an meinem Schmerz, aber er ist da. Immer.
Und inmitten meiner Familie fühle ich mich so oft allein, weil keiner mich verstehen kann. Ich werde Elaine nie vergessen, und das möchte ich auch nicht.“
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