Triggerwarnung
Der folgende Text thematisiert traumatische Erfahrungen. Es geht um psychische Gewalt bei einer Ausschabung. Wenn du dich damit nicht wohl fühlst, raten wir dir davon ab, den Beitrag zu lesen.
„Lange habe ich überlegt, ob ich meine persönliche Geschichte von meinem Sternenkind Lee Kalani öffentlich mache. Der Name bedeutet himmlische Wiese. Doch als Sternenmama mit traumatischen Erfahrungen musste ich mir oft anhören, dass ich mich ‚anstelle‘ oder ‚selbst schuld‘ bin. Die Empathie mancher Menschen lässt leider zu wünschen übrig.
Ich versuche, den Text relativ sachlich zu halten, damit mir meine Emotionen beim Schreiben nicht den Boden unter den Füßen wegziehen.
Eines Abends im Jahr 2012, ich war gerade 18 Jahre alt, nahm ich mir eine 500 Gramm Portion Vanille Eiscreme aus dem Tiefkühlfach und fing an, diese in der Küche zu löffeln. Warum auch immer mein Blick dabei zur Mikrowelle wanderte, sie sah auf einmal sehr einladend aus. Gedacht, getan. Ich erhitzte die Eiscreme und trank die ganze Portion. Du ahnst nicht, wie unglaublich lecker das war.
Während ich mich zurückerinnere, muss ich selber schmunzeln. Danach griff ich zum Telefon und erzählte meinem besten Freund von dieser neu entdeckten, sinnlichen Geschmacksexplosion. Nach kurzem Schweigen dann seine Worte: ‚Sag mal, kann es sein, dass Du schwanger bist?‘
Ein kurzer Schock, langes Schweigen und einen Tag später folgte ein positiver Schwangerschaftstest.
Also ging es für mich zum Gynäkologen. Dieser bestätigte die Schwangerschaft und auf dem Ultraschall war schon die klitzekleine Fruchtblase zu sehen. ‚Herzlichen Glückwunsch, Sie erwarten ein Baby.‘
Okay, soweit so gut und nun? Ich lebte zu der Zeit noch bei meinen Eltern, war gerade volljährig und nun selber dabei, Mutter zu werden. Zwischen einigen Tränen, da ich noch so jung war, einer heftigen Auseinandersetzung mit dem Vaters meines Freundes und der Wohnungssuche mit meinem damaligen Partner rafften wir uns alle als Familie zusammen.
Mich begleitete ein enormer Heißhunger auf Salat und Toast mit Nutella.
Ich lebte quasi davon. Allerdings blieb nach vier Wochen nichts mehr drin: Ich trank und erbrach mich. Ich aß und erbrach mich. Es war wirklich schrecklich. Abgesehen vom Erbrechen ging die Schwangerschaft ohne weitere Symptomatik einher. Ich kann mich daran erinnern, dass ich immer so glücklich war. Mir ging es also nicht wirklich schlecht.
Mein Gynäkologe wollte mich aufgrund des Erbrechens einmal pro Woche sehen, um bestimmte Werte zu kontrollieren. Nachdem ich innerhalb von zwei Wochen 14 Kilo verloren hatte, wurde ich ins Krankenhaus gebracht mit der Diagnose unstillbares Schwangerschaftserbrechen. Rückblickend denke ich, ich hätte nach der ersten Woche schon eingewiesen werden müssen, aber mein damaliger Arzt wollte warten, ob ich mich stabilisiere.
Es war kein schöner Aufenthalt.
Meine Bettnachbarin war lungenkrank und hatte Luftnot, das Gerät der anderen Bettnachbarin piepste aufgrund ihrer Nieren. Somit war meine Nacht unruhig und ich war am nächsten Morgen fix und fertig. So fertig, dass ich einen Nervenzusammenbruch erlitt. Einen Tag später wurde ich verlegt. Ich bekam ein Zimmer mit einer anderen Schwangeren, das war angenehmer. Ich wurde ein paar Tage am Tropf versorgt und es ging mir besser.
