Erinnert ihr euch an den Hashtag #womeninmalefields, der vor Kurzem in den sozialen Medien zum viralen Phänomen wurde? Auf Deutsch bedeutet der Slogan so viel wie „Frauen in Männerdomänen“ und es ging darum, dass Frauen ihre teils sexistischen Erfahrungen mit vertauschten Rollen teilten, um der Männerwelt den Spiegel vorzuhalten. Das war teilweise lustig, aber oft auch erschreckend, denn es zeigt, dass Frauen in vielen Bereichen immer noch kämpfen müssen, um gesehen und anerkannt zu werden.
„Es braucht viel mehr Bewusstsein, damit sich etwas ändern kann.“
Dr. Markéta Kubánková ist eine Frau, die sich bestens auskennt in einer Männerdomäne: Die 35-jährige ist Postdoktorandin und Wissenschaftlerin am Max-Planck-Zentrum in Erlangen. Dort erforscht sie, wie sich die physikalischen Eigenschaften von Zellen in menschlichem Blut oder Gewebe während einer Erkrankung verändern. Ihre Erkenntnisse könnten dazu beitragen, dass beispielsweise Darmkrebs oder Covid-19 in Zukunft schneller diagnostiziert werden können.
Für ihre Forschung erhielt Markéta bereits mehrfach Auszeichnungen – und nichtsdestotrotz fehlt es ihr manchmal an Selbstbewusstsein. Denn seit Kurzem ist sie nicht nur eine Frau in einer männerdominierten Branche, sondern auch zweifache Mama. Und wie unüblich ihre „Doppelrolle“ in der Wissenschaft noch ist, bekommt sie dort regelmäßig zu spüren.
„Wenn Frauen und Mütter in der Wissenschaft sichtbarer wären, dann können sie anderen Frauen als Vorbilder dienen und zeigen, dass es möglich ist, beides zu haben – eine Familie und eine Karriere in der Wissenschaft.“
Markéta wusste schon immer, dass sie irgendwann Mutter sein möchte. Aber ein Vorbild fehlte ihr lange. „Ich studierte Ingenieurwissenschaften am Fachbereich Physik und das ist einfach nicht der Ort, wo viele Frauen sind“, erzählt sie. „Aber während ich meine Doktorarbeit schrieb, wurde meine damalige Betreuerin zwei Mal Mutter. Damals hatte ich keine Ahnung, wie schwierig es war. Denke ich heute daran, frage ich mich einfach nur ‚Wow, wie hat sie das nur geschafft?'“
Heute ist die 35-Jährige selber Mama von einem dreijährigen Sohn und einer anderthalbjährigen Tochter und „schafft“ es auch. Neben der fehlenden Sichtbarkeit, machen ihr aber auch die Arbeitsbedingungen zu schaffen. „Die Sache ist die, dass die Männer meistens in Führungspositionen sind. Sie legen die Regeln fest und bestimmen die Atmosphäre, und das setzt sich dann fort und ändert sich nicht.“
„Ich fühle diesen Druck von beiden Seiten“
Das Arbeiten in der Wissenschaft sei mit einem ständigen Publikationsdruck verbunden, erklärt die Forscherin. Wer nicht regelmäßig etwas veröffentlicht, gelte schnell als nicht produktiv genug, um auf der Karriereleiter weiterzukommen. Viele in ihrer Arbeitswelt könnten deshalb nicht verstehen, dass sie sich durch ihre Kinder an diesem wichtigen Punkt ihrer Laufbahn „ausbremsen“ lässt.
„Gleichzeitig spüre ich diese Erwartungshaltung, dass Frauen mindestens 3-4 Jahre Zuhause bleiben und sich um die Kinder kümmern“. Dass Männer in Elternzeit gehen, ist in ihrer Branche aber nochmal unüblicher als ohnehin schon, sagt Markéta. Männer könnten einfach Kinder bekommen ohne Einbußen bei ihrer Karriere oder einen ständigen Rechtfertigungsdruck fürchten zu müssen. Auch das sei nichts Neues, aber in der Wissenschaft nochmal wesentlich stärker ausgeprägt, als in der sonstigen Arbeitswelt.
„Wenn ich die Chance gehabt hätte, dann hätte schon vor zehn Jahren Kinder kriegen sollen!“
Markéta kennt viele Frauen in ihrem Bereich, die ihren Kinderwunsch aufgrund der schwierigen Arbeitsbedingungen aufschieben: „Viele sagen ‚Ich möchte erst meinen Doktor fertig machen.‘ Dann heißt es ‚Ich möchte erst meine Postdoktorandenstelle beenden, denn es ist nur ein 2-Jahres-Vertrag, dann muss ich wieder umziehen und es ist zu stressig.’“ Was viele nämlich nicht wissen, ist, dass eine Karriere in der Wissenschaft mit unheimlich vielen Unsicherheiten verbunden ist.
