Ihr habt das Thema bestimmt in den Medien mitbekommen: In letzter Zeit gab es immer mehr Berichte über eine sogenannte Dysmelie bei Babys, also einer Fehlbildung an den Händen. Angefangen hat das Ganze, nachdem in einer Gelsenkirchener Klinik innerhalb einer relativ kurzen Zeit gleich drei Babys mit einer Handfehlbildung geboren wurden. Das ist relativ ungewöhnlich, weil so eine Dysmelie normalerweise nur bei 7 von 10.000 Babys in Deutschland auftritt. Deshalb soll jetzt herausgefunden werden, ob es eine Ursache für die Häufigkeit gibt.
Dysmelie bei Babys: Ärzte warnen vor Panikmache
Obwohl das Thema zu vielen Diskussionen führt, haben Ärzte davor gewarnt, in Panik zu verfallen. „Es gibt gelegentlich die Situation, dass eine seltene Erkrankung für eine lange Zeit nicht aufgetreten ist, und dann plötzlich mehrere Kinder nacheinander betroffen sind.“, sagte zum Beispiel Prof. Mario Rüdiger, Leiter des Fachbereiches Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin am Uniklinikum Dresden gegenüber dem MDR.
Johannas Tochter kam mit einer Handfehlbildung zur Welt
Aber wie erlebt eigentlich eine Mutter das Thema, deren Baby selbst von einer Dysmelie betroffen ist? Was bedeutet die Diagnose, wie geht sie damit um und wie sieht sie die aktuelle Berichterstattung? Das hat uns Johanna aus unserer Community erzählt, deren kleine Tochter mit einer Handfehlbildung zur Welt kam. Ihre ganze Geschichte lest ihr hier:
Ich habe mich gefreut – und hatte Angst
„Von meiner zweiten Schwangerschaft habe ich in der 8. Woche erfahren. Natürlich habe ich mich auf der einen Seite gefreut, aber auf der anderen Seite hatte ich auch Angst. Ich habe nämlich selbst ein Handicap, das mir eine Schwangerschaft nicht unbedingt einfacher macht.
An sich war die ganze Schwangerschaft verhältnismäßig unkompliziert, und meine ältere Tochter fing langsam an zu verstehen, dass da noch ein Baby kommt. Für mich war es eine große Freude, dass soweit alles gut war, und es wieder ein Mädchen wird. Zwar tauchte in meinem Hinterkopf immer mal wieder der Gedanke auf, dass mein zweites Kind nicht gesund werden könnte. Aber ich habe mir gesagt, dass es ja nicht zwangsläufig heißen muss, dass bei der Kleinen etwas nicht Ordnung ist, wenn die große Schwester gesund ist.
Trotz aller Risiken war ich relativ entspannt
Auch meine Frauenärztin hat bei den Untersuchungen nichts festgestellt, also habe ich den Gedanken schnell wieder verdrängt. Zwar wurde ich aufgrund meiner Vorgeschichte zur Feindiagnostik geschickt, den Termin konnte ich aus gesundheitlichen Terminen allerdings nicht wahrnehmen. Außerdem dachte ich, dass man es ja nicht ändern kann, falls etwas festgestellt wird. Trotz aller Risiken war ich im Großen und Ganzen relativ entspannt.
Ich wachte mit Krämpfen und Blutungen auf
An meinem letzten Arbeitstag hatte ich dann aber ein merkwürdiges Ziehen im Unterbauch. Ich sagte meinen Kollegen Bescheid und machte etwas ruhiger. Nach Feierabend bin ich dann noch entspannt nach Hause und alles war wieder in Ordnung.
Am nächsten Morgen bin ich mit starken Unterleibskrämpfen und Blutungen aufgewacht. Ich bekam Angst, da mein kleiner Schatz eigentlich noch 6 Wochen Zeit hatte. Meine Mutter rief den Krankenwagen. Während der Fahrt wurden die Krämpfe immer stärker, und mir wurde bewusst, dass es Wehen sind.
Meine Fruchtblase war zum Glück noch nicht geplatzt
Als die Sanitäter mich in den Kreißsaal brachten, standen eine Hebamme, eine Frauenärztin und ein paar Schwestern schon bereit, um zu übernehmen. Die Hebamme untersuchte mich und bestätigte mir, dass die kleine Maus auf dem Weg ist. Sie sagte, ich könne von Glück reden, dass die Fruchtblase noch nicht geplatzt sei, ansonsten wäre die Kleine unterwegs zur Welt gekommen.
