Vielleicht seid ihr auch schon über Beiträge rund um das Thema Frankreich und Erziehung gestolpert. Aktuell gibt es nämlich in Deutschland einen regelrechten Hype rund um die französische Kindererziehung. Doch ist überhaupt etwas dran, an der Vorstellung, dass französische Kinder so wohlerzogen sind?
Und wenn ja, was steckt dann dahinter?
„Warum werfen französische Kinder im Restaurant nicht mit Essen, sagen immer höflich Bonjour und lassen ihre Mütter in Ruhe telefonieren? Und warum schlafen französische Babys schon mit zwei oder drei Monaten durch?” Diesen Fragen widmet sich Pamela Druckerman in ihrem Spiegelbestseller „Warum französische Kinder keine Nervensägen sind” (Affiliate Link). Die Autorin und Ich-Erzählerin ist der Liebe wegen nach Paris gezogen und hat bald darauf ein Kind bekommen.
Französische Kinder haben nie Wutanfälle und geben keine Widerworte – angeblich.
In ihrem Buch, dass in Deutschland viele begeisterte Leser*innen hat, bekräftigt Druckermann das Klischee, dass französische Kinder nie Wutanfälle haben und selbstverständlich auch keine Widerworte geben. Aber stimmt das denn auch so?
Die Schilderungen wirken sehr pauschal und gelten ganz bestimmt nicht für alle französischen Familien. Grundsätzlich nehmen aber viele Deutsche die Kinder in Frankreich, insbesondere in Paris, als auffallend höflich und wohlerzogen wahr.
Da könnte man also neugierig werden und sich fragen: Wie machen die französischen Eltern es, dass ihre Kinder sich immer so gut benehmen?
Wer jetzt darauf hofft, den ultimativen Rat zu finden, den müssen wir wahrscheinlich enttäuschen. In Frankreich sind einfach andere Vorstellungen vom Umgang mit Kindern verbreitet. Wo genau die Unterschiede liegen, zeigen wir euch an ein paar Beispielen:
Weniger bezahlte Elternzeit
Schon mit der Geburt gibt es gravierende Unterschiede: Frauen haben in Frankreich beim ersten und zweiten Kindes Anspruch auf 16 Wochen bezahlte Babypause. Mindestens sechs Wochen davon sollen nach der Geburt genommen werden. Nach den 16 Wochen können Eltern zwar in bestimmten Fällen noch „Erziehungszeit” beantragen, aber dafür gibt es nicht immer finanzielle Unterstützung.
Grundsätzlich werde gesellschaftlich erwartet, dass man so schnell wie möglich an den Arbeitsplatz zurückkehrt. Es gilt als erstrebenswert, dass Mütter so schnell wie möglich wieder Geld verdienen und ihr altes Leben wieder aufnehmen.
Bloß keine „Glucken-Mama” sein
Die Kinder sind entsprechend früh in Betreuungseinrichtungen, wo sie lernen, sich an Regeln zu halten und sich in die Gruppe einzufügen. Im Gegensatz zu den Kindergärten in Deutschland, sind die „écoles maternelles” schon sehr schulisch ausgerichtet. Dort lernen die Kinder spielerisch Lesen, Rechnen und Schreiben.
Übrigens, den Ausdruck „Rabenmutter” gibt es dort nicht – stattdessen werden Frauen als „Meres Poules”, also als Glucke belächelt, die „zu viel” Zeit mit ihren Kindern verbringen.
Stillen gilt als „unemanzipiert”
So verwundert es vielleicht nicht, dass die französischen Mamas kaum stillen. Sie bilden im EU-Vergleich das Schlusslicht. Wenn überhaupt gestillt wird, dann nur in den ersten drei Monaten. Zum Vergleich: In Deutschland stillen ein halbes Jahr nach der Entbindung mehr als 40 Prozent der Frauen, in Frankreich sind es unter 10 Prozent. Stillen ist dort regelrecht verpönt und gilt als „unemanzipiert”.
