Borderline: Wie ich als Mama mit meiner psychischen Erkrankung lebe

Borderline“, das bedeutet ein Wechselbad der Gefühle. Die psychische Krankheit Borderline wird als „instabile, impulsive Persönlichkeitsstörung“ definiert. Sie kennzeichnet sich dadurch, dass Betroffene Emotionen sehr viel stärker wahrnehmen als es „normal“ und gut ist.

Hier erzählt Marie* aus unserer Echte Mamas Community von ihrem Leben mit dieser Krankheit – und wie sie ihren Alltag beeinträchtigt (*alle Namen von der Redaktion geändert):

Kinder und Borderline, das ist eine brisante Mischung. Ich bin eine davon betroffene Mama und meistere diese Herausforderung manchmal besser, manchmal schlechter.

Ich heiße Marie, bin 27 Jahre alt und habe zwei Kinder. Ben ist sechs Jahre, Finn ein Jahr alt.

Seit 2016 bin ich in psychologischer Langzeittherapie. Derzeit nehme ich keine Medikamente, allerdings werde ich das mittelfristig ändern, da ich etwas entspannter werden möchte.

Für meine Kinder bemühe ich mich natürlich jetzt schon sehr, meiner Krankheit die Stirn zu bieten, aber immer gelingt es mir leider nicht. Wie alle Borderliner komme ich mit diesen unglaublichen Gefühlen nicht zurecht. Ich fahre immer gleich hoch – völlig egal, ob es sich um Freude oder Wut handelt…

Meine Psychotherapie hilft mir, die viele unterschiedlichen Situationen, die sich im Familienleben ergeben, mit Ruhe anzugehen. Typisch für mich wäre es nämlich, sofort auf 180 zu sein, nur weil Ben die Wände bemalt hat. In der Therapie aber lerne ich, mit solchen Dingen besser umzugehen – schließlich ist das kein Weltuntergang, er ist eben ein Kind und überhaupt: Das habe ich ja früher auch gemacht!

In meiner Kindheit gab es für solche Aktionen allerdings Schläge…. Was wohl auch ein Grund dafür ist, dass ich psychisch etwas „angeknackst“ bin. Dass das so ist, war mir schon immer irgendwie klar, aber man befasst sich ja eher weniger damit. Die typischen Anzeichen wie selbstverletztendes Verhalten etc. begannen in der Pubertät und wurden dann immer schlimmer.

Ich war 20 Jahre alt, als ich meine Diagnose Borderline und Depressionen bekam – dank meines Chefs. Ich geriet 2010 in eine fürchterliche Episode, habe alles schleifen lassen, Leid, Kummer und negative Gefühle in massig Alkohol ertränkt, zur Arbeit bin ich kaum mehr erschienen. Mein Chef merkte, dass ich nicht einfach nur faul war, sondern dass da etwas mehr dahintersteckt. Er bot mir seine Hilfe an und schickte mich zur Psychiaterin.

Beim ersten Termin dort heulte ich Rotz und Wasser – nur, weil sie gefragt hatte, was los sei. Ich konnte nicht mehr, war mit dem Leben und dieser permanenten Gefühlsdusche überfordert. Sie war sehr lieb zu mir und machte gleich eine Überweisung in die Psychiatrie fertig, wo ich wenige Tage später stationär aufgenommen wurde

Ich lernte, dass auch die Gene eine Rolle spielen und man die Veranlagung zu Borderline von Geburt an hat. Ich war tatsächlich schon immer temperamentvoll. Dass sich auch dieser Veranlagung eine psychische Krankheit entwickelt, hängt von mehreren Faktoren ab und ist bei Frauen wahrscheinlicher: Zwei Drittel der von Borderline Betroffenen sind Frauen. Behielt werden kann Borderline nicht, allerdings kann man lernen, damit zu leben.

Und das habe ich versucht. Nach acht Wochen wurde ich aus der psychosomatischen Abteilung entlassen und sollte eigentlich in die Tagesklinik. Das hielt ich aber nur drei Tage durch. Weil ich das Gefühl hatte, dass mir das nichts bringt, bestritt ich meinen Alltag wieder alleine.

