„Der Gedanke an die Feiertage macht mich psychisch fertig.”

„Mir schnürt sich der Hals zu, ich halte die Luft an und in meiner Brust entsteht ein unangenehmer Druck, wenn mein Blick auf den Kalender fällt. Die Weihnachtsfeiertage kommen immer näher und damit auch die anstrengenden Familienfeiertage.

Seit ich Mama bin, bin ich total hin-und hergerissen.

Mein Kind ist zweieinhalb und erlebt jetzt ganz bewusst die Vorweihnachtszeit. Ich zerfließe vor Liebe, wenn mein kleiner Schatz morgens begeistert zum Adventskalender stürmt. Wir waren sogar schon zusammen auf dem Weihnachtsmarkt und haben den Nikolaus gesehen. Ich bin also alles andere als ein Grinch, der Weihnachten hasst.

Nur leider habe ich nicht so viele schöne Kindheitserinnerungen an Weihnachten. Meine Eltern führen eine unglückliche Ehe, seitdem ich denken kann. Ich möchte nicht ins Detail gehen, aber Alkohol und häusliche Gewalt waren und sind Teil des Problems. Es gab immer viel Streit, Stress, Tränen und giftige Bemerkungen. An den Feiertagen war es sogar noch schlimmer als an anderen Tagen, weil sie sich dann nicht aus dem Weg gehen konnten.

Leider sind die beiden bis heute verheiratet.

Ich weiß, dass eine Scheidung für Kinder schwierig ist, aber ich habe mir immer gewünscht, dass meine Eltern sich endlich trennen. Sobald ich alt genug war, bin ich ausgezogen und in eine andere Stadt gegangen.

Meine Heimatbesuche wurden dann immer seltener. Je mehr ich weg war, desto mehr realisierte ich, dass es mir nicht gut tat, zuhause zu sein. Ich hatte in meiner Jugend immer mal wieder mit Panikattacken und depressiven Verstimmungen zu kämpfen, seitdem ich ausgezogen bin, geht es mir psychisch viel besser.

Ich habe mir in sicherer Entfernung ein völlig neues Umfeld erschaffen.

Einerseits war ich froh, meinem Elternhaus entkommen zu sein (klingt hart, aber so hat es sich angefühlt), andererseits habe ich immer ein schlechtes Gewissen. Meine Eltern rufen mich oft an, machen mir unterschwellige Vorwürfe, dass ich sie so selten besuchen komme. Sie möchten ihr Enkelkind öfter sehen, doch mir fällt es schwer, ihnen mein Kind anzuvertrauen. Was ist, wenn mal wieder ein Streit ausbricht, der eskaliert?

An Feiertagen und Geburtstagen überwinde ich mich und trete den verhassten Heimatbesuch an. An Weihnachten ist es am schlimmsten, denn der Besuch dauert am längsten. Schon Wochen vorher ist mir unwohl beim Gedanken daran. Migräne und Schlaflosigkeit begleiten mich während des gesamten Aufenthalts. Immer wieder habe ich Flashbacks von hässlichen Szenen aus meiner Kindheit. Ich bin die ganze Zeit angespannt.

Ich habe auch eine ältere Schwester.

Sie hat zunächst lange bei meinen Eltern gewohnt und immer wieder versucht, ihre Streitigkeiten zu schlichten. Oft ist sie dabei selbst zum Ziel der verbalen Attacken geworden. Irgendwann hat sie sich einen Job am anderen Ende von Deutschland gesucht und den Kontakt zu unseren Eltern abgebrochen. Für die beiden war das ein Schock, sie sind sich keiner Schuld bewusst und sagen oft, dass meine Schwester ‚undankbar‘ ist.

Ich sehe sie ab und zu, wir telefonieren manchmal. Wenn das Gespräch auf unsere Eltern kommt, reagiert sie genervt und rät mir, den Kontakt ebenfalls abzubrechen. Sie hätte die Entscheidung nie bereut. Ich weiß aber nicht, ob ich die Stärke dazu habe.

Wegen des anstehenden Weihnachtsbesuchs habe ich die letzten Nächte wieder viel gegrübelt.

