Bummelt man durch die Buchläden, sieht man: Ratgeber für die Zeit der Schwangerschaft gibt es viele. Kein Wunder, denn in dieser Zeit ist alles neu und gerade Erstgebärende haben etwa 180.000 Fragen rund um diese aufregende Zeit.
Mindestens genauso spannend ist die Geburt und die individuelle Geburtserfahrung. Erstaunlicherweise ist es aber irgendwie deutlich schwieriger, sich auf dieses große Ereignis umfassend vorzubereiten – es fehlt an ausführlicher und verständlicher Literatur.
Bis jetzt!
Denn der Mangel an ausführlichen Informationsquellen rund ums Thema Geburt (außer natürlich unserem Onlinemagazin 😜 ) ist auch Dr. med. Richard Krüger aufgefallen. Er ist Assistenzarzt für Gynäkologie und Geburtshilfe und hat mehrere Jahre lang Geburten in Deutschlands größter Geburtsklinik, der Charité in Berlin, begleitet.
Immer wieder spürte er, dass die werdenden Mamas und ihre Partner*innen voller Unsicherheiten und Ängste ins Krankenhaus kamen.
Das will er ändern – und hat selbst in die Tasten gehauen. Zum Glück! Sein Buch „In der Geburtsklinik“ lässt keine Fragen rund um die Geburt offen. Von der Vorbereitung auf die Geburt über den Moment, wenn das Kind das Licht der Welt erblickt, bis zu den Klinikabläufen nach der Geburt erfahren hier Schwangere und auch ihre Begleitpersonen alles Wichtige. Wir sind begeistert, denn „In der Geburtsklinik“ ist nicht nur super verständlich geschrieben, sondern an vielen Stellen auch lustig und eine gute Vorbereitung lässt Gebärende viel entspannter in die Klinik fahren und die Geburt erleben.
Deshalb haben wir uns auch riesig gefreut, dass sich Dr. Krüger die Zeit genommen hat, uns ein paar Fragen zu beantworten:
Herr Dr. Krüger, einmal vorab: Warum sind Sie denn eigentlich Gynäkologe geworden?
„Das kann ich ohne Probleme beantworten: Die Frauenheilkunde in Kombination mit Geburtshilfe ist nun einmal das schönste Fach der Medizin! Wo sonst ist man so nah an dem natürlichen Beginn des Lebens dabei? Zudem ist diese Fachrichtung unglaublich vielseitig. Ich habe jeden Tag zu tun mit Bildgebung (Ultraschall), Endokrinologie (Hormontherapie), Innere Medizin, Onkologie, Chirurgie, Prävention, Beratung, Psychologie und bin am Leben der Menschen ganz nah dran. Und das bei Patientinnen aller Altersklassen!“
Wir haben es im Intro-Text schon angerissen, aber Sie können es selbst viel besser erklären: Wie sind Sie auf die Idee zu Ihrem Buch gekommen?
„Ich habe immer wieder erlebt, wie überrascht Schwangere und ihre Begleitpersonen von ganz normalen Abläufen in der Klinik waren, obwohl sie überzeugt waren, sich optimal auf die Geburt vorbereitet zu haben. Ich habe versucht herauszufinden: Woran liegt das? Ganz klar: Tatsächlich fehlt in den üblichen Geburtsvorbereitungskursen die ärztliche Perspektive.
Und auch in Schwangerschaftsratgebern geht es ausführlich um die zehn Monate Schwangerschaft – aber häufig in nur einem Kapitel um die ideale vaginale Geburt. Was in der Klinik genau passiert, wird gar nicht erwähnt. Dabei ist die Realität: Es gibt jährlich 700.000 Geburten in Deutschland. Davon finden nur 0,5 Prozent zu Hause oder unterwegs, 1 Prozent im Geburtshaus, aber 98,5 Prozent in der Klinik statt. Jede vierte Schwangere nutzt die Möglichkeit zur Linderung der Geburtsschmerzen durch eine Periduralanästhesie (PDA), jedes dritte Kind wird per Kaiserschnitt geboren und jede fünfte Geburt wird eingeleitet. Hiervon kein Wort in der bestehenden Literatur.“
Und was unterscheidet Ihr Buch von der Flut der anderen Schwangerschafts-Bücher?
