„Dem Baby geht es ja gut …“: Verdrängte Gewalt in der Geburtshilfe

Die Geburt des eigenen Babys ist ein überwältigender Moment. Monatelang hat man ihn sich ausgemalt, hatte vielleicht ein wenig Angst, hat sich aber auch riesig darauf gefreut, seinen kleinen Schatz endlich in den Armen zu halten… Am Ende kommt es ja meistens sowieso ganz anders, als man es sich vorgestellt hatte. So will es „die Natur“, die hier ihre eigenen Pläne hat. Und meistens ist das ja auch völlig okay so.

Leider kommt es viel zu oft aber auch dazu, dass Mamas diesen Moment als traumatisch erleben, ausgelöst durch Gewalt in der Geburtshilfe.

Aktuelle Erhebungen zeigen, dass in Deutschland ca. 30% der Frauen verbale und physische Gewalt oder Vernachlässigung während der Geburt erleben. Und ganze 42,8% erleben Gewalt durch Eingriffe, denen sie nicht zugestimmt haben. Das sind unglaubliche Zahlen, oder?

Dazu kommt, dass zahlreiche Betroffene zwar ein – gelinde gesagt – unbehagliches Gefühl während der Geburt und auch danach, beim Gedanken daran, haben, dieses aber abtun oder nicht wissen, woher es kommt. Denn:

Gewalt in der Geburtshilfe hat so viele Gesichter, dass sie nicht immer leicht zu greifen ist.

Ganz typische Beispiele sind:

  • unangemessene, vielleicht sexualisierte Sprüche/Witze
  • anschreien oder beleidigen
  • unangekündigte vaginale Untersuchungen (evtl. sogar von verschiedenen Personen)
  • die Schwangere dazu zu zwingen, während der Wehen liegen zu bleiben
  • ein CTG während der Wehen im Liegen durchzuführen – gegen den Willen der Schwangeren
  • während der Wehen mehrfach nach dem Muttermund zu tasten
  • die Schwangere aufzufordern, sie solle sich nicht so anstellen
  • Drohungen auszusprechen („Wenn Sie x nicht machen, bringen Sie Ihr Baby in Gefahr“)
  • die Schwangere zu zwingen, während der Geburt zu liegen – oder ihr eine andere Geburtsposition aufzuzwingen
  • die werdende Mama während der Geburt allein zu lassen
  • den Kristeller Handgriff ohne Einverständnis und Aufklärung durchzuführen, um die Geburt zu beschleunigen
  • ohne Einverständnis einen (medizinisch nicht notwendigen) Dammschnitt durchzuführen
  • einen Kaiserschnitt zu machen, der medizinisch nicht notwendig wäre
  • die Vagina nach der Geburt ohne Einverständnis enger zu nähen (Husband Stitch)

Mehr Infos dazu findet ihr auch unter traumageburtev.de

Auch Alina Friederichs, die uns bei Instagram auf ihrem Kanal @alinafrie mit durch ihren Alltag nimmt, ist erst lange nach der Situation selbst bewusst geworden, dass ihr während der Geburt ihres Sohnes Gewalt widerfahren ist.

Zum Roses Revolution Day haben wir ihr ein paar Fragen gestellt. Danke schon einmal für deine Zeit und deine ehrlichen Worte, liebe Alina! 

Liebe Alina, beschreibe doch mal, was bei der Geburt deines Kindes passiert ist.

„Bei meinem ersten Sohn musste es von jetzt auf gleich sehr schnell gehen. Da fiel der Satz ,Wir müssen jetzt ans Kind denken!‘, was gleichzeitig bedeutete: ,Sie sind jetzt egal.“ Auf einmal lag jemand halb auf mir und hat versucht, von oben zu drücken. Natürlich tat es weh, aber ich dachte eben: ,Ich bin egal, meinen Sohn soll es gut gehen. Sie wissen schon, was sie machen.`“

Wie hast du dich dabei gefühlt, wie waren deine Gedanken?

„Ich dachte, es muss so sein, dass ich jetzt eben egal bin. Zehn Monate lang ging es um mein Kind UND mich – jetzt geht es eben es nur noch um ihn. Ich bin jetzt egal, unwichtig. Nur der Brutkasten, der gerade nicht mehr gut funktioniert.“

War dir bewusst, dass hier gerade etwas geschieht, was nicht „normal“ bzw. „in Ordnung“ ist?

„Nein, das ist mir erst deutlich später aufgefallen, als ich mit jemanden darüber gesprochen habe. “

Hängen dir die Erlebnisse noch nach oder kannst du gut damit umgehen?

„Naja, es sind jetzt 2,5 Jahre vergangen und ich kann mich immer noch so gut an die Situation und das Gefühl erinnern – an vieles anderes erinnere ich mich dagegen gar nicht mehr. Ich denke da häufig drüber nach. In so einem Moment habe ich diese Geschichte auch mit meiner Community geteilt – und erst dadurch wirklich erfahren, dass es Gewalt unter der Geburt war.“

Arbeitest du diese Erfahrung in irgendeiner Form auf?

„Nein. Vielleicht sollte ich das, aber irgendwie habe ich dieses ,Sie sind jetzt egal!` total verinnerlicht: Dem Kind gehts ja gut. Dann muss es mir doch auch gut gehen.“

Würdest du dir wünschen, dass besser aufgeklärt wird, damit es anderen Frauen erspart bleibt?

„Unbedingt. Vieles wird einem einfach nicht erzählt. Im Geburtsvorbereitungs-Kurs werden zwar wilde Szenerien dargelegt – aber auch dabei gehts immer nur ums Kind, nicht darum. was mit einem als Mutter passieren kann.“


Liebe Alina, vielen Dank, dass wir deine Geschichte erzählen durften. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft! Wenn ihr mehr über Alina erfahren wollt, dann schaut gerne bei Instagram vorbei: @alinafrie

Echte Geschichten protokollieren die geschilderten persönlichen Erfahrungen von Eltern aus unserer Community.

WIR FREUEN UNS AUF DEINE GESCHICHTE!
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Laura Dieckmann

Als waschechte Hamburgerin lebe ich mit meiner Familie in der schönsten Stadt der Welt – Umzug ausgeschlossen! Bevor das Schicksal mich zu Echte Mamas gebracht hat, habe ich in verschiedenen Zeitschriften-Verlagen gearbeitet. Seit 2015 bin ich Mama einer wundervollen Tochter.

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