Mein Schatz,
unser Leben ist seit einigen Wochen ganz anders, als wir es kennen.
Als ich dir erzählt habe, dass die Kita für einige Zeit schließt, hast du dich zuerst gefreut. Ganze Wochen ohne Kita, ohne Gehetze am Morgen und kurze gemeinsame Nachmittage – das hörte sich für dich nach Urlaub an. Kitafrei bedeutete immer etwas Schönes, etwas Besonderes: Viel Spaß mit einem entspannten Papa und einer entspannten Mama, die unerhört viel Zeit haben. Tolle Ausflüge oder sogar Urlaube am Meer.
Viel zu schnell musstest du merken, dass es diesmal anders ist.
Mama und Papa sind zwar zu Hause, müssen aber arbeiten. Du bist genervt, wenn wir am Laptop sitzen und nicht mit dir spielen „wollen“ – schließlich sind wir doch nicht im Büro! Videokonferenzen fandest du erst spannend, inzwischen versuchst du, sie durch Meckern abzukürzen. Klappt nicht, ne? Finde ich auch doof, glaub mir.
Dass an Ausflüge gerade nicht zu denken ist, haben wir dir schnell erklärt. Und dann in dem Zuge auch gleich noch, dass der Spielplatz geschlossen ist. Und, ach ja, wenn wir auf dem Hinterhof sind und ein Nachbarskind kommt, dann kannst du natürlich mit ihm spielen. Aber nur, wenn ihr es schafft, euch dabei nicht zu nahe zu kommen!
Natürlich wolltest du wissen, warum. Wir haben versucht, dir die Situation kindgerecht zu erklären. Wir dachten, wir hätten das geschafft, ohne dich zu sehr zu belasten.
Und jetzt? Liegst du abends mit großen Augen im Bett und erzählst mir, dass du Angst vor dem Virus hast.
Dass sich deine Freundinnen anstecken und krank werden. Wenn wir vorm Einschlafen kuscheln und der Tag endlich etwas stiller wird, erzählst du mir, wie sehr du deine Freundinnen vermisst. Die Kita, die Erzieherinnen, Oma und Opa.
Und ich? Ich kann kaum etwas sagen, weil ich vor Kummer einen Kloß im Hals bekomme. Aber was sollte ich dir auch sagen? Ich weiß nicht, wann du wieder in die Kita kannst. Und ich weiß nicht, wann du Oma und Opa wiedersiehst. Manchmal überlege ich fast, ob du sie überhaupt jemals wiedersiehst – aber diesen Gedanken schiebe ich ganz schnell beiseite.
Dein Papa hat mal gesagt: „Kinder halten uns jetzt davon ab, völlig verrückt zu werden.“ Ich denke, er hatte recht. Denn Kinder sind wunderbar, und du allen voran.
Du bist so stark, meine große Kleine.
Du meisterst das alles so gut, du erträgst deine Eltern, die zur Zeit oft genug gereizt oder bekümmert sind. Du schaffst es, mich genau im richtigen Moment in deine kleinen Arme zu schließen und mir einen dicken Kuss aufzudrücken.
Ich wünsche dir eine absolut wundervolle Kindheit, lustig, wild, bunt. Voller Freiheit. Und unbeschwert. Und genau das trifft mich so – ich glaube, dir ist ein Stück Unbeschwertheit genommen worden. Du weißt, dass du Abstand zu anderen halten sollst. Du weißt, dass du in die Armbeuge niesen sollst. Du weißt, dass es eine gefährliche Krankheit da draußen gibt. Und du weißt, dass sich das Leben ganz schnell ändern kann. Gerade durftest du dir eine lustige bunte Maske aussuchen. Ich hätte dabei heulen können.
Das Leben, so wie es gerade ist, wünsche ich dir nicht.
Aber wir können es nicht ändern. Und ich kann dir leider auch nicht versprechen, dass schon bald alles wieder so ist wie früher. Alles, was ich tun kann, ist dir Liebe zu geben, dich jeden Tag spüren zu lassen, dass wir uns haben. Egal, was da komme. Dir ein wenig Struktur zu geben in diesen Tagen ohne Pläne und Vorhaben.
Und ich kann versuchen, stark für dich zu sein. Der Fels in der Brandung, der dir auch wortlos zeigt, dass du in Sicherheit bist. Ich versuche es, wirklich. Ich versuche, dir meine Sorgen nicht zu zeigen. Wie lange ich das noch schaffe, das weiß ich nicht.
Ich hab dich lieb, und das für immer.
Deine Mama
Meine Mutter ist fast 80. Ihre Worte waren „Ohne meine Enkel will ich nicht leben, dann lieber sterben!“
Für sie gibt es nichts schöneres als mit ihren Enkeln zu kuscheln.
Das Leben ist zu kurz um sich zu Tode zu fürchten.