„Mein Buch ist eben kein Schwangerschaftsratgeber, sondern ein Geburtsratgeber. Somit beschreibt es nicht nur die ,ideale vaginale Geburt`, sondern die Realität in der Geburtsklinik:
Alle Abläufe, wie man sich hierauf am besten vorbereitet, wie moderne Schmerzlinderung funktioniert, was passiert, wenn Komplikationen auftreten und wie man sie wirkungsvoll behandelt.“
Aha! Und wie kann ich mich am besten auf meine Entbindung vorbereiten?
„Zunächst einmal darf natürlich jede und jeder für sich selbst entscheiden, wie viel Vorbereitung und Information gewünscht ist. Wer allerdings wirklich wissen will, was auf einen (möglicherweise) zukommt und umfassend informiert sein will, dem rate ich sowohl die Geburtsvorbereitung aus Hebammen- als auch aus ärztlicher Perspektive.
1. Die Hebammenperspektive wird idealerweise durch einen absolvierten Geburtsvorbereitungskurs sowie eine persönliche Vor- und Nachsorgehebamme für Zuhause abgebildet.
2. Die ärztliche Perspektive auf die Geburt fehlt in der von den Krankenkassen finanzierten Geburtsvorbereitung – durchschnittlich verbringt eine Frau in ihrer Gynpraxis sieben Minuten; Aufklärungsarbeit Fehlanzeige. Daher empfehle ich mein Buch in Ruhe zu lesen und dann resultierende Fragen gezielt mit der Ärztin in der Praxis oder im Rahmen einer Geburtsplanung in der Klinik zu klären.
Zudem sollte man einen realistischen Geburtsplan schreiben, der die individuellen Wünsche für alle Eventualitäten schon einmal festhält – wie das geht, steht in meinem Buch.“
Und was halten Sie von vorbereitenden Maßnahmen wie Akupunktur & Co.?
„Nun ja, oft gibt es keine wissenschaftlich nachgewiesene Wirkung von solchen alternativ-heilkundlichen Maßnahmen in der Geburtsmedizin. Aber: Sie haben kaum Nebenwirkungen, können also nicht schaden. Das Ziel der Medizin ist ja: Linderung bzw. Heilung – daher sehe ich das so: Wer heilt, hat recht. Also gerne ausprobieren, wenn man mag – aber dann bitte frühzeitig. Denn falls es nicht klappt, kann dann rechtzeitig wissenschaftliche Medizin angewendet werden.““
Was meinen Sie: Wen sollte ich am besten mitnehmen zur Geburt? Sollte diese Person sich irgendwie vorbereiten? Und: Dürfte ich sogar mehrere Leute mitnehmen?
„Es gibt individuelle Regelungen jeder Klinik, wie viele Begleitpersonen mit in den Kreißsaal dürfen. Ich empfehle dort einfach vorher nachzufragen. Meistens sind es aber 2 Begleitpersonen.
Mein Tipp: Eine absolute Vertrauensperson mitnehmen, um die man sich dort nicht kümmern muss – und vor der einem nichts peinlich ist. Und ja, je besser eine Begleitperson informiert ist, desto besser kann sie die Schwangere unterstützen und auch deren Interessen in der Klinik vertreten. Hier hilft es, wenn die Schwangere ihre individuellen Bedürfnisse lange vor der Geburt mit ihrer Begleitperson bespricht. Auch die Begleitperson sollte einerseits wissen, wie so eine Geburt wirklich abläuft und andererseits, was dabei ihre Möglichkeiten sind, um die Gebärende zu unterstützen und sich selbst gut vorzubereiten.“
Ist es Ihrer Erfahrung nach eine gute Idee, sich möglichst viele Infos über Geburten einzuholen (private Erfahrungen anderer etc.), oder verunsichert Frauen das eher?
„Na klar: umfassende Vorbereitung ist super! Aber nur, wenn sie mit den richtigen Quellen passiert. Das können natürlich auch Freunde oder Bekannte sein, denen man vertraut und deren Meinung einen wirklich interessiert. Allen anderen würde ich persönlich einen um zwei Wochen nach hinten verschobenen errechneten Geburtstermin nennen, um ungefragte Ratschläge und ständiges Nachfragen zu vermeiden. Wem die Meinung der entfernten Verwandten und Nachbarn bisher nicht wichtig war, dem würde ich empfehlen auch ihre ungebetenen Ratschläge und (Horror-)Geschichten zur anstehenden Geburt gepflegt zu ignorieren.