Ich ging wieder arbeiten und nahm meine Medikamente. Im März 2011 habe ich die Medikamente selbstständig abgesetzt, weil ich die Nebenwirkungen nicht mehr ertragen konnte. Es kam mir so vor, als wäre ich nicht anwesend.

Im Juni 2011 wurde ich zum ersten Mal schwanger. Mein ganzes Leben stellte sich auf den Kopf. Ich war hin- und hergerissen. Mit dem Erzeuger war ich damals nicht zusammen. Aber wir entschieden uns gemeinsam für den Kleinen. Obwohl ich dazu sagen muss, dass es mir egal gewesen wäre, wenn er das Baby nicht gewollte hätte. Mein Körper, mein Baby, mein Leben. Dafür hätte ich ihn nicht gebraucht.

Trotz seiner Entscheidung verhielt er sich nicht wie ein werdender Vater. Er verleugnete mich und meinen Zustand, belog viele und machte mich schlecht, wo er nur konnte.

Bei der Geburt von Ben im Februar 2012 war er aber trotzdem dabei, inzwischen hatten wir – warum ich mir das antat, weiß ich heute selbst nicht mehr – eine Art offene Beziehung. Nach der Geburt bestand der Erzeuger auf einen Vaterschaftstest. Obwohl dieser positiv war, misstraute er mir weiter. Ganz die Borderliner-Persönlichkeit bemühte ich mich trotzdem weiterhin um ihn und die Beziehung.

Am Ende funktionierte es aber natürlich nicht. Als schließlich klar war, dass wir uns endgültig trennen, brach der Kontakt fast ganz ab. Zum Umgang mit seinem Sohn musste ich fortan förmlich zwingen, bis er schließlich ganz verschwand.

Für Ben und mich war das rückblickend gesehen wohl das Beste, das er machen konnte. Mir ging es besser, weil ich Klarheit hatte und mich damit abfand. Ich machte eine Ausbildung, die ich durchzog und später abschloss.

Zwei Mal meldete sich der Erzeuger von Ben noch, beide Male ging es vors Gericht – das waren Situationen, die mich völlig aus der Bahn warfen. Bei der zweiten Verhandlung wurde das Sorgerecht für Ben geteilt, die Gesundheitsvorsorge und das Aufenthaltsbestimmungsrecht bekam ich. Mein Ex-Freund sollte also bei allem mitentscheiden. Allerdings hat es seinen Sohn seit 2015 auf eigenen Wunsch erst rund 30 Mal gesehen.

2015 kam es noch einmal zu einer Katastrophe. Völlig unerwartet schlitterte ich in eine depressive Episode, die sehr schnell sehr extrem wurde. Ich hatte einen völligen Nervenzusammenbruch. Morgens versorgte ich wie immer meinen Sohn, versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, brachte ihn in die KiTa und klappte dann zusammen. Ich hoffte, von einem Auto überfahren zu werden oder einfach nur umzukippen und tot zu sein. Ich war wie ferngesteuert, dachte an mein Kind und bin ihm zuliebe zum Hausarzt. Meine Mutter kam mir sofort zu Hilfe, ich wurde stationär eingewiesen und wir bestritten diesen Weg gemeinsam als Familie.

Ich war fast drei Monate in Behandlung. Ben war bei seiner Oma gut aufgehoben und ich versuchte, jeden Tag bei ihm zu sein. Nur manchmal fehlte mir die Kraft. Es war schwer, einem 4-Jährigem zu erklären, warum Mama im Krankenhaus ist, denn schließlich hatte Mama ja kein „Aua“.

So sagte ich ihm, dass ich manchmal „Aua“ im Kopf und im Herzen habe und es hier heile gemacht wird. Leider hat unsere Beziehung dadurch gelitten – nicht durch die Krankheit, sondern durch die Trennung. Zuerst die Ausbildung, die mich zwang, ihn jeden Tag viele Stunden in der KiTa zu lassen, dann die Therapie, das war ein bisschen zu viel Stress für eine perfekte Mutter-Kind-Beziehung. Es tut mir im Herzen weh, dass es so kommen musste, und ich bemühe mich jeden Tag zu kitten, was diese beiden Trennungen kaputt gemacht haben.