Meine Angst wurde immer stärker. Es dauerte nur ein paar Wehen, bis die Fruchtblase platzte. Eigentlich hatten alle gehofft, dass die Kleine sofort hinterherkommt. Kam sie aber nicht. Die Hebamme schaute noch einmal nach ihr und meinte, dass sie als Sternengucker kommen wolle. Wenig später hatte sie ihre Position minimal geändert. Jetzt lag sie fast wie ein Sternengucker, nur ein wenig spezieller und seltener. Laut Hebamme war ich erste die 3. Schwangere, bei der sie diese Position des Babys bisher gesehen hatte.
Meine Kleine musste per Notkaiserschnitt geholt werden
Es dauerte nicht lange bis zum nächsten Schreck: Meine Wehen wurden schwächer. Zum Glück war in der Zwischenzeit mein damaliger Partner angekommen und konnte bei mir sein. Die Hebamme und die Frauenärztin entschieden von der einen auf die andere Sekunde, einen Notkaiserschnitt zu machen, da es auf natürlichem Weg nicht voran ging. Der Arzt wollte mir eigentlich eine PDA legen, aber mir war dieser Morgen einfach zu viel, und ich verlangte eine Vollnarkose.
Mein Baby hatte eine Dysmelie an der rechten Hand
Als ich aufwachte, bekam ich eine Nachricht, die mich doch erst einmal erschreckte: Meine kleine Mia hatte an der rechten Hand eine Dysmelie (Fehlbildung), an den Füßen Syndaktylien (eine Fehlbildung, bei der die Zehen nicht voneinander getrennt sind) und durch die Geburt ein Hämatom im Gesicht. Ich habe mich gefühlt wie in einem Traum. Ich hatte mir doch immer wieder gesagt, dass sie gesund wird.
Ich hatte große Angst um meine Kleine
Ich wurde auf ein Zimmer verlegt, ohne meine kleine Tochter zu sehen. Sie lag auf der Kinderstation und ich auf der Gynäkologie. Den ganzen Tag habe ich geweint, weil ich nicht wusste, was mit ihr ist. Ich hatte immer noch ziemlich große Angst um meine Kleine. Am späten Nachmittag kam eine Schwester ins Zimmer, die ich schon von der ersten Geburt kannte. Sie erinnerte sich noch an mich und wir redeten kurz miteinander. Sie war sehr berührt, als ich ihr von der Geburt erzählte. Dann sagte sie, sie müsse kurz etwas erledigen.
Endlich durfte ich Mia zum ersten Mal sehen
Als sie nach wenigen Minuten wiederkam, lächelte sie mich an und meinte, sie hätte eine schöne Nachricht für mich. Sie hatte sich darum gekümmert, dass ich meine kleine Mia endlich zum ersten Mal sehen durfte. Mir kamen die Tränen vor Freude. In diesem Moment ging es mir endlich gut, und ich konnte die Schmerzen durch den Kaiserschnitt für einen Augenblick vergessen. Ich war ihr so dankbar.
Als ich Mias Hand sah – war ich erleichtert
Als es dann soweit war und die Schwester mich zu Mia brachten, standen die Kinderschwestern und der Chefarzt bereit, um mir alles zu erklären. Und dann durfte ich meine kleine Mia endlich zum ersten Mal in den Arm nehmen. Sie war wirklich klein mit gerade einmal 43 Zentimetern und 1.755 Gramm. Erst war ich etwas erschrocken über ihr blaues Gesicht, und dann sah ich die Hand – und war erleichtert.
Die Hand sah trotz Dysmelie überhaupt nicht schlimm aus
Ich hatte mir den ganzen Tag große Sorgen gemacht und Angst gehabt, dass es sehr schlimm sein könnte. Aber die Hand sah überhaupt nicht schlimm aus, es war wirklich nichts Dramatisches. Endlich war ich beruhigt und glücklich über meinen kleinen Schatz. Ich war so froh, dass es ihr gut ging, dass mir alles andere völlig egal war. Die Hauptsache war, dass sie die Geburt überstanden hatte. Leider konnte ich nicht lange bleiben, da sie wieder in ihr Wärmebettchen und an den Monitor musste.