Wichtig zu wissen: Dr. Google und Social Media können sehr einseitig oder auch komplett falsch informieren. Es ist schwer ausgewogene und vollständige Informationen zu erhalten.“
Es geht lohoooos! Oder? Wann fahre ich los ins Krankenhaus – und ist das Personal sehr genervt, wenn ich zu früh komme?
„Der Geburtsbeginn ist tatsächlich klar definiert, hierzu empfehle ich den Blick ins Buch und den Hebammen-Geburtsvorbereitungskurs. Wer sich aber im Moment der Momente unsicher ist oder Schmerzen hat, kann problemlos jederzeit 24/7 die Kreißsaal-Nummer wählen, um dort schnell und unkompliziert eine erste Einschätzung von einer Hebamme zu erhalten. Das ist häufig für werdende Eltern schneller und einfacher, als erstmal in die Klinik zu fahren, dort zu warten und ggf. anschließend wieder nach Hause geschickt zu werden.“
Das Personal arbeitet im Schichtdienst für Schwangere und ihre Sorgen/Probleme. Wir werden hierfür bezahlt und sind natürlich gerne genau dafür da! Genervt ist hier unter normalen Umständen keiner, in der Klinik ist jede Schwangere willkommen, die glaubhaft unsicher ist oder Schmerzen hat.
Um aber ein wenig für Verständnis zu werben: Nachts um drei kann es natürlich nerven, wenn jemand beispielsweise einfach mal wieder das Kind im Ultraschall sehen wollte…. Das ist im Grunde Missbrauch des Gesundheitssystems und kostet Zeit für die Menschen, die tatsächlich Hilfe brauchen. Aber solch ein Szenario ist auch wirklich sehr selten!“
Wenn ich mich während der Geburt unwohl fühle mit dem, was das Krankenhauspersonal sagt oder tut – kann ich da was sagen? Und wenn ja, wie am besten?
„Bitte ja! Und zwar unbedingt frühzeitig, klar und deutlich ansprechen, was einem problematisch vorkommt. Ich sehe es so: Sie sind zugleich die Hauptdarstellerin und Regisseurin Ihres Drehbuchs. Das Klinikpersonal sind die bezahlten Nebendarsteller, die Sie unterstützen.
Auch hier ergibt eine gute Vorbereitung Sinn: Wissen ist Macht – nur wer weiß, was an Unterstützung möglich ist, kann dies möglicherweise hinterfragen und auch einfordern.
Wichtig ist hier frühzeitig, klipp und klar zu sagen, was einem gefällt und was nicht, vornehme Zurückhaltung ist hier fehl am Platz. Auch hier kann ein Geburtsplan helfen, die eigenen Wünsche auch ohne zu sprechen ausdrücken zu können.
Wenn medizinische Maßnahmen notwendig werden, die man nicht versteht, hilft das in der aktuellen Leitlinie zur vaginalen Geburt empfohlene Kommunikation-Akronym: VRANNI.
V = Vorteile = Welche Vorteile hat es, wenn die vorgeschlagene Maßnahme angewendet wird?
R = Risiken = Welche Risiken bestehen?
A = Alternativen = Gibt es Alternativen? Welche?
N = Notfall – Handelt es sich um einen Notfall?
N = Nichtstun = Was passiert, wenn nichts unternommen wird?
I = Intuition = Was sagt das Bauchgefühl der Gebärenden/der Eltern?“
Viele Schwangere haben große Angst vor der Geburt. Wie „wahrscheinlich“ ist es denn, dass diese unkompliziert abläuft? Gibt es da beruhigende Statistiken, bei vielen Geburten ernstere Probleme auftauchen?
„Bitte machen Sie sich bewusst: Eine unkomplizierte Geburt ist immer noch das wahrscheinlichste Szenario! Und: Mögliche Komplikationen können heutzutage durch die intensive Schwangerschaftsvorsorge und flächendeckende Klinikversorgung frühzeitig erkannt und viel unkomplizierter behandelt werden als noch vor wenigen Jahrzehnten.