In Kombination mit meiner Borderline Krankheit ist das alles andere als einfach!

2016 bekam ich dann mein zweites Kind, Finn – ich war in einer guten Phase. Ich hatte seit einigen Jahren einen neuen Partner gefunden, mit dem es auch gut lief. Jetzt, rund fünf Jahre später sind wir getrennt.

Ben ist inzwischen ja schon im Vorschulalter und sieht es mir manchmal an, wenn es mir nicht gut geht. Er fragt dann auch nach, aber ich bin so oft einfach genervt. Und das ist das Schlimme, man ist als Borderlinerin ‚grundlos‘ genervt.

Am Ende des Tages geht’s dann im Kopf los: „Marie, du hättest netter sein können, Marie, du hast das und das nicht geschafft, du hast grundlos geschimpft!“ Das ist so fürchterlich, in diesen Momenten bin ich so voller Selbsthass, dass ich es kaum ertragen kann.

Früher hätte ich zur Rasierklinge gegriffen. Da ich mich ja nun nicht selbst verletzen kann/möchte, lasse ich den Druck durchs Putzen ab – für mich eine Strategie, die wirkt.

Meist mache ich das aber so extrem, dass dann auch die Hände kaputt sind. Während der Schwangerschaft mit Finn war es wirklich heftig, ich desinfizierte hier und dort. Und dennoch war nichts perfekt genug.

Wenn ich heute nicht wenigstens sauber machen kann, dann bin ich unzufrieden und von mir genervt, schlecht gelaunt und lasse es an den falschen Personen aus. Mein letztes Tief hatte ich vor knapp einem Jahr. Es dauerte ungefähr fünf Tage an. Es macht nicht „Klick“ oder so, um aus dem Loch wiederherauszukommen, das wäre zu schön. Ich musste mich schon sehr dazu zwingen, aber ich habe es geschafft. Für mich und vor allem für meine zwei Kinder!

Ebenfalls eine gute Strategie bei Borderline ist es, einfach mal Fünfe gerade sein zu lassen. Wenn ich morgens beim Aufstehen merke, dass die Depression an mich heranschleicht, mache ich den Kindern Frühstück, versorge sie und lege mich wieder hin. Ja, dann gibt es Tage, da bleibt Ben zuhause. Aber noch kann er es sich ja erlauben. So versuche ich, erst gar nicht reinzurutschen und es funktioniert ganz gut. Ich muss leider sagen, dass meine Kinder keine 100 % von mir bekommen, dafür schweife ich noch zu oft ab oder habe nicht die nötige Geduld, aber ich gebe mir große Mühe.

Meine Kinder geben mir die Kraft durchzuhalten, für sie lohnt es sich, zu leben! Denn auch suizidale Gedanken haben mein Leben ab und an im Griff (gehabt).

Die Kinder geben mir auch die Kraft, mich nicht selber zu verletzen. Auch wenn es manchmal ein richtiger Kampf ist, es nicht zu tun. Doch ist der Impuls vorbei, sehe ich Ben und Finn an und weiß, dass sie mich brauchen, und zwar vollständig.

Ich liebe meine beiden Jungs abgöttisch. Es fällt mir oft schwer, es richtig zu zeigen. Ich fühle mich oft als Versagerin. Aber dann sagt der Große ein „Ich hab dich lieb“ und der Kleine kommt zu mir zum Kuscheln. Dann geht mein Herz auf und das zeigt mir, dass ich vielleicht als Mama doch ein bisschen was richtig mache.

Rebecca

Schon seit rund einer Dekade jongliere ich, mal mehr, mal weniger erfolgreich, das Dasein als Schreiberling und Mama. Diese zwei Pole machen mich aus und haben eines gemeinsam: emotionale Geschichten!

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