Eigentlich dürfte die Diskussion darüber gar keine mehr sein:
Jungs dürfen alles, was Mädchen dürfen, und Mädchen dürfen alles, was Jungs dürfen. Einfach, oder?
Nur leider ist es das doch nicht. Denn egal, wie fortschrittlich und aufgeklärt und aufgeschlossen man sein möchte, es macht doch einen Unterschied, ob man einen Sohn oder eine Tochter hat. Ja, das fängt schon bei den derzeit so beliebten „Was-wird-es-denn-Luftballon“-Videos an und setzt sich dann im Kinderzimmer fort. Mädchen bekommen rosa, Jungs blau. Im Alltag zeigt sich dann schnell: Mädchen dürfen auch mal blau. Aber Jungs rosa?
Arme Jungs (aber bloß nicht weinen!)
Jungen haben es schwerer, von traditionellen Rollenbildern abzuweichen, während in der Mädchenerziehung der Feminismus schon erste Erfolge zeigt.
Der Tochter den Dinosaurier-Pulli kaufen? Klar doch! Mit ihr das Bagger-Buch lesen? Natürlich! Ihr das rote Rennauto zum Geburtstag schenken? Sicher!
Aber dem Sohn das rosarote T-Shirt oder gar einen Rock anziehen? Bitte nicht! Ihm eine Barbie zum Spielen geben? Au weia! Ihn zum Ballett schicken? Um Himmels Willen, wir sind ja nicht bei Billy Elliot!
„Maskulismus“ für unsere Söhne
Aber woran liegt das? Brauchen wir also einen „Maskulismus“? Wahrscheinlich – denn während Frauen sich langsam aber sicher in die Männerdomänen trauen, tun sich Männer umgekehrt immer noch schwer damit, sich beispielsweise an Frauenberufe zu wagen.
So gibt es immer noch nur rund drei Prozent männliche Erzieher, und diese haben ihrerseits oft mit Sexismus zu kämpfen, so Gender-Pädagogin Melitta Walter gegenüber der Zeit: „Frauen haben drei Erwartungen an männliche Erzieher: Ist er ein potenzieller Liebhaber, Handwerker oder Fußballspieler? Frauen sagen genauso über einen Erzieher: Hat der einen knackigen Po!“ Umgekehrt wäre das ein Fall für die Gleichstellungsbehörde und fast schon Nötigung.
Dazu kommt, dass die Männer in KiTas oft in die traditionellen Rollenbilder gedrängt werden. Sie sind nicht nur Erzieher, sondern Raufpartner, erste Ansprechpartner für Ballspiel-Fragen und zuständig für das Glühbirne-Wechseln und Heizung-Reparieren…. Das sehen natürlich auch die Kinder, die durch dieses Vorbild lernen.
Kapitalismus auf Kosten der Geschlechteridentität?
Aber auch im Kinderzimmer selbst tun sich Jungs schwer, etwas zu finden, das nicht blau ist, sondern rosarot; unter anderem im Bücherregal. Katharina Braun von Schneiderbuch weiß das auch: Für Mädchen gibt es einige Bücher, in denen die Heldinnen zwar pink gekleidet sind, aber trotzdem stark und selbstbewusst sich selbst retten. Jungs hingegen müssen die Retter bleiben, sagte sie gegenüber dem Börsenblatt. Warum sich das so bald in der Kinderliteratur nicht ändern wird, erklärte sie ebenfalls: „Weil wir davon ausgehen, dass niemand solche Bücher kauft.“
Buchgeschäfte selbst machen die gleiche Erfahrung, wie Ute Gartmann, Inhaberin eines Buchgeschäfts in Niedersachsen, erzählt: „Mädchen lesen alles Mögliche, Feen- genauso wie Piratenbücher, während Jungen ausschließlich über ‚ihre‘ Rollenklischees abgeholt werden.“ Und so stellt auch sie weiterhin lieber blaue Fußball-Bücher ins Regal.
Damit ist sie nicht alleine: Es gibt kaum ein Spielzeug-Geschäft, das nicht eine rosa Glitzer-Welt für Mädchen und eine blaue Piraten-Welt für die Jungs bereithält. Sogar Überraschungseier gibt es inzwischen in den Geschlechterfarben.
Eine simple Erklärung dafür liefert Dr. Stevie Meriel Schmiedel, Dozentin für Genferforschung: „Mit zwei verschiedenen Zielgruppen kann alles doppelt verkauft werden. Das pinke Bobbycar kann dann nicht dem Sohnemann vererbt werden – der braucht sein eigenes blaues.“
Am Ende, so scheint es, liegt es aber wieder an uns Eltern, denn das Angebot, so beteuern die Hersteller, befriedige lediglich die Nachfrage. Also sollten wir vielleicht einfach über unseren eigenen Schatten springen und dem Sohnemann ein rosa Glitzer-Tütü kaufen. Und ihn damit stolz und erhobenen Hauptes in die KiTa bringen – wo wir dem männlichen Erzieher gleich noch die Puppe in die Hand drücken.
Und wenn wir auf unserem Weg einen ebensolchen Jungen sehen, sollten wir weder die Mutter bewundern noch dem Jungen auf die Schulter klopfen. Stattdessen sollten wir uns daran erinnern, was wir bei einem Mädchen im Dino-Pulli tun würden: Nichts. Weil es normal ist.)
Zum Artikel über Melitta Walter in der ZEIT
Zum Artikel über den Gender-Buchhandel im Börsenblatt