Meinung – Mitten in den Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD fordern immer mehr Stimmen aus Wirtschaft und Medien, das Elterngeld zu kürzen oder direkt ganz abzuschaffen. Klar ist, die neue Regierung muss auf Sparkurs gehen. Denn das Haushaltsloch wächst durch die jüngst geplanten Neuverschuldungen immer weiter. Aber muss sie ausgerechnet bei Familien sparen? Wir sind entsetzt und sagen: Hände weg vom Elterngeld! Denn Kürzungen oder gar Streichungen hätten fatale Folgen – vor allem für die Wirtschaft und die Gleichstellung von Frauen. Wir fassen die Lage zusammen.
Wer die Abschaffung des Elterngelds fordert – der Stand der Dinge
Anfang März berichteten wir bereits über die Aussage des Chefs des Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo), Clemens Fuest, Elterngeld sei ein „nice to have“. Fuest war eine der ersten Stimmen, die sich in dieser Richtung äußerten. In einem Interview mit der Welt am Sonntag schlug er vor, das Elterngeld direkt ganz abzuschaffen. Begründung: Die Bedürftigkeit vieler Elterngeld-Empfänger sei fraglich.
Eine solche Meinung hat natürlich ein gewisses Gewicht, wenn sie direkt von einem der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute des Landes kommt.
Leider blieb Fuest in den folgenden Tagen und Wochen mit seiner Haltung nicht alleine.
Immer mehr Meinungsmacher schlossen sich dieser Forderung an.
Gerade heute ist auf t-online.de dazu ein Meinungsstück von Christoph Schwennicke mit dem Titel „Schluss mit der Blockhütte in Kanada auf Staatskosten“ erschienen, bei dem uns die Kinnlade heruntergeklappt:
In diesem Artikel wird die Idee des Elterngeldes, einer „Kopfgeburt von Ursula von der Leyen“, als „Irrsinn“ bezeichnet, der „wegkann“. Schwennicke rechnet vor, die 120 Milliarden, mit denen das Elterngeld in einem Zeitraum von 10 Jahren die Staatskassen belastet, seien ein Viertel der Summe, die nun für Infrastruktur und Umweltschutz auf Pump aufgebracht werden müssten. Er spielt also die Bedürfnisse von Familien gegen die natürlich absolut notwendigen Investitionen in Infrastruktur und Umweltschutz aus.
In ein ähnliches Horn stößt die FAZ in einem aktuellen Artikel von Rainer Hank, der Ursula von der Leyen darin – ebensowenig respektvoll und sachlich, wie wir finden – als „Ausgabenweltmeisterin“ betitelt.
Wir stellen fest: Die sehr laut geäußerten Vorschläge zur Streichung des Elterngeldes kommen von Männern höheren Alters, deren Lebensrealität schon sehr weit von jungen Familien entfernt ist. Und die die Konsequenzen kaum im Blick haben.
Welche Folgen die Abschaffung des Elterngeldes hätte
Wir wissen gar nicht, wo wir anfangen sollen! Die Streichung des Elterngeldes hätte so viele, fatale Konsequenzen, dass wir sie kaum priorisieren können. Hier die Top 10:
- Erhebliche, finanzielle Mehrbelastung von Eltern (im ersten Lebensjahr hatten Familien mit Kindern durch das Elterngeld im Schnitt 480 Euro monatlich mehr im Portemonnaie, Quelle 3)
- Gleichstellung von Frauen im Rückwärtsgang
- Sinkende Väterbeteiligung an der gemeinsamen Erziehung von Kindern
- Rückkehr zum Einverdienermodell, was Frauen wieder wesentlich stärker in finanzielle Abhängigkeit brächte
- Sinkende Erwerbstätigkeit von Frauen bzw. Müttern, was den Fachkräftemangel befeuert – denn wo Frauen fehlen, fehlen Fachkräfte
- Der Gender Pay Gap, der seit Einführung des Elterngeldes von 23 auf 18 Prozent gesunken ist, könnte wieder ansteigen (2)
- Die ohnehin schon zu niedrige Geburtenrate würde weiter sinken
- Schlechtere Karriereaussichten von Frauen = steigendes Risiko der Altersarmut
- Viel mehr Kinder müssten früher in die Krippe, damit die Eltern den finanziellen Verlust auffangen können
- Verschärfung des Betreuungsplatzmangels: Allein in Baden-Württemberg fehlen bereits jetzt 60.000 Kitaplätze (6)
Bringen wir es nochmal auf den Punkt: All das sind also „nice to haves“. Die Gleichstellung von Frauen, höhere Erwerbstätigkeit und geringeres Armutsrisiko für Frauen im Alter – ein „nice to have“. Auf Frauen als Fachkräfte können wir am Arbeitsmarkt offenbar auch verzichten – die drastischen, wirtschaftlichen Auswirkungen, die allein der verstärkte Fachkräftemangel um Betreuungssektor hätte, scheinen nicht genug ins Gewicht zu fallen. Und dass viele Kinder dann schon viel früher in die Krippe gehen müssten, damit die Eltern die finanziellen Verluste ausgleichen können – was soll’s!
Wir halten dagegen:
Kinder zu fördern und bessere Bedingungen für Familien zu schaffen, darf kein „nice to have“ sein!
Das Elterngeld zu streichen wäre in vielerlei Hinsicht eine Milchmädchenrechnung. Denn erwiesenermaßen wird die dadurch sinkende Erwerbstätigkeit von Frauen der Wirtschaft hintenherum Schaden zufügen.
