Sie machen sich voller Hoffnung auf den Weg, der sie dann viel zu oft vom Regen in die Traufe führt. Tausende unbegleiteter Kinder sind derzeit auf der Flucht. Sie sind leichte Opfer, nach denen niemand fragt und die kaum jemand schützt. An jedem Tag sind an unseren EU-Grenzen täglich Kinder und Jugendliche unerträglichen Übergriffen ausgesetzt.
„Wo wir auch hingehen, tut uns jemand Gewalt an.“
So lautet die niederschmetternde Zusammenfassung der Erfahrungen vieler Minderjähriger auf der „Balkanroute“, die von Save the Children im gleichnamigen Report („Wherever we go, someone does us harm“) gesammelt wurden. Die 48 befragten Kinder waren zwischen 13 und 19 Jahre alt und im Schnitt seit vier (!) Jahren unterwegs. Vier Jahre – für einen jungen Menschen und unter diesen Umständen eine Ewigkeit – mit gravierenden Folgen für den Körper und die Seele.
Die größte Gefahr trägt Uniform
Besonders erschreckend: Einen Großteil der Gewalt erfahren Minderjährige nicht durch irgendwelche Zivilisten, sondern durch Menschen im Auftrag des Staates – den Grenzpolizisten. Hier zeigt sich die Gnadenlosigkeit sogenannter „Push-Backs“, mit denen Flüchtende zurückgedrängt werden. Eigentlich ist diese Praxis illegal. Doch immer wieder hören wir von Flüchtenden, die deshalb im Nirgendwo stranden – ohne Schutz vor Hitze oder Kälte, manchmal ohne Nahrung. Sei es in einem Waldgebiet an der polnisch-belarussischen oder irgendwo an der bosnisch-kroatischen Grenze.
Gerade erst wieder ist ein kleines Mädchen an den Folgen solcher „Push Backs“ gestorben: Maria, fünf Jahre alt. Hin und her gehetzt von türkischen Soldaten, die Flüchtende in Richtung EU-Grenze treiben, sowie griechischen Grenzschützern, die Flüchtende von dort wegdrängen. Schließlich landeten sie und ihre Begleiter auf einer Insel im Grenzfluss, wo die Kleine dann auch starb.
So unentschuldbar diese Form des Grenzschutzes ist, liegt die Schuld nicht allein bei den Ländern, in denen solche Menschenrechtsverletzungen geschehen. Ein Stück weit hat Griechenland eben auch die „A-Karte“, an der EU-Außengrenze zu liegen, während wir mit dem Finger auf sie zeigen. Dabei tragen die anderen 26 EU-Mitgliedsstaaten die Praxis indirekt mit. Vor Ort ist nämlich auch die gesamteuropäische Grenzwache Frontex, die nicht einschreitet.
Gewalt ist allgegenwärtig
Obwohl Maria klar ein Opfer dieser Gnadenlosigkeit ist, hat bei ihr niemand selbst Hand angelegt – anders als bei den Kindern im Bericht. Immer wieder erlebten sie gerade an den Grenzübergängen schlimme Übergriffe. Manche mussten nackt in der Kälte stehen, wurden mit Elektroschocks und Stockschlägen misshandelt.
Nicht nur Grenzschützer, auch die Schmuggler, denen sich die Flüchtenden anvertrauen, werden schnell zur Gefahr für ihre „Schützlinge“. Teilweise erpressen sie sexuelle Dienste – indem sie mit Geld oder Schutz lockten. Das trifft offenbar insbesondere unbegleitete minderjährige Jungen. Und natürlich sind schutzlose Minderjährige auch leichte Beute für unbeteiligte Fremde.
Solche Erlebnisse sind auch unter anderen Umständen kaum zu bewältigen – aber allein und auf der Flucht? Alkohol, Drogen und Selbstverletzungen bieten manchen der Opfer vorübergehend einen gefährlichen Trost. Die physischen und psychischen Probleme bleiben oft für den Rest des Lebens.
Sofortiges Handeln ist gefragt
„Weil sich Europa auf die Abschreckung von Ankommenden konzentriert, sind Kinder schockierender Gewalt durch Polizei und Grenzschutz ausgesetzt — Gewalt, die ungestraft bleibt. Die Europäische Union und die Regierungen müssen unverzüglich handeln“, sagt Ylva Sperling, Direktorin von Save the Children Europe.
Zur Unterstützung dieser Forderung hat der Verein diese Petition aufgesetzt, die für nachhaltige und langfristige politische Lösungen eintritt, um Kinderrechtsverletzungen an unseren Grenzen verhindern.