„Genug gekuschelt: Warum ich heute nicht mehr angefasst werden will“

Es sind Ferien, meine beiden Kinder Emil, 6, und Ida, 3, sind jetzt seit zwei Wochen Zuhause. Das heißt, dass sie nicht nur zwölf Stunden am Tag ununterbrochen mit mir reden, sondern dass sie mich gefühlt auch zwölf Stunden am Tag berühren.

Ich habe Körperkontakt-Aggressionen! Ein Wort, das sehr gut beschreibt, was ich gerade nicht will: Dauernd angefasst und gekuschelt werden. Doch auch dieser Tag ist so wie die letzten 14 Tage:

Morgens um sechs geht es los. Der Tag beginnt ja nicht mit Kuscheln und langsam Aufwachen, sondern mit Kuscheln und Fragen. „Mama, gab es in Hamburg auch schon mal Krieg?“, „Mama, wie viele Tage dauert es, bis aus einem Sonnenblumenkern eine Sonnenblume wird?“ oder „Mama, können Füchse besser sehen oder besser riechen?“.

Kaffee im Bett, ich werde gekuschelt und parallel wird im Bett gehopst. Der Kaffee schwappt zu allen Seiten. Ich sage. „Och, manno!“ Ich werde zur Entschuldigung geküsst. Ich sage „Ich gehe mal duschen.“ Seit 14 Tagen erwidert Ida darauf: „Oh, ich komme mit! Wollen wir zusammen duschen, Mama, das wäre schön, oder?“

Zusammen duschen sieht wie folgt aus: Ida hat ständig das Wasser, ich nie. Ich friere. Wenn ich das sage, klammert sie mein nasses Bein und fragt: „Besser?“. Mit fortgeschrittenem täglichen Duschvergnügen wünsche ich mir, mal zwanzig Minuten alleine zu duschen. Man, wäre das schön! Parallel kommt Emil rein und raus und muss kurz was fragen. Er lässt selbstverständlich danach immer die Tür auf. Unser Badezimmer ist sehr klein, wie in den meisten Hamburger Altbauwohnungen. Und es zieht wie Hechtsuppe. Ida stört das nicht, sie steht ja unter dem heißen Wasser. Nur beim Verlassen der Dusche ist ihr so kalt, dass sie selbstverständlich zurerst abgetrocknet und angezogen wird. Ich laufe nackt und nass herum und suche Kleidungsstücke zusammen.

Wir gehen mit dem Hund. Ich höre hundert Mal: „Arm!“

Wir frühstücken, ich höre hundert Mal: „Schoß!“

Ich mache ein genervtes Gesicht, als Entschuldigung werde ich gekuschelt und geküsst. Ich mache irgendetwas, hier kann man wahlweise so ungefähr alles einsetzen, was einem gerade so einfällt: aufräumen, Wäsche waschen, Baum schmücken, Geschenke einpacken, backen, kochen, auf die Toilette gehen, einkaufen, Emails lesen, Fotografieren und alles andere.

Dabei steht Ida immer vor meinen Füßen oder unser Hund oder unsere Katze oder Emil, der etwas fragen will. Es ist ja nicht so, dass sich die Kinder nicht alleine beschäftigen. Ich finde sogar, dass sie sich schon extrem gut und lange alleine beschäftigen. Ich höre sie sehr oft untereinander, aber auch in getrennten Zimmern mit sich selbst reden, dabei sägen, hämmern, Puppenwagen schieben und in der Kinderküche kochen. Aber wenn sie nicht direkt vor mir, neben mir oder auf mir sind, dann ist es immer entweder der Hund oder die Katze.

Nachts schläft Emil neben mir. Mein Mann Paul hat Nachtdienst, Emil genießt das sehr. Egal, wo ich liege, Emil robbt hinterher. Mindestens ein Arm und ein Bein versuchen, meinen Körper zu umschlingen. Ich bin bewegungsunfähig. Und kurz davor, ihn aus dem Bett zu schubsen. In meinem Kopf spielen sich gespenstische Szenen ab. Mein Gott, bin ich wirklich so wenig für das Familienleben geschaffen?

Mein Mann Paul ist auch keine Hilfe. Er arbeitet als Arzt im Krankenhaus meistens nachts. Schläft den ganzen Tag und sagt so absolut absurde Dinge wie: „Ich würde auch gerne mal wieder neben dir liegen.“ „Ah, nicht noch mehr Körperkontakt, denke ich. Ich habe Körperkontakt-Aggressionen!“

Heute beim Abendessen raste ich aus. Ida steht von ihrem Platz auf und steht mit ihren großen Augen vor mir: „Schoß!“ ruft sie. „Jetzt kuschle ich dich, Mama!“ Ich drehe durch. „Nein!“ schreie ich und könnte vor Scham im Erdboden versinken. Rabenmutter! Liebesentzug! Das ist mein Körper! Der möchte jetzt gerade mal eine halbe Stunde nicht gekuschelt werden! Ich stehe auf und setze mich erschöpft ins Arbeitszimmer. Keine Ida, kein fragender Emil. Wie still. Wie angenehm.

Die Katze kommt und springt auf meinen Schoss und schnurrt.

Miriam Boettner ist Fotografin, Bloggerin und Autorin. Sie hat zwei Kinder, Emil und Ida. Und einen Mann: Paul. Mehr tolle Geschichten findest du auf ihrem Blog „Emil und Ida“. Wenn sie nicht in ihrer Heimatstadt Hamburg ist, ist sie mit ihren Kindern auf Abenteuerreise durch Deutschland: „Kleine Landstreicher“.

Tamara Müller

Als süddeutsche Frohnatur liebe ich die Wärme, die Berge und Hamburg! Letzteres brachte mich vor sieben Jahren dazu, die Sonne im Herzen zu speichern und den Weg in Richtung kühleren Norden einzuschlagen. Ich liebe die kleinen Dinge im Leben und das Reisen. Und auch wenn ich selbst noch keine Kinder habe, verbringe ich liebend gerne Zeit mit ihnen.

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