„Häufige Wohnortwechsel und befristete Arbeitsverträge mit wirklich kurzen Laufzeiten sind ganz normal. Viele Frauen, die ich treffe, haben zudem auch Partner, die ebenfalls in der Wissenschaft arbeiten. Sie haben nicht nur die doppelte Unsicherheit, sondern leben oft sogar noch nicht mal im selben Land!“, merkt Markéta an. Ohne zu wissen, was in ein oder zwei Jahren passieren wird, fehlt es vielen an der nötigen Stabilität, die es braucht, um den Entschluss zu fassen, eine Familie zu gründen. Um eine Karriere in der Wissenschaft für Frauen mit Kinderwunsch attraktiver zu machen, müssten sich also auch grundlegende Strukturen im „System Wissenschaft“ ändern.
Viele Stellen oder Projekte basieren zudem auch auf zeitlich begrenzten Zuschüssen oder Stipendien, die ständig neu eingeworben werden müssen. Läuft eine solche Bezuschussung während der Elternzeit aus, gibt es keine Stelle, zu der man zurückkehren kann. Rückblickend denkt Markéta heute, dass es zu Beginn ihrer Karriere in der Wissenschaft einfacher gewesen wäre, alles unter einen Hut zu kriegen. Denn je fortgeschrittener ihre Karriere, desto mehr Verantwortung hat sie auch für Projekte und die Menschen um sich herum.
Forscherin & Mama – Dr. Markéta Kubánková über ihr Leben zwischen Labor und Kita:
Videorechte: L’Orèal.
„Umgib dich mit Menschen, die dich unterstützen!“
Die Vereinbarkeit von Job und Familie verlangt Markéta einiges ab. Aber sie weiß auch, dass sie in der glücklichen Lage ist, viel Hilfe zu erhalten, ohne die ihr Beruf als Wissenschaftlerin so nicht möglich wäre. Mit ihrem Mann, der ebenfalls in Vollzeit arbeitet, teilt sie sich die Care-Arbeit auf. Regelmäßig springen auch die in Tschechien lebenden Großeltern ein. Außerdem sagt sie lachend: „Alles auslagern, was geht – das ist mein Rezept!“ Sei es Putzen, einkaufen oder die Erledigung des Haushalts.
Vor Kurzem gewann Markéta zudem den „For Women in Science“-Förderpreis, der von der L’Oréal Stiftung, der Deutschen UNESCO-Kommission und des Deutschen Humboldt-Netzwerks vergeben wird. Das ist nicht nur ein wichtiger Preis, um die Sichtbarkeit von Frauen in der Wissenschaft zu erhöhen. Für sie war das vor allem auch ein „psychologischer Boost“, den sie nach ihrer zweiten Elternzeit gut gebrauchen konnte, um ihr Selbstbewusstsein im Job wieder zu erlangen. Und der mit 25.000 Euro dotierte Preis hilft ihr natürlich auch finanziell im Alltag, um etwa lästige Pflichten auslagern zu können.
„Seitdem ich Mama bin, weiß ich meine Zeit einfach nochmal viel besser zu nutzen.“
Für die Zukunft wünscht sich Markéta, dass mehr Frauen den Weg in die Wissenschaft finden und dort auch bleiben, „trotz“ ihres Kinderwunsches. Sie ist stolz, dass sie als Vorbild für junge Wissenschaftlerinnen vorangehen und zeigen kann, dass es sich lohnt, sich den oft schwierigen Umständen zu stellen. Und je mehr Frauen in Zukunft auch in der Wissenschaft vertreten sind, desto eher wird sich auch etwas ändern.
Ihr Muttersein will sie auch in ihrer Branche keinesfalls als „Makel“ gelten lassen: Es sollte vielmehr als ein Vorteil gesehen werden, denn die Balance zwischen Job und Familienleben sowie die begrenzte Zeit hat sie in allen Bereichen viel effizienter werden lassen.
„Wenn ich die Zeit habe, mich auf meine aufregende und interessante Arbeit zu fokussieren, dann genieße ich das. Und wenn ich dann meine Kinder abhole und weiß, ich habe noch ein paar Stunden mit ihnen, dann genieße ich auch das in vollen Zügen.“ Weder ihren Beruf noch ihr Familienleben möchte die 35-Jährige missen. Nur auf den permanenten Schlafmangel, den wohl jede Mama kennt, könnte sie in ihrem Leben als Wissenschaftlerin und Mama getrost verzichten.
„For Women in Science“ – Der Förderpreis für junge Nachwuchsforscherinnen
Unter dem Slogan „Die Welt braucht Wissenschaft – und die Wissenschaft braucht Frauen“ wurden weltweit bereits mehr als 4.400 Wissenschaftlerinnen ausgezeichnet, von denen später sogar sieben einen Nobelpreis gewannen. Das globale Förderprogramm, das von der L’Oréal Stiftung und der UNESCO ins Leben gerufen wurde, unterstützt schon seit 2007 aufstrebende Forscherinnen in Deutschland.
Ziel der Initiative ist es, die Sichtbarkeit von Frauen in der Wissenschaft zu erhöhen und auf die strukturellen Ungleichheiten aufmerksam zu machen. Durch die finanzielle Förderung und internationales Netzwerk erhalten die Preisträgerinnen zudem die Möglichkeit, ihre Forschung voranzutreiben und zugleich zu Vorbildern für die nächste Generation von Wissenschaftlerinnen zu werden.