Vor allem muss aber Familiengründung als gesamtgesellschaftliche und damit vor allem auch politische Aufgabe begriffen werden. So lange es ein reines „Privatvergnügen“ bleibt und so lange man Eltern, Väter und Mütter, mit den finanziellen und organisatorischen Belastungen im Regen stehen lässt, verspielen wir als Gesellschaft unsere Zukunft.
Mit einer Abschaffung des Elterngelds wären wir meilenweit von vereinbarkeitsorientierter Familienpolitik entfernt – eine Katastrophe!
Und dabei hörte sich das in den Wahlprogrammen alles noch ganz anders an. Obwohl wir natürlich vorher wussten, dass Ankündigungen in Wahlprogrammen leider oftmals leere Versprechungen bleiben, dürfen sich die Parteien nun von uns daran messen lassen, was sie vor der Wahl zum Elterngeld vollmundig angekündigt haben.
Das stand zum Elterngeld in den Wahlprogrammen
Im Wahlprogramm der CDU hieß es zum Elterngeld, wir zitieren:
„Wir bekennen uns zur Elternzeit und zum Elterngeld. Sie haben sich als familienpolitische Leistung bewährt und entsprechen dem Wunsch vieler Familien, sich Aufgaben zu teilen. Wir verbessern das Elterngeld. Den Partnerschaftsbonus bei gleichzeitiger vollzeitnaher Teilzeit beider Eltern entwickeln wir weiter.“ (Quelle 4, Wahlprogramm SPD, S. 60).
Im Wahlprogramm der SPD stand zum Elterngeld, wir zitieren:
„Das Elterngeld und die Elternzeit bleiben eine Erfolgsgeschichte. Während andere hier kürzen wollen, setzen wir auf eine Weiterentwicklung, um noch stärkere Anreize für Väter zu setzen, deren Verhandlungsposition am Arbeitsplatz zu stärken und Familien in der frühen Phase besser zu unterstützen.“ (Quelle 5, Wahlprogramm SPD, S. 24).
Die SPD wollte das Elterngeld sogar ausbauen: Die Anzahl der Elterngeldmonate sollte von 14 auf 18 steigen. Und erhöhen wollte sie das Elterngeld auch: „Statt wie bisher 65 Prozent des Nettoeinkommens, sollen Mütter und Väter künftig 80 Prozent erhalten, wenn sie beide Elternteile die Monate zu gleichen Teilen nutzen“.
Waren die Bekenntnisse zum Elterngeld nur heiße Luft? Hoffentlich nicht.
Zu diesem Schluss müssten wir aber kommen, wenn die Abschaffung des Elterngeldes nun ernsthaft zur Debatte stünde, um das Haushaltsloch zu stopfen.
Liebe Politiker und Politikerinnen, die für die Koalitionsverhandlungen verantwortlich zeichnen: Damit verspielt ihr unser Vertrauen! Für uns Familien wäre das ein harter Schlag in die Magengrube. Unsere Bedürfnisse kommen seitens der Politik sowieso schon viel zu lange viel zu kurz. Auch im Wahlkampf waren sie kaum Thema. Was uns bereits vor 4 Wochen dazu veranlasste, nach der Wahl einen offenen Brief an Friedrich Merz zu schreiben, in dem wir eindringlich darum baten, Eltern und Kinder nicht zu vergessen und uns endlich auf die Agenda der Koalitionsverhandlungen zu nehmen.
(Wir warten bis heute übrigens noch auf eine Antwort darauf!)
Nun sieht es also auch noch danach aus, als würden wir stark benachteiligt werden – das darf doch wohl nicht wahr sein! Uns fehlen die Worte! Deshalb sagen wir:
Eltern, empört euch und werdet laut!
Eltern haben keine Lobby – das ist das Problem. Wir sind viel zu leise, wir sind zu wenig sichtbar, wir empören uns viel zu wenig. Zuletzt wurde das deutlich, als man die Möglichkeit des parallelen Bezugs von Elterngeld auf maximal einen Monat in den ersten zwölf Lebensmonaten des Kindes gekürzt hat, und als die Einkommensgrenzen beim Elterngeld von 200.000 Euro auf 175.000 Euro gesenkt wurden.
Wo war da der Aufschrei? Es gab keinen. Wir haben keinen gehört.
Es beschwert sich auch niemand darüber, dass das Elterngeld die einzige Sozialleistung ist, die seit 2007 (also 18 Jahre lang) nicht erhöht wurde – nichtmal eine Anpassung an die Inflation hat stattgefunden.
Warum lassen wir uns das alles einfach gefallen?
Wir müssen für uns und unsere Zukunft viel stärker eintreten. Eine solche Abschaffung des Elterngeldes darf nicht einfach geräuschlos vonstatten gehen. Und am Ende wundern sich alle wieder, warum in Deutschland so wenig Kinder geboren werden. Liebe Eltern – schließt euch unserer Empörung an, werdet laut, teilt die Beiträge zu #händewegvomelterngeld und lasst uns gemeinsam dafür kämpfen, nicht übersehen zu werden.
Quellen:
(1) https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw36-de-familie-senioren-frauen-jugend-903640
(2) https://www.cda-bund.de/aktuelles/brauchen-gutverdiener-elterngeld/
(3) https://www.bpb.de/themen/familie/familienpolitik/245320/debatte-elterngeld/
(4) https://www.politikwechsel.cdu.de/sites/www.politikwechsel.cdu.de/files/docs/politikwechsel-fuer-deutschland-wahlprogramm-von-cdu-csu-1.pdf
(5) https://mehr.spd.de/custom-static-assets/documents/Entwurf_Regierungsprogramm.pdf
(6) https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/mehr-eltern-klagen-kita-platz-ein-100.html