Rabiates Schlaftraining
Pamela Druckerman erzählt in ihrem Bestseller außerdem, dass die meisten Kinder in Paris schon mit zwei bis drei Monaten durchschlafen – und zwar im eigenen Bettchen. Doch bei ihren Erklärungen verpufft der Wow-Effekt. Tatsächlich ist es, laut der Autorin, in Frankreich normal, Kinder schreien zu lassen, bis sie sich selbst „beruhigen”.
In Deutschland würden Erziehungsexperten dieses „Beruhigen” vermutlich eher „Resignieren” nennen. An dieser Stelle empfehlen wir dringend unseren Beitrag „So gestresst ist der Körper deines Babys, wenn du es schreien lässt.”
Strenge Regeln am Tisch
Noch eine weitere Vorgehensweise, die in Frankreich üblich ist: Kinder bekommen sehr früh das gleiche Essen wie ihre Eltern. Frankreich ist für seine Delikatessen bekannt und schon die kleinen Kinder scheinen reinste Feinschmecker zu sein. Das beobachtet auch Druckerman. Mäkelige Esser? Gibt es angeblich kaum.
Allerdings sollte man dazu wissen, dass ein gängiger französischer Erziehungsrat lautet, dem Kind einfach keine Alternative anzubieten, bis der Hunger groß genug ist, alles zu essen und außerdem brav am Tisch sitzen zu bleiben. In Deutschland gilt das als nicht mehr zeitgemäß, da ein solcher Zwang beim Kind schlimmstenfalls ein gestörtes Verhältnis zum Essen auslösen kann.
Wenn man das so liest, ist es wenig verwunderlich, dass die Kinder in Frankreich als gehorsamer gelten.
Während in Deutschland über die Helikoptereltern diskutiert wird, die ihren Kindern alles abnehmen wollen und sie damit zur Unselbstständigkeit erziehen, herrschen in Frankreich augenscheinlich autoritäre Erziehungsmodelle vor, die den Fokus auf die Bedürfnisse der Eltern legen.
Wie so oft wäre vermutlich der Mittelweg die beste Entscheidung – und den nehmen viele Eltern sowieso, egal ob in Frankreich oder in Deutschland.
Was denkst du über die französischen Vorstellungen von Erziehung? Schreibe es uns gerne in die Kommentare!
Also ich möchte in Frankreich nicht Kind sein…
Das mit dem Schlaftraining halte ich für schwarze Pädagogik. Mir ist es wichtiger, von Anfang an zu meinem Kind eine stabile Beziehung aus Liebe besteht und nicht, dass es perfekt wie ein kleiner Erwachsener funktioniert. Wie glücklich sind französische Kinder? Gibt es dazu eine Studie? Ich finde die hier beschriebenen Methoden teilweise okay, teilweise mach ich das auch so, aber viele Punkte lehne ich ab.
Das Essverhalten deutscher Kinder ist zu einem größeren Teil eher ein gestörtes als das der französischen, scheint mir.Als Grundschullehrerin begegnen mir haufenweise Kinder, die so wählerisch sind, dass die Erziehenden auch notfalls zwei verschiedene Sachen kochen oder notgedrungen die ganze Woche Nudeln o.ä. DAS ist gestört! Dass jeder mal etwas nicht mag (bei Kindern ja oftmals Rosenkohl oder ähnliches), ist verständlich. Bleiben bei dem Gericht ja üblicherweise noch Kartoffeln und Soße oder eine andere Beilage. Das kann dann gegessen werden. Ist das auch nicht vom Kind gewünscht, hat es logischerweise auch nicht wirklich Hunger. Und übrigens, falls Nachtisch geplant ist, ist der kein Ersatz!! So habe ich es im Schullandheim immer gehandhabt, und siehe da: Alle sind lebend, gesund und munter nach Hause gefahren. Die wirkliche Katastrophe findet zu Hause statt.Essen ist in erster Linie Grundbedürfnis, im besten Falle ausgewogen.Kein Kasperltheater.Motto: Gut gemeint ( ständig Extrawürste) ist nicht immer gut gemacht.Und Extrawürste sind nicht gleichzusetzen mit Liebe.