Was man häufig im Nachhinein nie weiß: Welche möglicherweise schwerwiegende Komplikation wurde durch Prävention in der Schwangerschaft verhindert? (Erklärendes Beispiel: Prävention – Zähneputzen, Therapie – Zahn Bohren/Ziehen). Welche möglicherweise schwerwiegende Komplikation wurde durch bereits während der frühen Phase der Geburt begonnene medizinische Unterstützung unkompliziert verhindert?
Die gute Nachricht und statistisch einfach auszudrückende Info lautet: Mutter und Kind verlassen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lebend die Klinik. Das mag uns logisch erscheinen, ist aber der Erfolg der heutigen Schwangerschaftsvorsorge, medizinischen Forschung und modernen Geburtshilfe.
Zahlen zur Müttersterblichkeit in Deutschland:
1920 starb eine Mutter pro 200 lebendig geborenen Kindern
2020 starb eine Mutter pro 25.000 lebendig geborenen Kindern
Heutzutage müssen wir uns darauf konzentrieren, dass nicht nur körperlichen sondern auch seelischen Bedürfnisse entsprochen und Verletzungen erkannt werden – hierfür ist die richtige Geburtsvorbereitung – körperlich wie mental – von entscheidender Bedeutung.“
Wie viel Zeit hat das Krankenhauspersonal denn für eine Geburt?
Medizinisch gesehen hat es so viel Zeit wie nötig und es kann jederzeit alle benötigte medizinische Hilfe innerhalb kürzester Zeit hinzugerufen werden.
Aber: Das geht leider nicht zwangsläufig mit dem individuellen Bedürfnis einer Schwangeren nach mehr Aufklärung und Anwesenheit durch das Personal einher.
Weil wenig Zeit und Geld im Gesundheitswesen bereitsteht, ist die richtige Vorbereitung auf die Geburt in der Klinik so wichtig, um Abläufe und Entscheidungen unter der Geburt zu verstehen und mitgestalten zu können – weil im Moment der Geburt häufig kaum Ruhe und Kapazität besteht, weder bei der Schwangeren und Begleitperson, noch bei Hebamme und Ärztin. Während der Schwangerschaft findet sich sicherlich besser ein Moment für Ruhe, Muße und Konzentration, um Fragen und Wünsche klären zu können.
Zu guter Letzt: Drei schnelle Tipps, die Sie werdenden Müttern in Sachen Geburt mit an die Hand geben können?
- Ohrstöpsel und Schlafbrille für einen Powernap im Kreißsaal und Schlafen auf der Mutter-Kind-Station für die Schwangere/Mutter UND die Begleitperson.
- (Realistischen) Geburtsplan schreiben, um individuellen Wünsche dem Personal mitteilen zu können, ohne sie im Moment der Geburt bei ggf. Anspannung, wenig Zeit, möglicherweise Schmerz und Stress ausdrücken zu müssen.
- Egal ob gewünscht, geplant oder abgelehnt: Aufklärungsbogen für Periduralanästhesie und ggf. Kaiserschnitt in der ausgewählten Geburtsklinik frühzeitig vor dem Termin zur Geburtsanmeldung oder Geburtsplanung abholen, um bereits die Dokumente in Ruhe lesen und sich hierzu Fragen überlegen zu können, die dann im individuellen Gespräch mit der Hebamme oder Ärztin in der Praxis oder Klinik geklärt werden können. Falls man die Aufklärung nie gebraucht hätte, weil es eine schmerzfreie vaginale Geburt wird: Kein Problem! Falls doch: Sehr hilfreich!
Unser Experte:
Dr. med. Richard Krüger, ist Assistenzarzt für Gynäkologie und Geburtshilfe und hat mehrere Jahre lang Geburten in Deutschlands größter Geburtsklinik, der Charité in Berlin, begleitet. Dort spürte er, dass Schwangere und ihre Begleitungen oft unvorbereitet und verängstigt in den Kreißsaal kommen – obwohl sie das größte Wunder der Menschheit erwartet. Das möchte er ändern, erklären was passiert und Ängste vor Tabuthemen wie Geburtsverletzungen, Saugglockengeburt und Kaiserschnitt nehmen.
Das Buch:
Die Abläufe in der Geburtsklinik zu verstehen, seine Bedürfnisse vor und unter der Geburt klar zu kommunizieren und wichtige Entscheidungen bereits vorher treffen zu können, hierfür steht „In der Geburtsklinik“. Toller Bonus: „Infokästen für die Begleitperson“ sind in allen relevanten Kapiteln enthalten!*
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