Mias Finger wurden in einer ersten OP getrennt
Der Kinderarzt erklärte mir, dass Mias Hand zeitnah operiert werden sollte und könnte. Ihre Finger waren zusammengewachsen und sollten getrennt werden. Nach drei langen Wochen durfte ich endlich mit Mia nach Hause, und sie konnte ihre große Schwester kennenlernen.
Einige Wochen später hatten wir einen Termin an der Uniklinik Leipzig. Mein Vater fuhr Mia und mich in die Klinik, am nächsten Morgen um 7:30 Uhr wurde sie zum OP gebracht. Ich musste plötzlich sehr weinen, weil ich solche Angst um meine Kleine hatte. Vor dem OP durfte ich noch einige Momente bei ihr bleiben. Als sie anfing, vor Hunger zu schreien, ich ihr aber nichts mehr geben durfte, zerriss es mir das Herz. Es ging mir noch nie so schlecht wie zu dem Zeitpunkt, als die OP startete. Es kam mir vor, als müsste ich Jahre warten.
Meine Kleine hat die Hand-OP gut überstanden
Dann kam endlich die Nachricht, dass alles gutgegangen war – und ich konnte aufatmen. Etwas später durfte ich zu Mia auf die Intensivstation. Als ich meine Kleine dort liegen sah, habe ich wieder geweint – aber diesmal vor Freude. Es sah zwar so aus, als ob sie noch Schmerzen hatte, aber sie wurde wirklich gut versorgt. Am Nachmittag merkte man ihr schon fast nichts mehr an. Ich war so froh über meine kleine Kämpferin!
Da Mia danach zur Sicherheit auf der Intensivstation bleiben sollte, konnte ich die Nacht nicht bei ihr verbringen. Aber am nächsten Morgen bin ich direkt wieder in die Klinik gefahren. Ein paar Tage später durften wir nach Hause.
Drei OPs hat Mia noch vor sich
Bei der Nachuntersuchung dann die tolle Nachricht: Mias Hand hatte sich so gut entwickelt, dass die Ärzte noch mehr tun können. Für Dezember ist die nächste OP geplant, und nächstes Jahr werden noch zwei weitere folgen. Das ist natürlich hart und als alleinerziehende Mama von zwei Kindern auch nicht einfach. Aber wenn es Mia danach besser geht, ist es das auf jeden Fall wert.
Eine Dysmelie bei Babys ist definitiv kein Horror
Bestimmt habt ihr mitbekommen, dass in den Medien aktuell viel über die Dsymelie bei Babys berichtet wird. Also über Kinder, die ohne oder mit einer deformierten Hand zur Welt kommen. Dazu möchte ich gern sagen: Auch wenn ein Baby davon betroffen ist, ist es definitiv kein Horror, auch wenn manche Medien es so darstellen.
Es gibt soviel Schlimmeres als eine Handfehlbildung
Natürlich ist es am Anfang erst mal ein Schreck, den man verdauen muss. Aber es gibt so viel deutlich Schlimmeres! Die Kinder sind genauso perfekt wie alle anderen. Und keine Mama muss vor einer Dysmelie bei Babys Angst haben. Es ist wirklich unglaublich, was die Medizin heutzutage leisten kann. Und das sage ich nicht nur als Mama eines besonderen Kindes, sondern auch als selbst Betroffene.
Das Thema Dysmelie bei Babys war komplettes Neuland für mich
Bevor Mia auf die Welt kam, hatte ich von Handfehlbildungen noch nichts gehört, und mich auch nie damit beschäftigt. Deshalb war das Thema für mich komplettes Neuland. Da das Thema erst in letzter Zeit so aktuell wurde, hatte mich auch von der Klinik niemand vorher darauf angesprochen.
Lasst euch bitte nicht verrückt machen!
Ich selbst habe auch keine Vermutung, woran es bei Mia liegen könnte. Vielleicht wurde es durch mein eigenes Handicap begünstigt. Ich möchte mich da allerdings nicht drauf versteifen. Deshalb lasse ich mich überraschen, was bei den Recherchen über die Dysmelie bei Babys herauskommt. Denn natürlich interessiert mich das Thema sehr, und ich hoffe, dass es irgendwann Gewissheit gibt.
Bis dahin kann ich allen betroffenen Eltern nur den Tipp geben: Lasst euch bitte nicht verrückt machen. Und was mir auch sehr geholfen hat, war der Austausch mit anderen Betroffenen.“
Liebe Johanna, vielen Dank dass Du Deine und Mias Geschichte mit uns geteilt hast!