Brüllen ist laut und Schlagen verletzt den Körper. Schweigen ist still und unauffällig – und trifft doch genau die beiden Organe, die uns am Leben halten: das Herz und das Gehirn. Unsere Kinder mit Liebesentzug zu bestrafen, ist deshalb wirklich grausam und verletzt unsere Kleinen mehr, als wenn wir mal etwas (!) lauter werden. Warum das so ist und wie es besser geht, erklären wir euch hier:
Experiment zeigt: Nähe ist (fast) wichtiger als Nahrung
Heute kann man es sich kaum noch vorstellen, dass es Zeiten gab, in denen man dachte: Am besten erzieht man ein Kind, wenn man ihm möglichst wenig Zuwendung zeigt. Die Menschen glaubten, dass Kleinkinder ohnehin noch gar nicht richtig fühlen und denken können und deshalb nur Nahrung und ab und zu eine saubere Windel bräuchten. Schreien lassen, Kinder und Mütter tagelang trennen – passt schon, so werden sie stark. Dann gab es vor gut 70 Jahren dieses berühmte Experiment. Auch das mag man sich heute nicht mehr vorstellen, weil es so grausam erscheint:
Der US-Psychologe Harry Harlow hat ein paar kleine Rhesus-Äffchen gleich nach der Geburt von den Müttern getrennt. Stattdessen bekamen sie eine „Mutter“ aus Draht (ein Gestell mit einer Milchflasche) und eine „Mutter“ aus Stoff (das Gestell mit Stoff überzogen und mit einem Kopf, der einem Gesicht ähnelte). Die Äffchen suchten immer wieder die Nähe der Handtuchmutter, obwohl die keine Milch geben konnte. Nur zum Trinken nutzten sie das Drahtgestell. Kuschelige Nähe von der einzigen Mutter, die sie kannten, war wichtiger – zumindest, sobald die Milch das körperliche Überleben gesichert hatte. Auch wenn die Forscher die kleinen Äffchen ängstigten, suchten sie schnell Schutz bei der „Kuschelmutter“.
Durch Liebesentzug verliert dein Kind sein Vertrauen in sich selbst
Wenn ihr schweigt und euch von dem Kind abwendet, kann es sich nicht sicher von euch angenommen fühlen. Es zweifelt dann nicht an euren Erziehungsmethoden, sondern glaubt: „Ich bin nicht liebenswert“ oder „Etwas an mir ist falsch.“ Es wird sich vermutlich schrecklich anstrengen, von euch wieder wahrgenommen zu werden und eure Liebe zurückzuerobern. Liebesentzug funktioniert gut – wenn man Menschen „züchten“ will, die vor allem gehorchen und funktionieren. Vielleicht wird sich euer Kind auch irgendwann nicht mehr anstrengen – weil es denkt, dass es ohnehin nichts bewirken kann. So verliert es jedes Vertrauen in sich und seine Fähigkeiten.
Eure Kinder wollen von euch gesehen werden. Mal etwas doller schimpfen (nein, nicht ständiges beleidigendes Brüllen, gehauen wird natürlich sowieso niemals), weil auch Mama sich nicht immer im Griff hat, ist deshalb viel weniger schlimm, als wegzuschauen und zu schweigen. Denn immerhin konnte euer Kind euch auf diese Art erreichen. Etwas anderes ist es, wenn ihr nicht einfach stillschweigend schmollt, sondern eurem Kind erklärt, warum ihr euch (nur für den Moment) vielleicht sogar räumlich entfernt: „Ich gehe für einen Moment aus dem Zimmer, weil ich mich auch erstmal beruhigen muss. Danach sprechen wir wieder darüber, okay?“
Hat ein Kind viele Zurückweisungen erlitten und wusste es nie, woran es bei seinen Eltern war, hat das Folgen. Studien zeigen, dass sich sogar das Gehirn verändert und später das Burnout-Risiko erhöht ist. Vielleicht sucht sich das Kind später auch abweisende Partner, um deren Liebe es betteln und kämpfen muss. So funktioniert Liebe doch – oder nicht?
Deshalb: Wenn ihr so sauer seid, dass ihr euch am liebsten von eurem Kind abwenden oder es zappeln lassen möchtet, denkt daran, dass euer Kind euch wahrscheinlich deshalb gerade bis über eure Grenzen hinaus reizt, weil es nicht sagen kann, was es gerade eigentlich braucht – Aufmerksamkeit, Zuwendung und Wärme.