Ich trank und aß und es blieb drin. Zwei Wochen nach dem Krankenhausaufenthalt, also in der achten Woche, bekam ich einen Scheidenpilz. Das Immunsystem hatte unter dem Erbrechen gelitten. Die Gynäkologin verschrieb mir eine Salbe und Tabletten, welche ich vaginal einführen sollte. Sie sagte, wir müssen diesen Pilz behandeln, da mein Kind sonst Schaden nehmen könnte. Der Pilz könnte sich bis zur Gebärmutter ausbreiten und zu einer Fehlgeburt führen
Dumm wie ich war, tat ich genau, was mit gesagt wurde.
Schließlich wollte ich, dass es meinem Kind gut geht und das sein kleines Herz weiter schlägt. Es war bei der Untersuchung übrigens ein absolutes Highlight für mich, dieses kleine Herz schlagen zu sehen. Ich hätte es am liebsten jeden Tag gesehen. Ein wachsendes Lebewesen in einem anderen Lebewesen. Unglaublich, was die Natur für Wunder vollbringt.
Einige Tage später bemerkte ich ein Ziehen und Stechen im Unterleib. Beim Gynäkologen verriet mir sein Gesicht, was los war und ich weinte. Es war kein Herzschlag mehr zu sehen, mein Kind lebte nicht mehr. Mein Kind ist tot. Der Arzt beruhigte mich und gab mir eine Überweisung ins Krankenhaus.
Im Krankenhaus erklärte man mir, dass mein Baby ausgeschabt werden müsse.
Ich wollte lieber eine natürliche Geburt, jedoch wurde mir mit Begriffen wie Blutvergiftung und Tod eine schreckliche Angst eingejagt. Es gäbe keinen anderen Weg, wenn ich leben möchte. Es drohe ansonsten eine Sepsis. So vertraute ich also den Ärzten und musste diesen Weg gehen.
Es war einer der schmerzhaftesten Wege meines Lebens. Am Vorabend der OP (diesen verbrachte ich Zuhause) bekam ich ein Mittel, welches den Unterleib weich machen würde, ein Wehenmittel, Cytotec. Als es anfing zu wirken, schrie ich wie am Spieß vor Schmerzen.
Meine Mutter rief im Krankenhaus an, aufgeregt und besorgt.
Man sollte mir Buscopan geben, hieß es dort. Bis der Schmerz durch Schmerzmittel abklang, schrie ich bestimmt eine halbe Stunde und übergab mich. Es waren wirklich die schlimmsten körperlichen Schmerzen, welche ich bis hierhin erlebt hatte.
Ich frage mich noch heute, ob es Wehen waren. Am nächsten Morgen fuhr ich ins Krankenhaus und der Horror begann: Ich sollte mich auf eine Art Stuhl legen, beide Beine hoch. Es war unangenehm, aber nötig. Eine helle Lampe knallte auf meinen Körper und ich bekam Angst.
Was passiert nun mit mir? Mit meinem Kind?
Dann wurde ich ohne Vorwarnung, ohne Informationen, an Händen und Füßen festgeschnallt. Ich bekam Panik, fing an zu rufen, was jetzt mit mir passiert, wozu das nötig sei und ich sah sechs Leute, um mich herum stehen. Dabei hieß es beim Vorgespräch, dass nur drei anwesend sein würden. Keiner sprach mit mir, alle sahen mich nur an. Ich kam mir vor wie auf einem Opferaltar.
Aus Angst weinte ich noch mehr. Warum hat mir niemand eine Antwort gegeben? Der Anästhesist versuchte mir einen Venenzugang in die Hand zu legen, doch es gelang ihm nicht. Er drückte so stark, dass seine Hand zitterte und ich schrie vor Schmerz. Dann drückte er mir den Zugang in die Ellenbeuge und sagte: ‚Boah, ich habe keinen Bock mehr.‘
Er spritzte mir etwas und ich schlief ein.