Bisher waren Oma und Opa immer sehr liebevoll zu meinem Kind. Sie sind friedlicher, wenn ihr Enkelkind da ist, es gibt ihnen sichtbar Lebensfreude, mit ihm Zeit zu verbringen. Wenn ihr Enkel nicht dabei ist, sind ihre Stimmungen aber immer noch unberechenbar.

Deshalb mache ich mir Sorgen, dass es früher oder später doch zu einem Drama kommt, wenn mein Kind in der Nähe ist. Es soll auf keinen Fall etwas Ähnliches durchmachen wie ich.

Außerdem frage ich mich: Sollte ich meine Eltern besuchen, wenn es mir dabei so schlecht geht?

Dieses Jahr werde ich keinen Rückzieher mehr machen. Meine Eltern freuen sich schon sehr auf uns und sie haben auch schon Geschenke gekauft. Jetzt noch abzusagen finde ich nicht fair. Trotzdem habe ich gerade das Gefühl, dass es nicht immer so weitergehen kann.”


Liebe Mama (Name ist der Redaktion bekannt), vielen Dank für deine Geschichte. Wir wünschen Dir und Deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!

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Lena Krause

Ich lebe mit meinem kleinen Hund Lasse in Hamburg und übe mich als Patentante (des süßesten kleinen Mädchens der Welt, versteht sich). Meine Freundinnen machen mir nämlich fleißig vor, wie das mit dem Mamasein funktioniert. Schon als Kind habe ich das Schreiben geliebt – und bei Echte Mamas darf ich mich dabei auch noch mit so einem schönen Thema befassen. Das passt einfach!

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Sandra
Sandra
5 Monate zuvor

Ein bisschen kann ich mich in dich rein versetzen. Meine Kindheit war zwar an sich schön, aber mein Vater war immer gemein und unfair mir gegenüber. Meine Mutti sagte zwar immer: Vati hat dich trotzdem lieb. Aber mich hat das psychisch echt fertig gemacht. Wie oft hab ich mir gewünscht, das meine Eltern sich trennen und ich dann endlich Ruhe vor meinen Vater habe.
Obwohl alles viel besser wurde, als ich mein erstes Kind bekam und wir heute ein gutes Verhältnis zueinander haben, kann ich meinen Vater sein Verhalten von damals nicht verzeihen. Sehr viele Verhaltensweisen die ich die letzten Jahre als junge Mutter an den Tag gelegt habe, gehen auf sein Konto. Seit ich mich und meine Kindheit selbst analysiert habe, geht es mir viel besser. Aber wie oft hatte ich den Wunsch meinen Vater mal die Meinung zu sagen? Aber ich weiß, ich werde das nie machen.
Schon aus dem Grund, weil ich unser jetztiges Verhältnis damit gefährden würde…
Aber bei dir ist das anders. Du leidest immer noch und es macht dich krank. Ich würde den Rat deiner Schwester annehmen. Breche den Kontakt ab.
Vielleicht kann dir ein Brief helfen. Schreibe alles auf. Deine Vorwürfe, deine Gefühle, Gedanken und Wünsche. Und diesen Brief schickst du deinen Eltern. Die letzten Zeilen sollten dann lauten, das du keinen Kontakt mehr zu ihnen möchtest. Wenn du dir unsicher bist, dann kannst du ja „vorerst“ schreiben und wenn du vielleicht irgendwann mit dir und deiner Vergangenheit im Reinen bist, das du dann wieder auf deine Eltern zugehen wirst.
Vielleicht öffnest du ihnen damit die Augen und sie sehen ihre Fehler ein. Wenn nicht, dann mach es wie deine Schwester!
Du packst das. Alles Gute

bine
bine
11 Monate zuvor

Es kommt mir so bekannt vor… Ich fühle mich in Gegenwart meiner Eltern auch nicht wohl. Heute habe ich mit meiner Mutter telefoniert und nach dem Telefonat war mir klar: ich fahre nicht hin.

Dein Kind spürt deine Anspannung und Angst. Mach dir bewusst, ob du deinem Kind den Gefühlen aussetzen möchtest. Mir hat eine Therapie geholfen und die Unterstützung meines Partners.

Dir viel Kraft.