Ach ja, die süßen Kleinen… Was können wir nicht alles von ihnen lernen: Diese riesige Freude über die kleinen Dinge. Diese Gelassenheit, wenn man es eigentlich so richtig eilig hat. Und dieses Aufrichtige! Kein Verstellen, keine falsche Freundlichkeit, wie wir Erwachsenen sie uns im Laufe unseres Lebens für so manche Situation angewöhnt haben.
Letzteres ist natürlich tatsächlich eine tolle Eigenschaft. Aber vor ein paar Tagen, da habe ich mir ganz kurz doch gewünscht, dass Kinder Taktgefühl spätestens mit dem Sprechen lernen. Ehrlich. Ist denn das zu viel verlangt? Hilfe!!!!
Aber von Anfang an:
Eine Freundin war bei uns zu Besuch, meine zweieinhalbjährige Tochter liebt sie sehr. Sie haben zusammen gespielt und, als sich mein kleiner Schatz dann genüsslich auf den Schoß meiner Freundin plumpsen ließ, strahlte meine Tochter sie an und meinte:
„Oh, du bist dick!“
Kurze Stille. Ich spürte, wie meine Wangen warm wurden.
Dann lachte meine Freundin und sagte: „Jaaaa!“
Ich konnte im ersten Moment nur „äh“ stammeln. Als ich mich wieder gefangen hatte, richtete ich mich mit gespielt heiterer, aber belegter Stimme an meine Tochter: „Hey, was war denn das für ein Spruch? Äääähhmm, das ist aber nicht nett!“
Meine Freundin – sie ist lieb und cool und einfach toll – lachte mich an: „Ach, ist doch kein Problem. Sie hat ja recht!“
Wie peinlich!
Ok, es war nun mal passiert. Meine beste Reaktion wäre es jetzt gewesen, die Sache gut sein zu lassen.
Aber ich neige nunmal zum Um-Kopf-und-Kragen-Reden: „Mensch, sag mal, weißt du überhaupt, was dick heißt?“ Ich mag jetzt hier niemanden mit meinen weiteren Rettungsversuchen quälen, sie gingen alle mehr oder weniger in die gleiche Richtung.
Das Einzige, was ich damit erreichte, war, dass ich meine Freundin und Tochter nervte. Denn die beiden guckten sich längst einträchtig wieder zusammen ein Buch an.
Nur ich, ich starb innerlich 1000 Tode. Grmpf. Meine Freundin merkte das wohl, sie grinste mich über das Buch nochmal an: „Dann esse ich heute Abend beim Italiener wohl lieber einen Salat.“ Ich quietschte auf und versteckte mich hinter einem Kissen.
Ja, ich weiß. Das war ziemlich überzogen. Aber zu meiner Verteidigung: Wenn andere Mamas solche Anekdoten erzählten, fand ich es auch immer niedlich-lustig-nichtsowild.
Aber MEIN liebes Mädchen? Das hat mich dann doch erstmal kalt erwischt.
Was für ein Glück, dass das erste „Opfer“ der Aufrichtigkeit meiner Tochter meine Freundin war.
Ich habe jetzt mal darüber nachgedacht, wie ich mich verhalten würde, wenn solche Sätze bei Fremden kommen. Denn das war sicher nicht das letzte Mal, dass meine sehr offene und neugierige Tochter in aller Unschuld etwas feststellt, was man als Erwachsener lieber umkommentiert lässt, oder etwas fragt, das das Gegenüber verletzen könnte.
In erster Linie hoffe ich natürlich auf das Verständnis der Menschen. Die meisten werden wahrscheinlich lächeln und wissen, dass das rein gar nichts mit Frechheit oder gar Gemeinheit zu tun hat.
Denn klar: Meine Tochter kann immer besser sprechen und erzählt daher gerne und stolz, was sie um sich herum wahrnimmt. Und das eben ungefiltert, denn woher soll sie wissen, „dass man sowas aber nicht sagt“?
Dass man andere Menschen zum Beispiel nicht auf ihr Körpergewicht anspricht? Dass die alte Dame sicher auch lieber alle ihre Zähne hätte? Oder dass der Mann selbst weiß, dass er keine Haare hat und sicher nicht noch einmal darauf hingewiesen werden möchte?
Deswegen habe ich mir vorgenommen, gelassen(er) zu bleiben.
Erstens werde ich sie nicht zwingen, sich zu entschuldigen – mein „entschuldigendes Lächeln“ (das ich als Mama inzwischen schon im Schlaf beherrsche) muss reichen.
Zweitens werde ich ihr bei Fragen kurz und sachlich antworten. Und mir vor allem das sofort auf der Zunge liegende „Das fragt man aber nicht!“ verkneifen. Das kann ich ihr später in aller Ruhe erklären. Denn was wäre denn gewonnen, wenn sie mich vor lauter Verwirrung und Einschüchterung irgendwann lieber nichts mehr fragt?
Ich vertraue darauf, dass sich ihre Empathie mit der Zeit gesund und altergerecht entwickelt und versuche, ihr dabei ein möglichst gutes Vorbild zu sein.
Bleibt noch das Problem, das ich haben werde, wenn sich jemand so richtig über einen Kommentar meiner Tochter ärgert und losschimpft. Ich werde versuchen, nicht ebenfalls ruppig zu werden oder mich auf Diskussionen einzulassen. Ich glaube, wenn ich es schaffe, nur kurz und freundlich zu erwähnen, dass solche Äußerungen von Kindern ganz sicher nicht beleidigend gemeint sind und dann ruhig gehe, habe ich bestmöglich reagiert, oder?
Soweit meine Theorie. Wie das Ganze in der Praxis funktioniert, werde ich sehen.
Übrigens: Als ich mein kleines „Trauma“ überwunden hatte, hab ich die Geschichte verschwörerisch kichernd (ganz nach dem Motto: Was habe ich locker und cool reagiert!) der Erzieherin in der Krippe erzählt. Sie grinste und meinte nur: „Ach, das hat deine Tochter neulich auch schon zu einer Oma gesagt, die ihren Enkel hier abgeholt hat!“
Meine Reaktion? Warme Wangen und „Oh nein, und war die Dame böse?“
Ich arbeite an mir. Ehrlich.