Als ich aufwachte hatte ich wieder Schmerzen und die Erinnerung an das, was gerade geschehen war, holte mich sofort wieder ein. Ich schrie meinen Partner an, dass wir sofort gehen müssen und das tat ich. Eine Pflegerin oder Ärztin zog mir kommentarlos den Venenzugang raus und ich ging nach Hause, ohne mich abzumelden. Man drückte mir ein Rezept in die Hand, sollten weiterhin Schmerzen bestehen.
Zwei Wochen später erhielt ich eine Kopie des Berichtes: ‚Präparat wurde nach pathologischer Untersuchung entsorgt.‘ Ich werde diese Zeilen nie vergessen, NIE! Sie bohrten sich wie ein Pfeil in mein Herz. Ich zerriss den Brief wütend und weinend und wollte nie wieder mit dieser Thematik zu tun haben. Ein dunkles Kapitel meiner Vergangenheit.
Sehr lange schwieg ich über das Erlebte, ganze 5 Jahre.
Ich sprach mit keinem darüber, was mir passiert war, weil ich dachte, dass mir sowieso niemand glaubt. Denn so etwas passiert doch nicht in einem Krankenhaus! Erst nach fünf Jahren las ich den pathologischen Bericht, lies mir die medizinischen Fachbegriffe von einem Arzt übersetzen.
Mein Kind hatte Missbildungen, sogenannte Strumas. Von einem Team in Krankenhaus erfuhr ich, dass Sternenmütter normalerweise nach einer Ausschabung zu einer Beerdigung eingeladen werden. Dies war bei mir nicht der Fall.
Doch inzwischen weiß ich, wo das Sammelgrab der Sternenkinder ist und kann mein Kleines besuchen.
Außerdem habe ich Lee amtlich eintragen lassen. Lee ist nicht irgendeine Fehlgeburt, sondern mein Kind, welches ich unter meinem Herzen trug. Ganze acht Wochen. Mein Kind, dessen Herzschlag ich gesehen habe.
Aktuell bin ich noch immer kinderlos, aber habe noch den Wunsch, Mutter zu werden. Es ist für mich nach wie vor ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Jedoch habe ich große Angst davor und arbeitete mit einem Psychiater das Geschehene auf. Leider kann ich rechtlich nicht dagegen vorgehen, wie mit mir umgegangen wurde, da das Erlebte lange her ist und es schwierig sein wird, eine Schuld nachzuweisen. Das wurde mir zumindest so gesagt.
Jedoch hatte ich bis vor zwei Jahren noch immer das Gefühl, alleine damit zu sein, trotz Therapie.
Ich ging davon aus, ein sogenannter Einzelfall zu sein, bis ich anfing nachzuforschen und dabei Frauen fand, die Ähnliches erlebt haben. Traumatische Geburten und Fehlverhalten von Ärzten sind leider nicht so selten, wie man glauben möchte. Dabei sollten sie uns in unseren intimsten und schönsten Stunden mit Empathie, Zeit und Verständnis entgegentreten.
Ich habe mittlerweile eine Freundin, die ebenfalls im Krankenhaus ein schreckliches Geburtserlebnis hatte. Als sie mir davon erzählte, weinte ich. Durch Berichte mehrerer Mütter mit schrecklichen Geburtserfahrungen im Krankenhaus, habe ich den Mut gefunden, meine Geschichte aufzuschreiben. Solche Erfahrungen müssen an die Öffentlichkeit gebracht werden.
Es ist unglaublich, wie mit Menschen umgegangen wird, egal ob im Krankenhaus, im Kreißsaal oder in Pflegeheimen.
Jeden Tag leiden Menschen unter den katastrophalen Zuständen im Pflegebereich. Und warum? Weil dort gespart wird, wo nicht gespart werden sollte, während die Bundestagsabgeordneten bei ihren Sitzungen einschlafen und am Handy spielen. Ich sage als Betroffene von Gewalt: schämt Euch!”
Liebe Mama (Name ist der Redaktion bekannt), vielen Dank, dass du uns deine Geschichte anvertraut hast. Wir wünschen dir und deiner Familie alles Liebe für die Zukunft!
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