Stillen? Ist doch was ganz Natürliches. Wird schon irgendwie klappen, dachte ich, bevor mein kleiner Sohn vor knapp 19 Monaten das Licht der Welt erblickte. Wie hart die ersten Wochen werden würden, ahnte ich nicht. Das Baby schreit die Brust an, weint und will dennoch ständig trinke – so sah mein Alltag in der ersten Zeit aus. Die Weltstillwoche in Deutschland unter dem Motto „Eltern stärken – für das Stillen“ vom 30. September bis zum 6. Oktober habe ich zum Anlass genommen, unsere Stillgeschichte aufzuschreiben – mit allen Höhen und Tiefen.
Stillen: Ich war optimistisch, aber planlos
Ich hatte mich (leider!) vorab überhaupt nicht mit dem Thema Stillen beschäftigt. Ich ging davon aus, dass es schon irgendwie klappen würde. Statt mich mit langweiliger Theorie zu befassen (zum Beispiel der besten Stillposition), malte ich mir lieber aus, wie sehr ich die innigen Momente mit dem kleinen Zwerg genießen würde: Mama und Sohn eng aneinander gekuschelt. Tiefe Blicke voller Liebe. Zufriedenes Schmatzen. Hach, Glück pur!
Als ich Bruno dann zum ersten Mal anlegen sollte, war ich komplett überfordert. Ich hatte keine Ahnung, wie ich ihn halten sollte. Das Problem: Uns fehlen heutzutage die Stillvorbilder. Frauen, die wir beim Stillen erleben und die uns – gerade am Anfang – mit praktischen Tipps zur Seite stehen. Früher, als wir noch in Großfamilien zusammenlebten, war das anders. Heute kennen die meisten von uns nur das Bild der Mama, die ihr trinkendes Baby in der Öffentlichkeit unter einem Tuch versteckt.
Stillberatung im Krankenhaus: Nicht schön, aber effektiv
Zum Glück gab es in unserem Krankenhaus Stillberaterinnen, die uns Neu-Mamas in den Tagen nach der Geburt unterstützten. Sie gingen allerdings, nun ja, recht rabiat vor (Familienmitglieder wären da etwas empathischer, vermute ich…). Ich werde nie vergessen, wie eine der Beraterinnen meine Brust nahm, mit ihren Fingern zusammenquetschte und meinem Kleinen mit Druck in den Mund schob.
Außerdem scheuchten sie uns Mamas in regelmäßigen Abständen in das extra dafür vorgesehene Stillzimmer. Helles Licht, Stühle, die mich irgendwie an die Praxis meines Gynäkologen erinnerten, XXL-Stillwürste aus abwaschbarem Plastikstoff – ehrlich, das hatte ich mir anders (schöner!) vorgestellt. Aber immerhin: Es klappte. Mein Sohn legte gut zu. Ich war glücklich und erleichtert. Dass mein Baby jedes Mal meine Brust anschrie, schob ich auf die Atmosphäre im Krankenhaus. Zuhause wird das sicher aufhören, dachte ich.
Doch auch zu Hause galt: Mein Baby schreit die Brust an
Doch Zuhause wurde es nicht besser. Nach ein paar Schlucken fing er jedes Mal an zu schreien. Mein Mann musste ihn im Fliegergriff durch die Wohnung tragen, bis er sich halbwegs beruhigt hatte. Dann ging das Spiel von vorne los. Ich legte ihn an, er trank – und weinte. Teilwiese zog sich das Ganze über Stunden hin.
Besonders abends artete es aus. Bruno war in den Abendstunden generell unruhig und weinte viel („Schreistunden“). Er wollte in dieser Phase sehr häufig und in kurzen Abständen gestillt werden. Das Phänomen ist als „Clusterfeeding“ bekannt und in den ersten Wochen ganz normal. Stillbabys regen so die Milchproduktion von Mama an. Ihr Magen ist außerdem noch so klein, dass sie keine größeren Mengen Nahrung auf einmal aufnehmen können. Da Bruno dabei aber viel weinte, empfand ich die abendlichen „Stillmarathons“ als sehr belastend.
Mein Baby schreit die Brust an: Warum nur machte ihn meine Milch so unglücklich?
Ich wollte meinen Sohn so gerne glücklich machen. Stattdessen schien es fast so, als würde ich ihm mit meiner Milch schaden. Ich konnte mir das Ganze nicht erklären, war verzweifelt und verunsichert und fragte mich: Warum schreit mein Baby die Brust an? Kommt nicht genug Milch raus? Wird er nicht richtig satt? Sollte ich besser zufüttern? Verträgt er meine Milch nicht und hat deshalb Bauchweh?! Habe ich was Falsches gegessen? Sollte ich besser abstillen?
Dazu kam, dass ich Probleme hatte, die richtige Stillposition zu finden. Meine Hebamme hatte mir geraten, in der „Wiege-Position“ im Sitzen zu stillen und dabei Arme mit Kissen und Stillkissen zu unterstützen. Mein Mann und ich fingen also an, Kissen auf dem Sofa aufzutürmen, sobald Bruno Hunger anmeldete. Bis der Aufbau fertig war und ich meinen Sohn anlegen konnte, hatte er sich allerdings schon in Rage geschrien. Und so richtig gemütlich war es auch nicht. Dadurch, dass er nicht perfekt angelegt war, schluckte mein kleiner Zwerg beim Stillen Luft – und schrie umso mehr.
Stillen will gelernt sein: Ein Online-Seminar bei einer Stillberaterin hat uns geholfen
Erst ein Online-Seminar bei einer ausgebildeten Stillberaterin IBCLC (Laktationsberaterin) konnte unsere Situation verbessern. Im Seminar erfuhr ich: Weniger ist manchmal mehr! Ich ließ die ganzen Kissen weg, legte mich in einer halbliegenden Position ins Bett und legte mir Bruno einfach auf den nackten Bauch. Außerdem probierte ich das Stillen in Seitenlage aus. Ja, ohne das ganze Drumherum klappte es so viel besser! Und auch das Weinen hörte nach einigen Wochen von ganz alleine auf.
Viele Monate später stieß ich in einem Buch auf eine Erklärung für sein Verhalten: Es wird vermutetet, dass sehr sensible und reizoffene Babys den gastrokolischen Reflex stärker wahrnehmen als andere Kinder. Dieser Reflex ist beim Trinken eine Reaktion des Darms auf die Meldung des Magens, dass der Darm entleert werden soll, um Platz für neue Nahrung zu schaffen (deshalb geht beim Stillen so oft was in die Windel). Sensible Babys verspüren diesen Reflex als Schmerz, unterbrechen das Stillen und müssen sich beruhigen, bevor sie weitertrinken können.
Für uns gab´s doch noch ein Happy End
Hätte ich das mal früher gewusst. Vielleicht hätte mich sein Weinen dann weniger aus der Bahn geworfen. Ich hätte weniger an mir selbst gezweifelt und die Situation akzeptiert, wie sie ist. Wer weiß. Aber auch so hatten mein kleiner Schatz und ich nach den anfänglichen Schwierigkeiten doch noch eine richtig schöne Stillzeit. Kurz nach seinem ersten Geburstag habe ich sanft abgestillt. Ich hätte es mir am Anfang nicht vorstellen können, aber: Inzwischen trauere ich dieser innigen, besonderen Zeit nach.
[…] Babys drücken über das Schreien aus, dass irgendetwas nicht stimmt. Es hat Hunger, Schmerzen oder Blähungen, fühlt sich krank. […]